Rz. 308b

Im Zuge der Bürgergeld-Gesetzgebung wurde vom Paritätischen Wohlfahrtsverband vorgeschlagen, Abs. 4 einen neuen Satz 5 hinzuzufügen, wonach Selbsthilfegemeinschaften von behinderten Menschen oder von Behinderung bedrohter Menschen i. S. d. § 1 SGB IX keine Einrichtungen i. S. d. Gesetzes sein sollen. Das sollte unabhängig von ihrer Rechtsträgerschaft gelten. Dieser Vorschlag wurde damit begründet, dass in Sucht-Selbsthilfegemeinschaften lebende (und arbeitende) Menschen bis 2018 Leistungen nach SGB II erhielten, wenn sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllten. Wegen des Urteils des LSG Berlin-Brandenburg v. 8.6.2016 (L 18 AS 3341/14) hätten Leistungsträger nach dem SGB II solche Gemeinschaften dann als Einrichtungen i. S. d. § 7 Abs. 4 angesehen, mit der Folge, dass Bewohner dieser Gemeinschaften von den Leistungen des SGB II ausgeschlossen werden sollten. Hierzu habe es mehrere gerichtliche Auseinandersetzungen gegeben, die sich infolge außergerichtlicher Einigung weitgehend erledigt haben. Das Besondere der Sucht-Selbsthilfegemeinschaften sei, dass sie ihren Bewohnern einen geschützten Raum bieten, in dem diese lernen, ohne Suchtmittel zu leben. In der Regel arbeiten die Bewohner in den Zweckbetrieben der Gemeinschaften mit oder erhalten demnach eine berufliche Qualifizierung. Im Rahmen der Konzeption der Gemeinschaften bestimmen die Bewohner bei der Gestaltung der Lebens- und Arbeitsbedingungen mit. Dies unterscheide solche Selbsthilfegemeinschaften von klassischen Einrichtungen, in denen Menschen im Sinne der Rechtsprechung des BSG v. 5.6.2014 (B 4 AS 32/13 R) "untergebracht" sind. "Selbsthilfe" bedeute in diesem Kontext auch, dass sich suchtkranke Menschen gegenseitig in der Krankheitsbewältigung unterstützen, ohne i. d. R. professionelle therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Organisationsrechtlich sind solche Gemeinschaften demzufolge in der Trägerschaft von gemeinnützigen Vereinen bzw. Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Der Vorschlag zur Gesetzesänderung sollte Unsicherheiten in der Rechtspraxis beseitigen, die Bundesregierung und die am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Einrichtungen haben den Vorschlag jedoch nicht aufgegriffen.

2.6.1 In stationären Einrichtungen und besonderen Wohnformen untergebrachte Menschen

 

Rz. 309

Wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, hat keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Es kommen Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB XII in Betracht. Das schließt die Zugehörigkeit zu einer Bedarfsgemeinschaft nicht aus, was sich wiederum auf die Leistungen nach § 22 bei Anwendung des Kopfteilprinzips auswirken wird. Bei täglicher Rückkehr in die Wohnung liegt keine Unterbringung i. S. d. Übernahme der Gesamtverantwortung vor (z. B. bei Werkstätten für behinderte Menschen). Es kann auch eine Bedarfsgemeinschaft mit einer erwerbsfähigen Person bestehen. Bei dem Leistungsausschluss handelt es sich um eine gesetzliche Fiktion der Erwerbsunfähigkeit. Eigentlich erwerbsfähige Leistungsberechtigte werden als erwerbsunfähig angesehen und vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Daher ist die Fähigkeit zur Aufnahme einer mindestens 3-stündigen Erwerbstätigkeit entscheidendes Prüfkriterium (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 10.6.2011). Die tatsächliche Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich, obwohl dies nach dem Konzept des Trägers nicht vorgesehen ist, widerlegt die Vermutung der fehlenden Erwerbsfähigkeit. Ein Leistungsausschluss liegt dann demzufolge nicht vor. Die Rechtsprechung hat zunächst aufgrund der Rechtslage v. 1.1.2005 den sog. funktionalen Einrichtungsbegriff gebildet. Das BSG hat frühzeitig angenommen, dass der Leistungsausschluss auf der Annahme basiert, Hilfebedürftigkeit liege wegen der Unterbringung nicht vor. Die stationär untergebrachten Menschen unterfallen z. B. der Pflegeversicherung oder erhalten Leistungen nach dem SGB XII. Die Regelung erfasst aber auch Jugendliche, die nach den §§ 34, 35a oder 41 SGB VIII stationär untergebracht sind. Ebenso erfasst die Regelung Aufenthalte in der stationären Einrichtung während einer Haftunterbrechung. Die erforderlichen Feststellungen haben insbesondere auch Bedeutung für die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft und die Berücksichtigung von Einkommen (gewöhnlicher Aufenthalt des Sohnes in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe, gewöhnlicher Aufenthalt des Ehemannes in einer stationären Pflegeeinrichtung, vgl. BSG, Urteile v. 16.4.2013, B 14 AS 81/12, und 71/12). Bei vollstationären Einrichtungen übernimmt der Einrichtungsträger die Gesamtverantwortung für die Lebensführung des Untergebrachten. Typischerweise sind Gemeinschaftseinrichtungen vorhanden. Hierbei ist das Therapiekonzept dafür ausschlaggebend, ob der Hilfebedürftige für eine Erwerbstätigkeit in Betracht kommt, insbesondere aufgrund des typischen Tagesablaufs. Ist das der Fall, trägt der Leistungsberechtigte einen Teil der Gesamtverantwortung selbst; ein Leistungsausschluss liegt mangels stationärer Einrichtung i. S. d. Vorschrift nicht vor. Ist die Einrichtung jedo...

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