Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Verfassungsmäßigkeit der Neubemessung der Regelbedarfe. kein Anspruch auf Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 für im Haushalt der Eltern lebende über 25-jährige Leistungsberechtigte

 

Orientierungssatz

1. Die aufgrund des Urteils des BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09 = BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) durch den Gesetzgeber mit Wirkung ab 1.1.2011 vorgenommene Neuregelung der existenzsichernden Sozialhilfeleistungen nach dem SGB 12 (hier: der Grundsicherung bei Erwerbsminderung) ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

2. Die unterschiedliche Behandlung im Haushalt der Eltern lebender über 25-jähriger Leistungsbezieher im SGB 2 und SGB 12 ist sachlich gerechtfertigt.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Sozialhilfe, speziell des Regelbedarfs des Klägers für die Zeit vom 01.04. bis 31.12.2011; der Kläger begehrt eine Nachzahlung in Höhe der Differenz zwischen der Regelleistung nach der Regelbedarfsstufe 1 und der bewilligten Leistung der Regelbedarfsstufe 3, insgesamt 657,00 EUR.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist - auch im streitbefangenen Zeitraum - dauerhaft voll erwerbsgemindert. Er ist als Schwerbehinderter anerkannt nach einem Grad der Behinderung von 100 und den Merkzeichen B, G und H. Er wohnt im Haushalt seiner Eltern. Er besucht die Stephanus-Förderschule des Kreis E. mit dem Förderschwerpunkt "Geistige Entwicklung". Seit Februar 2010 bezieht er von der Beklagten Leistungen der Grundsicherung (GSi) nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Der Leistung für die Zeit von Februar bis Dezember 2010 legte die Beklagte einen Regelbedarf von 359,00 EUR (= 100 % des sog. Eckregelsatzes) zugrunde (Bescheide vom 28.05. und 30.08.2011). Dieser Regelbedarf wurde auch der Leistung ab 01.01.2011 zugrundegelegt, nachdem die Beklagte die GSi - vorbehaltlich von Änderungen - für den Zeitraum vom 01.01. bis 31.12.2011 bewilligt hatte (Bescheid vom 27.09.2010).

Im Hinblick auf den (rückwirkend) ab 01.01.2011 in Kraft getretenen § 28 SGB XII und die Anlage zu dieser Vorschrift (vgl. Artikel 3 Nrn. 31 und 42 des "Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch" vom 24.03.2011 - BGBl. I, 453) berechnete die Beklagte durch Änderungsbescheid vom 25.03.2011 die GSi-Leistung des Klägers ab 01.04.2011 neu. Sie legte der Leistung nunmehr einen um 73,00 EUR niedrigeren monatlichen Regelbedarf in Höhe von 291,00 EUR (= 80 % des sog. Eckregelsatzes) nach der Regelbedarfsstufe 3 zugrunde.

Dagegen legte der Kläger am 19.04.2011 Widerspruch ein. Er vertrat die Auffassung, die Regelbedarfsstufe 3 erfülle nicht die Pflicht des Gesetzgebers zur realitäts- und bedarfsgerechten Ermittlung der zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums notwendigen Leistungen; sie werde der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Urteil vom 09.02.2010 und der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht gerecht.

Durch Widerspruchsbescheid vom 04.05.2011 wies der Kreis D. den Widerspruch zurück.

Durch Änderungsbescheid vom 19.05.2011 berechnete die Beklagte die GSi-Leistungen des Klägers für die Zeit von Januar bis Juni 2011 neu; bezüglich der Bemessung des Regelbedarfes blieb es bei der Höhe der bisher zugrundegelegten Sätze.

Mit seiner am 08.06.2011 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzziel weiter. Er hält die gesetzlichen Bestimmungen, auf deren Grundlage die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden die Regelleistung ab 01.04.2011 abgesenkt hat, für verfassungswidrig. Aus der Begründung zur Anlage zu § 28 SGB XII ergebe sich, dass für die Regelbedarfsstufe 3 auf Grund der Kürze der Zeit keine statistischen Ermittlungen möglich gewesen seien. Der Kläger folgert daraus, dass der Abschlag von 20 % pauschal und nach einer rein politischen Wertentscheidung der Bundesregierung erfolgt sei; diese nicht auf statistischen Erhebungen beruhende Kürzung des Regelbedarfs sei mit den Vorgaben des BVerfG nicht vereinbar. An keiner Stelle begründe der Gesetzgeber, warum für eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die weder einen eigenen Haushalt führt, noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führt, ein Abschlag in Höhe von 20 % erfolgen könne. Offensichtlich seien auch keine Verbrauchsausgaben für erwachsene leistungsberechtigte Personen in Familienhaushalten ermittelt worden; die regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben seien lediglich für Ein-Personen-Haushalte sowie für Haushalte, in den Paare mit einem Kind in Familienhaushalten leben, ermittelt worden. Der Gesetzgeber habe den eindeutigen Auftrag des BVerfG, zur Konkretisierung des Anspruchs auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums alle existenznotwen...

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