Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. vereinfachtes Verfahren für den Zugang zu sozialer Sicherung aus Anlass der COVID-19-Pandemie. Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Fingierung der Angemessenheit der tatsächlichen Aufwendungen für die Dauer von sechs Monaten. Umzug in eine unangemessene Unterkunft ohne Zusicherung des Grundsicherungsträgers

 

Orientierungssatz

1. Die aus § 67 Abs 3 S 1 SGB 2 folgende Fiktion der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung gilt auch im Falle eines nicht erforderlichen Umzuges, welcher während der Corona-Pandemie erfolgte.

2. Die aus § 67 Abs 3 S 1 SGB 2 folgende Fiktion der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung ist auf einen Zeitraum von einmalig sechs Monaten beschränkt. Dieser Zeitraum beginnt mit dem erstmaligen Auseinanderfallen der tatsächlichen und den angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung im zeitlichen Anwendungsbereich von § 67 Abs 3 S 1 SGB 2.

3. Nach Ablauf des Zeitraums von sechs Monaten gelten die allgemeinen Regelungen. War der während der Corona-Pandemie erfolgte Umzug nicht erforderlich, sind Kosten der Unterkunft unter Umständen nur in Höhe der früheren Kosten der Unterkunft anzuerkennen (§ 22 Abs 1 S 2 SGB II aF).

 

Tenor

1. Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 13.1.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.4.2022 verurteilt, den Klägern Leistungen zur Unterkunft und Heizung in gesetzlicher Höhe unter Berücksichtigung einer Brutto-Kaltmiete von 837,55 € für den Zeitraum 1.2.2022 bis 14.3.2022 sowie in Höhe von 588,53 € für den Zeitraum 15.3.2022 bis 31.8.2022 sowie 1.10.2022 bis 31.1.2023 zu gewähren.

2. Die Änderungsbescheide vom 7.10.2022 werden aufgehoben.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Von den außergerichtlichen Kosten der Kläger hat der Beklagte 18 % zu tragen

5. Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger begehren die Übernahme weitergehender Kosten der Unterkunft für Februar 2022 bis Januar 2023.

Die Klägerin zu 1) lebte zunächst zusammen mit ihren im Februar 2019 sowie im Oktober 2021 geborenen Kindern, den Klägerinnen zu 2) und 3), der Wohnung S-Straße in der Stadt H. Für diese Wohnung fielen durch den Beklagten anerkannte und bewilligte Kosten in Höhe von monatlich 429,36 € an, zuzüglich Betriebskostenvorauszahlungen in Höhe von monatlich 140,91 € (gesamt 570,27‬ € zuzüglich Heizkostenvorauszahlungen von 70 €). Am 20.8.2021 beantragte die Klägerin zu 1), zu diesem Zeitpunkt im Bezug von Arbeitslosengeld II stehend, die Zusicherung für die Übernahme einer neuen Wohnung in der E-Straße in mit einer Nettokaltmiete von 665,55 € sowie Betriebskostenvorauszahlungen von 140 € (gesamt 805,55 €) und einer Fläche von ca. 82,37 qm. Sie begründete dies mit dem für Oktober 2021 erwarteten Nachwuchs und ihrer ärztlichen Betreuung. Ferner würden ihre Eltern dann in der Nähe wohnen und sie unterstützen. Die Klägerin zu 1) legte ein ärztliches Attest einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie aus April 2021 vor, wonach sie an einem Überforderungssyndrom leide; ferner bestehe der Verdacht auf Klaustrophobie. Die Fachärztin führte aus, die aktuelle beengte Wohnsituation der Klägerin führe zu einer Zunahme der Beschwerden. Ihre Eltern können sie entlasten. Aus diesem Grunde wäre ein Umzug der Klägerin zu 1) in eine größere Wohnung in der Nähe ihrer Eltern dringend zu empfehlen.

Mit Schreiben vom 23.8.2021 bat die Klägerin zu 1) den Beklagten nochmals um Zustimmung und erklärte, dass sie die Mietdifferenz zur Obergrenze selbst tragen werde.

Mit Bescheid vom 24.8.2021 lehnte der Beklagte die beantragte Zusicherung ab. Zur Begründung verwies der Beklagte auf die Angemessenheitsgrenze von 755,25 €.

Am 4.10.2021 legte die Klägerin zu 1) einen Mietvertrag zu der genannten Wohnung für den Zeitraum ab dem 15.9.2021 vor.

Am 31.12.2021 stellte die Klägerin zu 1) einen Weiterbewilligungsantrag. Hinsichtlich der Kosten der Unterkunft gab sie für Grundmiete einen Betrag von 665,55 €, für Nebenkosten einen Betrag von 140 € und für Wasser einen Betrag von 32 € an. Dabei legte die Klägerin zu 1) einen Bewilligungsbescheid über die Bewilligung von Unterhaltsvorschussleistungen in Höhe von 177 € ab Februar 2022 vor.

Auf den Antrag hin bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 13.1.2022 für den Zeitraum Februar 2022 bis Januar 2023 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) unter Berücksichtigung einer Grundmiete von 429,36 €, Nebenkosten von 140,91 € und Heizkosten von 41,01 €. Dabei berücksichtigte der Beklagte Einkommen der Klägerin zu 1) (unbereinigt) von 300 € aus Elterngeld (bzw. 375 € ab März 2022 und 0 € ab Oktober 2022), 174 € Unterhaltsvorschuss und 219 € Kindergeld zugunsten der Klägerin zu 2) sowie Unterhaltsvorschuss von 177 € und Kindergeld von 219 € zugunsten der Klägerin zu 2). Zugunsten der Klägerin zu 1) bewilligte der Beklagte für Februar 2022 bis September 2022 Kosten der Unterkunft in Höhe von 203,76€, für die Klägerin z...

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