Entscheidungsstichwort (Thema)

Elterliche Sorge: Grundvoraussetzung für die Praktizierung des Wechselmodells

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Wesentliche Grundvoraussetzung für eine am Wohl des Kindes ausgerichtete Praktizierung eines sog. „Wechselmodells” ist ein niedriges Konfliktpotential der Eltern.

2. Kindern ist an ihrem Lebensmittelpunkt das sie sichernde Gefühl für ein Zuhause zu geben.

3. Bei einer Sorgerechtsentscheidung ist der Wille des Kindes weitgehend zu berücksichtigen, soweit dies mit seinem Wohl vereinbar ist.

 

Normenkette

BGB § 1671 Abs. 2 Nr. 2

 

Verfahrensgang

AG Landsberg a. Lech (Beschluss vom 23.06.2006; Aktenzeichen 2 F 742/05)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des AG Landsberg am Lech vom 23.6.2006 aufgehoben.

Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder L. L., geboren.. 1991, und N. L., geboren.. 2000, wird auf die Mutter übertragen.

II. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens der Beteiligten werden nicht erstattet.

III. Der Beschwerdewert wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Das Verfahren betrifft die Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts.

Die Eltern sind zwischenzeitlich geschieden. Aus der Ehe stammt das gemeinsame Kind N. Das Kind L. hat der Vater adoptiert.

Die Eltern einigten sich in einem Vorverfahren zur Regelung der elterlichen Sorge (beigezogenes Verfahren 2 F 4/05 AG Landsberg am Lech) am 3.5.2005, die elterliche Sorge weiter gemeinsam auszuüben und den Aufenthalt der Kinder gleichermaßen in einem sog. Wechselmodell zwischen beiden Elternteilen aufzuteilen. Eine richterliche Genehmigung dieser Vereinbarung erfolgte nicht.

Im vorliegenden Verfahren beantragt die Mutter, ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht für beide Kinder zu übertragen, weil sich die getroffene Vereinbarung vom 3.5.2005 nicht bewährt habe.

Mit Beschluss vom 23.6.2006 hat das AG den Antrag der Mutter abgewiesen.

Hiergegen wendet sich die Mutter mit Beschwerde und verfolgt ihren ursprünglichen Antrag weiter, ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht für beide Kinder zu übertragen.

Der Vater beantragt, die Beschwerde der Mutter zurückzuweisen.

Der Senat hat die Eltern und die Kinder durch den beauftragten Richter erneut angehört. Versuche des beauftragten Richters, eine einvernehmliche Regelung zu erzielen, scheiterten.

II. Die nach §§ 621e I, II, 621 I Nr. 1 ZPO, 19 FGG zulässige Beschwerde der Mutter hat Erfolg. Auf ihre Beschwerde ist der Beschluss des AG Landsberg am Lech vom 23.6.2006 aufzuheben und der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die beiden Kinder zu übertragen. Es ist zu erwarten, dass diese Regelung dem Wohl der Kinder am besten entspricht (§ 1671 II Nr. 2 BGB). Da eine gerichtliche Genehmigung der Vereinbarung der Eltern vom 3.5.2005 nicht erfolgte, richtet sich die Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht nach § 1696 I BGB.

1. Eine Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts ist geboten, weil sich die Eltern über den Aufenthalt der Kinder nicht einigen können.

a) Die Bemühungen des beteiligten Jugendamts, des AG und des Senats, den Aufenthalt der Kinder einvernehmlich zu regeln, führten nicht zum Erfolg. Das beteiligte Jugendamt teilte mit, dass die Eltern sich nicht zu einem gemeinsamen Gespräch im Jugendamt bereit erklärten. Bemühungen des vom Senat beauftragten Richters, unter Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge eine situationsangepasste, den Wünschen der Kinder entsprechende Umgangsregelung zu erarbeiten, verliefen ergebnislos. Eine mit einer konkreten Umgangsregelung verbundene Übereinkunft der Eltern über den Aufenthalt der Kinder war nicht möglich.

b) Dem steht nicht entgegen, dass es den Eltern im Vorverfahren gelang, den Aufenthalt der Kinder mit Hilfe eines sog. Wechselmodells zu regeln. Entgegen der Auffassung des AG ist dieses Wechselmodell nicht mehr geeinigt, um den Aufenthalt der Kinder künftig zu regeln. Ein Wechselmodell dient dem Wohl der Kinder jedenfalls dann nicht, wenn der Wechsel nicht im Interesse der Kinder durchgeführt wird, sondern vorrangig dazu dient, die jeweilige Machtposition oder Interessenlage der Eltern auszunutzen (OLG München v. 1.10.2001 - 16 UF 1095/01, FamRZ 2002, 1210). So verhält es sich hier. Die umfangreichen Bemühungen, den Umgang der Kinder mit den Eltern einvernehmlich zu regeln, scheiterten u.a. schon an der Frage, ob die Kinder vom Vater freitags unmittelbar von der Schule abzuholen sind oder den Kindern die Möglichkeit verbleiben soll, ihre Schulsachen bei der Mutter abzuladen, so dass die Kinder um 14.00 Uhr bei der Mutter abzuholen sind. Eine gedeihliche Basis für ein zum Wohl der Kinder ausgeübtes Wechselmodell kann bei diesem Elternverhalten nicht erkannt werden. Ein niedriges Konfliktpotential der Eltern als wesentliche Grundvoraussetzung für ein funktionierendes Wechselmodell ist nicht gegeben (OLG Dresden v. 3.6.2004 - 21 UF 144/04, OLGReport Dresden 2005, 418 = FamRZ 2005, 125). Der Vater trägt in seiner Anhörung selbst mehrfach vor, dass die Umgangsregelung in der Vergangenheit nicht prakti...

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