Rz. 4

In Deutschland ist die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK, teilweise auch als UN-BRK bezeichnet; vgl. Rz. 9 ff.) durch einfaches Gesetz im Jahr 2009 in Kraft getreten. Aufgrund des erweiterten Behinderungsbegriffs des Art. 1 Abs. 2 BRK, dessen Definition von § 2 Abs. 1 aufgenommen wird, versteht man i. S. des heutigen Sprachgebrauchs unter Behinderung eine Abweichung der Gesundheit, welche nicht nur vorübergehend (= mehr als 6 Monate) Barrieren aufbaut, die den betreffenden Menschen daran hindern, wie ein gesunder Mensch am allgemeinen gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Danach zählen zum Personenkreis mit Behinderung Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Der Hinweis auf die Sinnesbeeinträchtigung führt im Verhältnis zu dem bis 31.12.2017 geltenden § 2 nicht zu einer Ausweitung des Behinderungsbegriffs, denn er ist dem Wortlaut der UN-BRK nachgebildet und wurde bereits bisher nach geltendem Recht unter die körperliche Funktion subsumiert (vgl. BT-Drs. 18/9522 S. 227).

Die Neufassung des Behinderungsbegriffs zum 1.1.2018 entspricht nach der Gesetzesbegründung in BT-Drs. 18/9522 dem Verständnis der UN-BRK. Menschen mit Behinderungen haben langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen, die sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Nach dem Wechselwirkungsansatz manifestiert sich die Behinderung erst durch gestörte oder nicht entwickelte Interaktion zwischen dem Individuum und seiner materiellen und sozialen Umwelt.

Dabei stoßen Menschen mit Behinderungen nicht nur auf bauliche und technische Barrieren, sondern auch auf kommunikative Barrieren und andere Vorurteile. Zu den einstellungsbedingten Barrieren gehören vor allem Vorurteile oder Ängste, die Menschen mit Behinderungen beeinträchtigen. Zu den umweltbedingten Barrieren gehören vor allem bauliche Barrieren wie ein barrierefreier Zugang zum öffentlichen Personennahverkehr und zu öffentlichen und privaten Gebäuden; z. B. werden Menschen mit Lernschwierigkeiten wegen des mangelnden Gebrauchs leichter Sprache im Alltag an der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gehindert.

Die UN-BRK stützt ihr Verständnis von Behinderung wesentlich auf die ICF der WHO. Die ICF definiert in ihrem bio-psycho-sozialen Modell Behinderung ebenfalls als Ergebnis der Wechselwirkung zwischen Gesundheitsproblem und den

  • personbezogenen (= auf den Betroffenen bezogen) und
  • umweltbezogenen (= auf Um- und Mitwelt bezogen)

Kontextfaktoren.

Ob eine Behinderung vorliegt, wird durch den zuständigen Rehabilitationsträger festgestellt. Er hat nach Feststellung der Behinderung/des Teilhabebedarfs aufgrund trägerspezifischer Leistungsvorschriften individuell über die Leistungen und sonstigen Hilfen, die zur Erreichung/Wiedererlangung der Partizipation in allen Lebensbereichen des betroffenen Menschen notwendig sind, zu entscheiden.

 

Rz. 4a

Die Teilhabeleistungen lassen sich in die unter Rz. 1b aufgeführten Leistungsarten (§ 5) unterteilen. Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sind im Verhältnis zu den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nachrangig (vgl. BSG, Urteile v. 21.8.2008, B 13 R 33/07 R, v. 20.10.2009, B 5 R 5/07 R, und v. 17.2.2010, B 1 KR 23/09). Leistungen zur sozialen Teilhabe sind gegenüber den anderen beiden Leistungsarten nachrangig (vgl. z. B. § 2). Die Leistungen zur Teilhabe an Bildung sind wiederum vorrangig vor den Leistungen zur sozialen Teilhabe, aber nachrangig gegenüber den Leistungen der Krankenversicherung (insbesondere den Leistungen nach § 33, § 37 SGB V).

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