Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. Asylbewerberleistung. Analogleistung. Regelbedarfsstufe 2 bei Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft. Verfassungsmäßigkeit. Folgenabwägung

 

Orientierungssatz

1. Es sprechen gewichtige Gründe dafür, dass die zum 1.9.2019 in Kraft getretene Vorschrift des § 2 Abs 1 S 4 Nr 1 AsylbLG nicht verfassungskonform ist bzw einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht standhalten wird.

2. In derartigen Fällen hat im Rahmen einer Folgenabwägung das Interesse des Leistungsträgers an der Vermeidung einer ggf zu Unrecht erfolgten Leistungsgewährung hinter dem Interesse des Antragstellers an der Sicherstellung seines Existenzminimums zurückzutreten.

 

Tenor

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin die Leistungen nach § 2 AsylbLG vorläufig für den Zeitraum vom 11. Dezember 2019 bis 31. Mai 2020 unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1 der Anlage zu § 28 SGB XII zu gewähren.

Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Der Antragstellerin wird unter Beiordnung von Rechtsanwältin B., A-Stadt, Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungen mit Wirkung seit 11. Dezember 2019 gewährt.

 

Gründe

I

Die Antragstellerin begehrt mit ihrem beim hiesigen Sozialgericht am 11. Dezember 2019 eingegangenen Antrag nunmehr noch, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr die Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1 der Anlage zu § 28 des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XII) zu gewähren.

Die 1987 geborene Antragstellerin ist äthiopische Staatsangehörige. Ausweislich der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin hat die Antragstellerin am 20. Juni 2017 einen Asylantrag gestellt und befindet sich im Besitz einer Aufenthaltsgestattung. Sie bewohnt eine Gemeinschaftsunterkunft i.S.d. § 53 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG).

Durch Bescheide vom 30. September 2019 hatte die Antragsgegnerin der Antragstellerin die Leistungen für den Zeitraum vom 1. Oktober 2019 bis 28. Februar 2020 noch auf der Grundlage des § 3 AsylbLG bewilligt, erkannte jedoch auf deren Widerspruch vom 5. November 2019 im Verlaufe des vorliegenden Eilverfahrens an, dass die Antragstellerin die für sie geltende Wartezeit des § 2 AsylbLG (von 15 Monaten) bereits am 21. September 2018 erfüllt hatte.

Daraufhin gewährte Antragsgegnerin der Antragstellerin die Leistungen durch Bescheide vom 17. Dezember 2019 für die Zeit vom 21. September 2018 bis 29. Februar 2020 - somit auch rückwirkend - auf der Grundlage des § 2 AsylbLG i.V.m. § 28 SGB XII. Dabei brachte die Antragsgegnerin jedoch für den Zeitraum vom 1. Oktober 2019 bis 29. Februar 2020 den Regelbedarf nach Regelbedarfsstufe 2 des § 28 XII in Ansatz. Hierzu heißt es in der Begründung des entsprechenden Bescheides vom 17. Dezember 2019, aufgrund der zum 1. September 2019 in Kraft getretenen Änderung durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes (BGBl Teil I Nr. 31 vom 20. August 2019) sei gemäß § 2 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 AsylbLG n.F. bei der Unterbringung in einer Unterkunft im Sinne von § 44 Abs. 1 oder § 53 Abs. 1 AsylG für jede erwachsene Person ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anzuerkennen.

Die Antragstellerin trägt vor, ihr stünden die Leistungen in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 zu, da sie alleinstehend sei. Eine "abweichende Bedarfslage" aufgrund von Einspareffekten, die aufgrund einer "Schicksalsgemeinschaft" mit den Einspareffekten in Paarhaushalten vergleichbar wäre wie es in der Gesetzesbegründung zu § 2 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 AsylbLG heiße, bestehe nicht. Ein gemeinsames Wirtschaften mit den übrigen Bewohnern der Einrichtung finde nicht statt. So koche sie etwa für sich alleine, so dass eine Zuordnung zur Bedarfsstufe 2 zu unterbleiben habe. Darüber hinaus dürfte die Vorschrift des § 2 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 AsylbLG verfassungswidrig sein. Dies sei indes eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage. Dass es in Gemeinschaftsunterkünften zu Einspareffekten komme, die denen im Paarhaushalten vergleichbar seien, sei durch nichts belegt. Im Übrigen nehme sie insoweit auf die Ausführungen des Sozialgerichts Landshut in dessen Beschluss vom 24. Oktober 2011 (Az. S 11 AY 64/19 ER) Bezug.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr die Leistungen nach § 2 AsylbLG vorläufig ab Antragstellung in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie trägt vor, sie habe im Rahmen der Leistungsgewährung zum 1. Oktober 2019 die am 1. September 2019 in Kraft getretene Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes umgesetzt. Dieses bestimme in § 2 Absatz 1 S. 4 Nr. 1 AsylbLG, dass alleinstehende Personen, die in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht seien von der Regelbedarfsstufe 1 ...

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