Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Einlegung von Rechtsmitteln durch Beigeladene. berechtigtes Interesse an Fortsetzungsfeststellungsklage. Krankenversicherung. häusliche Krankenpflege. Wohnheim für Menschen mit geistiger Behinderung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Beigeladene können Rechtsmittel einlegen, soweit sie durch das Urteil beschwert sind.

2. Das Berufungsgericht hat - auch wenn nur der unterliegende Beigeladene Rechtsmittel eingelegt hat - über alle infrage kommenden Ansprüche zu entscheiden. Der Kläger kann daher in diesem Berufungsverfahren eine Fortsetzungsfeststellungsklage weiter verfolgen, ohne dass es auf das Vorliegen der Voraussetzungen einer Anschlussberufung ankommt.

3. Ein berechtigtes Interesse an einer Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 131 Abs 1 S 3 SGG ist bei dem typischerweise nur kurzfristigen Anspruch auf häusliche Krankenpflege und einer grundsätzlich ablehnenden Haltung der beklagten Krankenkasse zur Erbringung von häuslicher Krankenpflege in einer Wohnstätte der Eingliederungshilfe wegen konkreter Wiederholungsgefahr und auch deshalb gegeben, weil der grundsätzlich nachrangig verpflichtete Sozialhilfeträger die Leistung auch auf andere Weise - zB durch die Unterbringung in einer anderen Einrichtung - erbringen kann.

4. Ein Wohnheim der Eingliederungshilfe ist grundsätzlich ein "geeigneter Ort" zur Erbringung von häuslicher Krankenpflege gemäß § 37 Abs 2 SGB 5 durch die GKV, wenn nach dem Gesetz kein Anspruch des Versicherten auf Behandlungspflege durch die Einrichtung besteht. Einer Vergleichbarkeit mit den in § 37 Abs 2 SGB 5 beispielhaft genannten Orten im Hinblick auf die Möglichkeit einer eigenen Haushaltsführung bedarf es nicht.

5. Ein Anspruch "nach den gesetzlichen Bestimmungen" iS der Krankenpflege-RL (juris: HKPRL) kann auch ein vertraglicher Anspruch sein, soweit die gesetzlichen Bestimmungen eine Regelung durch entsprechenden Vertrag ausdrücklich vorsehen.

6. Gehört die medizinische Behandlungspflege nicht zum Leistungsspektrum der Einrichtung, kann eine konkrete Maßnahme der häuslichen Krankenpflege dennoch von der Einrichtung geschuldet sein, wenn sie (auch) zu den von der Einrichtung geschuldeten lebenspraktischen Tätigkeiten gehört; die Injektion einer Spritze ist jedoch nicht von den lebenspraktischen Tätigkeiten in diesem Sinne umfasst.

 

Tenor

1. Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 5. Februar 2010 wird aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die Bescheide der Beklagten vom 18. Juni und 29. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. August 2009 rechtswidrig sind und die Beklagte verpflichtet gewesen ist, dem Kläger für die Zeit vom 26. Februar 2009 bis 15. Juni 2010 häusliche Krankenpflege zur Injektion von Thrombosespritzen zu bewilligen, soweit diese ärztlich verordnet waren.

2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers und der Beigeladenen zu 1 zu tragen.

Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. 3.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte oder der Beigeladene zu 1 verpflichtet gewesen ist, dem Kläger häusliche Krankenpflege zur Verabreichung subkutaner Injektionen von Heparin bzw. Clexane 40 zu gewähren.

Der 1962 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Kläger leidet an einem frühkindlichen Hirnschaden. Er benötigt Hilfe beim Gehen, Essen, Waschen und Ankleiden und leidet insbesondere unter Stand- und Gangstörungen mit deutlichen koordinativen Defiziten. Arbeiten, auch mit einfachen Werkzeugen, kann er nur im grobmotorischen Bereich verrichten. Er lebt in einem von der Beigeladenen zu 2 betriebenen Wohnheim für Menschen mit geistiger Behinderung. Vom Beigeladenen zu 1, dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe, erhält er Eingliederungshilfe gemäß §§ 53, 54 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe (SGB XII).

Für die Zeit vom 26. Februar bis 10. März 2009 verordnete die Hausärztin S. häusliche Krankenpflege anstelle von Krankenhausbehandlung für subkutane Injektionen mit Heparin 7500 IE je zweimal täglich. Anschließend verordnete der Facharzt für Allgemeinmedizin G. ununterbrochen für den Zeitraum vom 20. März 2009 bis zum 15. Juni 2010 weiterhin häusliche Krankenpflege für einmal täglich erforderliche subkutane Injektionen mit Clexane 40 zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung. Ein zugelassener Pflegedienst erbrachte die häusliche Krankenpflege entsprechend den Verordnungen.

Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Beigeladene zu 2 mit, bei ihrer Einrichtung handle es sich um eine Wohnstätte der Eingliederungshilfe (Wohnheim mit Werkstatt für behinderte Menschen), die dem Heimgesetz unterliege. Entsprechend der geltenden Leistungs- und Vergütungsvereinbarung nach § 75 SGB XII und der Konzeption der Einrichtung werde kein qualifiziertes medizinisches Fachpersonal, sondern fast ausschließlich pädagogisch ausgebildetes Personal beschäftigt, so dass die Erbringung ärztlich verordneter Behandlungspflege (das Setzen einer Injektion) durch die Mitarbei...

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