Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. keine Kostenerstattung einer ambulanten neuropsychologischen Therapie. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Versicherte sind vor der Inanspruchnahme einer Behandlung außerhalb des Sachleistungssystems grundsätzlich gehalten, sich an ihre Krankenkasse zu wenden, die Leistungsgewährung zu beantragen und die Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten (vgl ua BSG vom 20.5.2003 - B 1 KR 9/03 R = SozR 4-2500 § 13 Nr 1).

2. Bei der ambulanten neuropsychologischen Therapie handelt es sich um eine neue, vom Gemeinsamen Bundesausschuss noch nicht empfohlene Therapie, die grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden darf.

3. Eine willkürliche oder sachfremde Untätigkeit oder Verzögerung beim Gemeinsamen Bundesausschuss im Hinblick auf die neuropsychologische Therapie kann jedenfalls im Hinblick auf den streitigen Behandlungszeitraum 2003/2004 nicht festgestellt werden.

4. Der Leistungsausschluss bezüglich der ambulanten neuropsychologische Behandlung hält einer verfassungsrechtlichen Prüfung nach den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = NZS 2006, 84 stand.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 26.09.2006; Aktenzeichen B 1 KR 3/06 R)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Kostenerstattung in Höhe von 7.850 € für die bei der Klägerin in der Zeit vom 24.04.2003 bis 30.11.2004 durchgeführte ambulante neuropsychologische Therapie.

Die ... 1939 geborene und bei der Beklagten versicherte Klägerin erlitt wegen eines Aneurysmas der Arteria carotis interna rechts am 10.02.2003 eine Subarachnoidalblutung. Nach stationärer Behandlung vom 10.02. bis 10.03.2003 im Allgemeinen Krankenhaus W und im Krankenhaus H und anschließender Rehabilitationsbehandlung bis 17.04.2003 im Therapiezentrum M des Deutschen Roten Kreuzes verblieben Störungen des Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit, exekutiver Funktionen im Hinblick auf Planungsvermögen und Handlungskontrolle sowie emotionale Veränderungen und Verhaltensauffälligkeiten. Wegen diesbezüglicher Einzelheiten wird auf den Entlassungsbericht des Therapiezentrums M vom 15.04.2003 (Blatt 6 der Prozessakte S 32 KR 1360/03 ER) Bezug genommen.

Unter Vorlage einer Bescheinigung ihres behandelnden Nervenarztes Dr. v. W und eines Behandlungsplanes beantragte die Klägerin am 22.04.2003 42 Behandlungseinheiten ambulanter neuropsychologischer Therapie bei dem in klinischer Neuropsychologie ausgebildeten Psychologen und Psychotherapeuten Dr. B in H. Die Beklagte holte Stellungnahmen des MDK H vom 13.06.2003, vom Juli 2003 und vom 21.08.2003 ein, in denen die Auffassung vertreten wurde, dass bei Unterlassung der neuropsychologischen Therapie ein eventuell irreversibler Verlust neuropsychologischer Funktionen, ggf. mit der Folge schwerer Behinderung und Pflegebedürftigkeit drohe. Konventionelle Therapie z. B. mit Methoden der ambulanten Psychotherapie oder Ergotherapie reichten in diesen Fällen nicht aus. Die klinische Neuropsychologie sei ein interdisziplinäres Gebiet. Sie befasse sich mit der Beeinträchtigung und Veränderung psychopathologischer Leistungen, die beim Menschen durch umschriebene oder ausgedehnte Schädigungen und Krankheitsprozesse des Gehirns einträten. Im vorliegenden Fall sei eine neuropsychologische Therapie zur Vermeidung irreversibler schwerer alltagsrelevanter Beeinträchtigungen medizinisch indiziert. Die Beklagte lehnte mit Bescheiden vom 05.05.2003 und 19.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2003 sowie weiteren, während des Klageverfahrens erteilten Bescheiden vom 07.01. und 10.06.2004 die Kostenübernahme und Kostenerstattung für die begehrte Behandlung ab: Die im Rahmen der Krankenbehandlung gemäß § 27 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - ≪SGB V≫ zu erbringende ärztliche Versorgung sei durch Verträge der kassenärztlichen Vereinigungen mit den Verbänden der Krankenkassen sichergestellt; hierdurch werde eine Versorgung der Versicherten nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebotes sichergestellt. Ein Anspruch auf Kostenübernahme bzw. Kostenerstattung nach § 13 Satz 3 SGB V bestehe nicht, weil die begehrte Leistung weder unaufschiebbar gewesen noch zu Unrecht abgelehnt worden sei. Die ambulante neuropsychologische Behandlung sei keine Vertragsleistung nach dem Arzt-/Ersatzkassenvertrag. Solche neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürften nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gemäß § 135 Abs. 1 SGB V zu Lasten der Krankenkassen nur abgerechnet werden, wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nummer 5 SGB V Empfehlungen über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben habe. Diese Richtlinien hätten bindenden normativen Charakter. Da eine Richtlinienempfehlung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen für die gewählte Behandlung...

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