Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistungen. Analogleistungen. Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. Einsetzen der Leistungen. Kenntnisgrundsatz. Erkennbarkeit der Bedarfslage

 

Leitsatz (amtlich)

Leistungen der Hilfe zur Pflege sind einem Bezieher von Analogleistungen nach § 2 AsylbLG von dem Zeitpunkt an zu erbringen, sobald dem Leistungsträger bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen. "Bekanntwerden" in diesem Sinne bedeutet, dass die Notwendigkeit einer Leistung der Sozialhilfe als solche dargetan oder sonst erkennbar ist (Anschluss an BSG vom 28.8.2018 - B 8 SO 9/17 R = BSGE 126, 210 = SozR 4-3500 § 18 Nr 4). Davon ist auszugehen, wenn dem zuständigen Sozialleistungsträger in dem Behandlungsbericht eines Krankenhauses Tatsachen mitgeteilt werden, die auf den erheblichen Pflegebedarf des Betroffenen hinweisen. Unerheblich erscheint daher, ob dessen Eltern, die der deutschen Sprache seinerzeit nicht mächtig gewesen sind, mit der Hilfe Dritter dazu imstande gewesen wären, entsprechende Leistungen zu beantragen.

 

Tenor

I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Chemnitz vom 30. März 2021 sowie unter Änderung des Bescheides des Beklagten vom 9. Juli 2019 in der Fassung des Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2020 sowie des Bescheides vom 5. März 2020 verurteilt, dem Kläger Leistungen der Hilfe zur Pflege in Form eines Pflegegeldes auch für die Zeit vom 1. April 2018 bis zum 25. März 2019 zu erbringen.

II. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach für beide Rechtszüge zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt vom beklagten Landkreis Leistungen der Hilfe zur Pflege bereits vor dem 26. März 2019.

Der 2013 geborene Kläger ist albanischer Staatsbürger. Gemeinsam mit seinen Eltern und seinem im März 2016 geborenen Bruder reiste er am 24. Dezember 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 17. Januar 2017 beantragten sie, ihnen Asyl zu gewähren. Zur Durchführung des Asylverfahrens wurde die Familie dem Beklagten zugewiesen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte die Asylanträge, die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anträge auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab, wobei es zugleich feststellte, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorlägen. Die Familie wurde zur Ausreise aufgefordert und zugleich die Abschiebung nach Albanien bzw. in einen aufnahmebereiten Drittstaat angekündigt (Bescheid vom 17. Februar 2017). Auf die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Z.... in Bezug auf den Kläger die aufschiebende Wirkung dieses Rechtsbehelfs angeordnet (Az.: 7 L 352/17.A). Mit Urteil vom 22. Oktober 2019 (Az.: 7 K 1269/17.A) stellte es schließlich ein Abschiebungsverbot in Bezug auf den Kläger und den Herkunftsstaat Albanien fest.

Der Beklagte gewährte zunächst Grundleistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Mit Bescheid vom 17. Juli 2018 bewilligte er der Familie sogenannte "Analogleistungen" nach § 2 AsylbLG ab dem 1. August 2018. Auf den dagegen eingelegten Widerspruch verpflichtete die Landesdirektion Sachsen den Beklagten zur erneuten Entscheidung unter Berücksichtigung seiner im Widerspruchsbescheid vom 28. März 2019 dargelegten Rechtsansichten. Demnach habe die Familie Anspruch auf Analogleistungen nach § 2 AsylbLG bereits ab dem 1. April 2018, da die Wartefrist von 15 Monaten Ende März 2018 abgelaufen sei. Darüber hinaus habe der Beklagte zu ermitteln, ob dem Kläger Leistungen der Hilfe zur Pflege zustünden. Daraufhin bewilligte der Beklagte der Familie, darunter dem Kläger, mit Bescheid vom 6. Juni 2019 Leistungen nach § 2 AsylbLG bereits ab dem 1. April 2018 und informierte darüber, dass er den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) darum gebeten habe, den Pflegebedarf des Klägers einzuschätzen. Dieser leidet ausweislich des Behandlungsberichts des Klinikums "Y.... " Z.... vom 13. April 2017 unter einer kombinierten umschriebenen Entwicklungsstörung bei Mikrozephalie und spastischer Zerebralparese, Blindheit und hochgradiger Sehbehinderung (binokular) bei anamnestisch bekannter Epilepsie. Aufgrund seiner chronischen Erkrankungen ist der Kläger seit dem 22. Mai 2018 anerkannter Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 100. Sein Schwerbehindertenausweis ist mit den Merkzeichen "G", "aG", "H" und "B" versehen.

Am 29. Juni 2018 wurde für den Kläger ein Antrag auf Leistungen der Eingliederungshilfe gestellt. Die Unterschriftenleiste für seine um Unterzeichnung gebetenen Eltern war mit Hinweisen zum Ankreuzen versehen. Da weder diese noch ihre Kinder über Deutschkenntnisse verfügten, zog der Beklagte zur Sachaufklärung Dolmetscher hinzu, beispielsweise zur Untersuchung des Klägers am 28. August 2018, um ein amtsärztliches Zeugnis für die beantragten Leistungen der Eingliederungshilfe zu erstellen bezogen auf dessen Integrat...

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