Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss von Leistungen der Grundsicherung bei Unterbringung des Hilfebedürftigen in einer stationären Einrichtung

 

Orientierungssatz

1. Nach § 7 Abs. 4 SGB 2 erhält Leistungen nach dem SGB 2 nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist. Von einer solchen Unterbringung kann dann ausgegangen werden, wenn der Träger der Einrichtung nach Maßgabe seines Konzepts die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung und die Integration des Hilfebedürftigen übernimmt.

2. Von einer stationären Leistungserbringung ist dann auszugehen, wenn der Leistungsempfänger nach formeller Aufnahme in der Institution lebt und damit die Unterbringung Teil der Leistungserbringung ist.

3. Eine in der Form einer rechtsfähigen Stiftung des bürgerlichen Rechts bestehende Suchtselbsthilfegemeinschaft, in welcher der Hilfebedürftige in einer Wohngemeinschaft lebt, stellt eine stationäre Einrichtung i. S. von § 7 Abs. 4 SGB 2 dar. Solange der Hilfebedürftige darin lebt, ist er infolgedessen von Leistungen des SGB 2 ausgeschlossen.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. November 2014 geändert.

Der Beigeladene wird verurteilt, dem Kläger endgültige Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII für die Zeit vom 1. Februar 2013 bis 31. Januar 2014 zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beigeladene trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im gesamten Verfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II), hilfsweise nach dem Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII), für die Zeit vom 1. Februar 2013 bis 31. Januar 2014.

Der 1963 geborene Kläger hatte den Beruf des Gärtners erlernt. Er stand bei dem Beklagten fortlaufend im Leistungsbezug und lebt seit dem 17. Februar 2009 wegen einer Suchterkrankung in einer der Stiftung S (im Folgenden: Stiftung) gehörenden Wohnung in einer Wohngruppe. Die Stiftung ist eine Suchtselbsthilfegemeinschaft, die 1971 in der Form einer rechtsfähigen Stiftung bürgerlichen Rechts mit Sitz in B gegründet wurde. Sie versteht sich nach eigenen Angaben als “Lebensschule auf Zeit„, jedem Süchtigen wird ein mindestens zwei- bis dreijähriger Aufenthalt empfohlen. Ausweislich der Satzung der Stiftung ist Stiftungszweck unter anderem die Förderung von Selbsthilfe-Einrichtungen, deren Ziel es ist, Süchtigen und Suchtgefährdeten ein suchtmittelfreies Leben zu lehren (vgl § 2 der Satzung). Gemäß der Präambel verliert jeder sofort seine Zugehörigkeit zur Gemeinschaft, der gegen die in der Satzung aufgestellten Regeln verstößt. Finanzielle Mittel der Stiftung dürfen nur für satzungsgemäße Zwecke verwendet werden, der Vorstand der Stiftung verwaltet die Stiftung nach Maßgabe der Satzung, die von der Geschäftsführung erstellten Vermögensaufstellungen werden jährlich von einer Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaft geprüft, das Kuratorium überwacht die Geschäftsführung des Vorstands. Für die Unterbringung wird kein Betreuungs- oder Therapievertrag mit den Bewohnern geschlossen, sondern ein Mietvertrag. Die Aufnahme eines neuen Bewohners kann jederzeit erfolgen, nachdem er sich den drei “S-Regeln„ unterworfen hat: 1. keine Drogen, kein Alkohol, keine bewusstseinsverändernden Medikamente, 2. keine Gewalt oder deren Androhung, 3. kein Tabak, “wir rauchen nicht„. Die Bewohner können die Wohngemeinschaften jederzeit auf eigenen Wunsch verlassen, wobei jedem neuen Bewohner eine dreimonatige Kontaktpause empfohlen wird. Jede Wohngruppe wählt aus ihrer Mitte einen Leiter. Die Mitarbeiter einer Abteilung der Stiftung bearbeiten für die Bewohner deren Straf- und Schuldenangelegenheiten. Die Stiftung finanziert sich aus Spenden, Bußgeldern sowie den von den Bewohnern an die Stiftung abgetretenen Ansprüchen gegen den Beklagten sowie den in den Zweckbetrieben von den Bewohnern der Stiftung erwirtschafteten Überschüssen. Der Kläger hatte im Streitzeitraum die Mitarbeiter der Stiftung K und S bevollmächtigt, ihn in “sämtlichen Angelegenheiten„ zu vertreten (Vollmacht vom 21. Januar 2013) und zudem darum gebeten, Zahlungen von Sozialleistungen auf ein Konto der Stiftung zur Deckung seiner Lebenshaltungskosten zu überweisen.

In einem in Vertretung des Klägers durch Mitarbeiter der Stiftung am 17. Dezember 2012 bei dem Beklagten gestellten Fortzahlungsantrag auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II wurde angegeben, der Kläger sei zwar erwerbsfähig im Sinne des SGB II, er könne jedoch derzeit noch keine Tätigkeit außerhalb des geschützten Rahmens der Stiftung aufnehmen, da das Verlassen der “Lebensschule„ für ihn das hohe Risiko eines Rückfalls berge. Der Antrag wurde von dem Beklagten daraufhin unter Hinweis auf § 7 Abs. 4 SGB II durch Bescheid vom 8. Januar 2013 abgelehnt, da weite Teile des Aufenthaltes des Klägers in der Betreuung der Stiftung als stationäre Unterbringung zu bewerten seien. Hiergegen ...

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