Rz. 184

Art. 10 VO (EU) Nr. 492/2011 schützt Kinder eines im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates beschäftigten oder beschäftigt gewesenen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates, die im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaates wohnen und unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaates am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen (zuvor Art. 12 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1612/68). Das Ausbildungsrecht des Kindes setzt voraus, dass dieses Kind in Ausbildung mit seinen Eltern oder einem Elternteil in einem Mitgliedstaat in der Zeit lebte, in der dort zumindest ein Elternteil als Arbeitnehmer wohnte (Status Kind eines Arbeitnehmers). Das Ausbildungsrecht impliziert ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der sich weiterhin in Ausbildung befindlichen Kinder, das grundsätzlich bis zum Abschluss der Ausbildung und insbesondere besteht, solange sie tatsächlich im Aufnahmemitgliedstaat in das Schulsystem eingegliedert sind (BSG, Urteil v. 3.12.2015, B 4 AS 43/15 R). In gleicher Weise besteht ein abgeleitetes Recht auf Aufenthalt für den Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, solange und soweit die regelmäßig minderjährigen Kinder für die Wahrnehmung ihrer Ausbildungsrechte weiterhin der Anwesenheit und der Fürsorge des Elternteils bedürfen, um ihre Ausbildung fortsetzen und abschließen zu können. Denn die Versagung dieser Möglichkeit für die Eltern könnte das Wegnehmen des Ausbildungsrechts für die Kinder bedeuten. Die Kinderrechte bestehen unabhängig von ausreichenden Existenzmitteln und eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes fort und sind autonom gegenüber den unionsrechtlichen Bestimmungen anzuwenden, die die Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat regeln. Daher führt der Wegzug des Unionsbürgers aus dem Aufnahmemitgliedstaat oder sein Tod weder für seine Kinder noch den die elterliche Sorge tatsächlich wahrnehmenden Elternteil ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit bis zum Abschluss der Ausbildung zum Verlust des Aufenthaltsrechts, wenn sich die Kinder im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten und in einer Bildungseinrichtung zu Ausbildungszwecken eingeschrieben sind.

 

Rz. 185

Dieser Rechtsprechung des BSG hat schon das LSG Niedersachsen-Bremen nach früherer Rechtslage widersprochen (Beschluss v. 15.1.2016, L 15 AS 226/15 B ER). Ein Schulbesuch sollte demnach keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II auslösen. Aus dem von dem Schulbesuch der Kinder abgeleiteten Aufenthaltsrecht folgte demnach kein Leistungsanspruch. Nur ein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU bzw. einem subsidiär anwendbaren AufenthG stand danach einem Leistungsausschluss entgegen. Aus dem Schulbesuch des Kindes folgte jedoch nicht, dass die Mutter sich zu anderen Zwecken als der Arbeitssuche in Deutschland aufhält, denn der Schulbesuch ist Folge und nicht Ursache der Einreise gewesen, wenn diese ursprünglich zur Arbeitsaufnahme erfolgt ist.

 

Rz. 186

Gemäß Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. c wurden Personen, deren Aufenthaltsrecht sich unmittelbar oder abgeleitet von ihren Kindern nur aus dem Recht zum allgemeinen Schul- oder Ausbildungsbesuch aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 ergibt, von dem Bezug von Leistungen ausgeschlossen. Der Ausschluss betraf nicht nur den Schüler bzw. den Auszubildenden, sondern auch die Eltern. Diese verfügen nicht über ein eigenes Aufenthaltsrecht, sondern leiten ihr Aufenthaltsrecht ja nur aus dem Schul- bzw. Ausbildungsbesuch ab. Ebenso sind die übrigen zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Familienmitglieder von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. c beruhte auf der RL 2004/38/EG, die den Ausschluss nicht erwerbstätiger Unionsbürger erlaubt. Diese Regelungen der Freizügigkeitsrichtlinie liefen demnach ins Leere, wenn sie nicht gelten würden, sobald schulpflichtige Kinder vorhanden sind, obwohl die Eltern nicht erwerbstätig sind und auch keine Erwerbstätigkeit mehr auf den Status als Arbeitnehmer oder Selbstständiger nachwirkt. Das Recht der Nachwirkung unfreiwilliger Arbeitslosigkeit bezieht sich ohnehin nur auf den Arbeitnehmerstatus und ist nicht auf Selbstständige anzuwenden.

 

Rz. 186a

Gemäß Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. c wurden Personen, deren Aufenthaltsrecht sich unmittelbar oder abgeleitet von ihren Kindern nur aus dem Recht zum allgemeinen Schul- oder Ausbildungsbesuch aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 ergibt, von dem Bezug von Leistungen ausgeschlossen. Dieser Ausschluss galt sowohl für erwerbsfähige Schüler selbst als auch für ihre Eltern, die ihr Aufenthaltsrecht nur von ihren Kindern ableiten, also über kein anderes eigenständiges Aufenthaltsrecht verfügen, und für die übrigen zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Personen, die Familienangehörige sind. Die Regelung sollte nach der Gesetzesbegründung im Einklang mit der europäischen Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG stehen, nach der nicht erwerbstätige Unionsbürger unter bestimmten Voraussetzu...

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