Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Verordnungsfähigkeit von nicht verschreibungspflichtigen Mistelpräparaten der anthroposophischen Therapierichtung bei adjuvanter Krebstherapie. Feststellung des Therapiestandards bei Behandlung schwerwiegender Erkrankungen mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nicht verschreibungspflichtige Mistelpräparate der anthroposophischen Therapierichtung sind in der adjuvanten Krebstherapie als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig (Anschluss an SG Düsseldorf vom 01.03.2005 - S 8 KR 321/04 = PatR 2006, 13).

2. Zur Feststellung des Therapiestandards bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB 5 keine näheren Bestimmungen zur standardmäßigen Anwendung solcher Arzneimittel bei diesen Erkrankungen nach dem Erkenntnisstand der besonderen Therapierichtungen getroffen hat.

 

Tenor

I. Die Bescheide vom 10.06.2005 und vom 13.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.09.2005 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die für die Beschaffung des Arzneimittels Helixor ® A in Höhe von 281,04 EUR aufgewandten Kosten zu erstatten.

II. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

III. Die Berufung ist zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der an Brustkrebs erkrankten Klägerin die für das anthroposophische Mistelpräparat Helixor ® A aufgewandten Kosten zu erstatten hat.

Die 1960 geborene Klägerin war vom 01.08.1997 bis zum 31.08.2005 bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Am 10.01.2005 wurde bei ihr ein Mammakarzinom rechts diagnostiziert (Stadium nach TNM-Klassifikation: pT1c bN1mi 1/16 pM0 G2 R0; Östrogenrezeptoren positiv, Progesteronrezeptoren negativ; HER-2/neu 3+; außerdem wurde links ein Fibroadenom festgestellt).

Während ihres bis zum 21.01.2005 währenden stationären Klinikaufenthalts unterzog sich die Klägerin einer brusterhaltenden Tumorentfernung mit Axilladissektion, danach in den Monaten Februar bis Mai 2005 einer adjuvanten Chemotherapie und in den Monaten Juni und Juli 2005 einer adjuvanten Strahlentherapie. Dem schloss sich eine auf zwei Jahre veranschlagte Behandlung mit Östrogenhemmern (Tamoxifen, Trenantone ® ) sowie eine adjuvante Therapie mit Trastuzumab (Herceptin ® ) an.

Am 23.05.2005 beantragte die Klägerin bei der Beklagten mit Schreiben vom 19.05.2005 die Übernahme der Kosten für die Behandlung mit dem Medikament Helixor ® A zur Unterstützung des Immunsystems während der noch laufenden Krebstherapie. Auf Grund des nach der Chemotherapie verschlechterten Immunstatus sei sie sehr anfällig gegen Infekte. Dem Antrag beigefügt waren ein Schreiben der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesministerium für Gesundheit und Soziales vom 21.04.2004 und ein an die behandelnde Frauenärztin der Klägerin gerichtetes Schreiben der HELIXOR Heilmittel GmbH & Co. KG von Mai 2004, wonach Helixor ® gemäß Nr. 16.5 der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittelrichtlinien - AMR) auch nach dem 01.04.2004 zur adjuvanten Tumortherapie und Rezidivprophylaxe auf Kassenrezept verordnet werden dürfe.

Auf Anfrage der Beklagten nahm der Sozialmedizinische Fachservice Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden/Arzneimittel beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg am 02.06.2005 zu dem Antrag dahin gehend Stellung, dass es sich bei dem Medikament um ein apotheken-, aber nicht verschreibungspflichtiges Präparat handele. Zugelassene Indikationen seien gemäß der anthroposophischen Therapierichtung bösartige und gutartige Geschwulsterkrankungen, bösartige Erkrankungen und begleitende Störungen der blutbildenden Organe, die Anregung der Knochenmarktätigkeit, die Vorbeugung gegen Rückfälle nach Geschwulstoperationen sowie definierte Präkanzerosen. Der Gemeinsame Bundesausschuss vertrete abweichend von der Position des Bundesgesundheitsministeriums die Rechtsauffassung, dass die Gleichstellung von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen mit allopathischen bzw. diesen hinsichtlich der Standardisierung vergleichbaren phytotherapeutischen Arzneimitteln keine Besserstellung hinsichtlich des Anwendungsgebietes begründen könne. Danach sei die Versorgung mit anthroposophischen Mistelpräparaten entsprechend Nr. 16.4.27 AMR auf die palliative Therapie maligner Tumore beschränkt. Nach dieser Auffassung könne eine Kostenübernahme nicht empfohlen werden, weil die Misteltherapie bei der Klägerin adjuvant eingesetzt werden solle.

Gestützt auf die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin durch Bescheid vom 10.06.2005 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) ab.

Die Klägerin beschaffte sich daraufhin ...

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