Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. Einsetzen. Kenntnis des Sozialhilfeträgers von der Notlage. Nichterforderlichkeit einer ausdrücklichen Geltendmachung des Hilfebedarfs. Antragsunabhängigkeit. Unerheblichkeit einer noch ausstehenden Klärung einer Leistungsberechtigung nach dem SGB 2. Amtsprinzip. Wegfall des Hilfebedarfs. Mitwirkung des Hilfebedürftigen. Sozialgeld

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 18 Abs 1 SGB 12 erfordert keine Antragstellung oder sonstige Initiative des Leistungsberechtigten. Ausreichend ist die Kenntnis des Sozialhilfeträgers von einem Kern an Tatsachen, der die Notlage in ihren wesentlichen Grundlagen beschreibt.

2. Die Kenntnis entfällt nicht allein deshalb, weil der Leistungsberechtigte es trotz Hinweises des Sozialhilfeträgers unterlässt, seinen Hilfebedarf nochmals ausdrücklich geltend zu machen.

3. Der Kenntnis vom Vorliegen der Voraussetzungen für Leistungen der Sozialhilfe steht die noch nicht endgültige Klärung der vorrangigen Zuständigkeit eines anderen Leistungsträgers - insbesondere des Trägers der Grundsicherung für Arbeitssuchende - nicht entgegen.

 

Normenkette

SGB XII § 18 Abs. 1, § 2 Abs. 1, § 19 Abs. 1; SGB X §§ 20, 104; GG Art. 19 Abs. 4

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 21. Juli 2009 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 6. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2007 verurteilt, dem Kläger Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit vom 23. September 2006 bis 21. Februar 2007 in Höhe von insgesamt 903,60 € zu gewähren.

II. Die Beklagte hat die dem Kläger in beiden Rechtszügen entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für die Zeit vom 23.09.2006 bis 21.02.2007.

Der am …2006 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. Seine Mutter (A… M…) ist serbische Staatsangehörige und bezog in den Jahren 2006 und 2007 Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Im streitigen Zeitraum bewohnten der Kläger, seine Mutter und deren 2003 geborene Tochter (P… M…) eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in D… (F…-G…-S… ). Der Vater des Klägers (D… S…) ist deutscher Staatsangehöriger, war damals ebenfalls in der Gemeinschaftsunterkunft auf derselben Etage untergebracht und bezog vom 01.11.2006 bis jedenfalls 31.10.2007 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Bescheide der ARGE D… vom 09.10.2006 und 29.03.2007).

Im März 2006 übernahm die Beklagte die Kosten der Krankenhausbehandlung der Mutter des Klägers vom 16.02.2006 bis 19.02.2006; aus der Entlassungsanzeige des Krankenhauses ergab sich eine Schwangerschaft. Anlässlich der Beantragung von Leistungen nach dem AsylbLG am 16.03.2006 reichte die Mutter des Klägers u. a. den Mutterpass (errechneter Entbindungstermin 18.09.2006) und am 04.04.2006 die Urkunde über die vorgeburtliche Anerkennung der Vaterschaft zur Akte.

Die Beklagte vermerkte nach Vorsprache der Mutter des Klägers am 04.05.2006: “Kind deutsch - kein Anspruch nach AsylbLG, Muter b. der Vorsprache informiert à Beide Eltern sollen zur ARGE gehen.„ und am 05.09.2006: “Frau M. wurde erneut darüber aufgeklärt, dass ihr ungeborenes Kind deutsch ist u. somit kein Anspruch nach AsylbLG hat. Die am 03.08.2006 ausgereichten Gutscheine sind zum Teil also zu Unrecht gewährt worden. Bedarf für das Kind soll der Kindesvater bei der ARGE bzw. Ortsamt P… (B…) anmelden (beide Eltern in Gemeinschaftsunterkunft untergebracht). Eventuelle Ablehnungen der ARGE oder des Ortsamtes umgehend bei uns vorlegen (Name der Sachbearbeiter u. Tel.-Nummer aufschreiben, damit wir ggf. reagieren/rückfragen können).„ Weitere Vermerke über Vorsprachen der Mutter des Klägers bei der Beklagten am 02.03.2006, 09.03.2006, 16.03.2006, 21.03.2006, 04.04.2006, 06.06.2006, 06.07.2006, 03.08.2006, 05.08.2006, 05.10.2006, 02.11.2006, 30.11.2006, 05.12.2006, 21.12.2006, 23.01.2007 und 22.02.2007 sind aktenkundig; wegen des Inhalts wird auf die Akte verwiesen.

Am 28.09.2006 ging bei der Beklagten die Anzeige des Diakonissenkrankenhauses D… über die Aufnahme der Mutter des Klägers am 21.09.2006 ein (Diagnosen: “vorzeitiger Blasensprung, Wehenbeginn innerhalb von 24 Stunden„). Aus der am 29.09.2006 eingegangenen Entlassungsanzeige ergab sich u. a. die Diagnose “Überwachung und Leitung einer normalen Geburt„. Am 26.10.2006 erteilte das Einwohner- und Standesamt der Beklagten der Mutter des Klägers eine Bescheinigung zur Anmeldung des Klägers bei der Krankenkasse.

Für die Unterbringung des Klägers im Asylbewerberheim erhob die Beklagte ursprünglich mit Bescheiden vom 15.02.2007 und 09.03.2007 Benutzungsgebühren in Höhe von 168,00 € für Februar 2007 und 186,00 € für März 2007, hob diese Bescheide später aber wieder auf (Bescheid vom 23.12.2010).

Mit am 01.03.2007 ausgegebenem und am 06.03.2007 abgegebenem Antragsfor...

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