Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Einpersonenhaushalt in Sachsen-Anhalt. Überschreitung der Angemessenheitsgrenze. Kostensenkungsverfahren. Nichtvorliegen eines schlüssigen Konzepts des Grundsicherungsträgers. Erkenntnisausfall. Tabellenwerte der Wohngeldtabelle plus Sicherheitszuschlag. unangemessene Heizkosten. Gesamtangemessenheitsgrenze. Verlängerung des 6-Monats-Zeitraums

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Überschreiten der oberen Grenzwerte eines Heizspiegels kann lediglich als Indiz für die fehlende Angemessenheit der Heizkosten angesehen werden. Im Rahmen der weiteren Prüfung der konkreten Angemessenheit ist eine Beschränkung auf personenbezogene Ursachen nicht vorgesehen.

2. Die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze für die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ist auch schon für die vor dem 1.1.2011 geltende Rechtslage in Betracht zu ziehen. Maßgeblich für die Obliegenheit zur Senkung unangemessener Aufwendungen für Unterkunft oder Heizung durch einen Umzug ist nämlich, ob nach dem Umzug gemäß § 22 Abs 1 S 1 SGB II höhere Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für die neue Unterkunft zu berücksichtigen sind. Dann fehlt es an dem erforderlichen Zusammenhang zwischen einem Umzug und der tatsächlichen Kostensenkung.

3. Ein Abweichen von der Sechs-Monats-Frist des § 22 Abs 1 S 3 SGB II zur Kostensenkung kommt vor allen Dingen in Betracht, wenn die Kostenunangemessenheit einer Unterkunft auf durch geändertes Verbrauchsverhalten beeinflussbaren Faktoren beruht. Ist eine vom Vermieter oder Energieversorger bestimmte Höhe der Abschlagszahlungen an das Ergebnis jährlicher Abrechnungen gekoppelt, können über ein geändertes Verbrauchsverhalten erfolgreich durchgeführte Kostensenkungen erst nach Ablauf der Abrechnungsperiode und erfolgter Abrechnung wirksam werden. Dieser Umstand kann die Frist zur Entstehung einer Kostensenkungsobliegenheit verlängern.

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 19. August 2014 wird aufgehoben. Der Bescheid des Beklagten vom 9. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. März 2010 und für Juni 2010 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 29. April 2010 werden abgeändert und der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. März bis zum 30. Juni 2010 monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 730,57 EUR unter Anrechnung der bisher erbrachten Leistungen zu zahlen.

Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Ansprüche der Klägerin auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in der Zeit vom 1. März bis zum 30. Juni 2010. Die Klägerin begehrt höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung.

Die Klägerin ist im ... 1951 geboren. Sie wohnt seit 1989 in einer 68,64 qm großen Mietwohnung (drei Zimmer, Küche, Bad) im ... in C ... Vermieterin ist eine Wohnungsgenossenschaft. Die Wohnung der Klägerin gehört zu einer Gebäudeeinheit mit insgesamt 2.212,24 qm Wohnfläche. Die Beheizung in dieser Gebäudeeinheit wird mit dem Brennstoff Erdgas sichergestellt. In einer Mietbescheinigung vom 16. November 2007 konnte die Vermieterin bei der Frage nach der Heizungsart zwischen "Fernwärme", "Sammelheizung" und "Einzelraumheizung" wählen und kreuzte "Fernwärme" an. Die Aufbereitung des Warmwassers in der Wohnung erfolgt zentral.

Bis einschließlich Juli 2009 wohnte auch die 1978 geborene Tochter der Klägerin in der Wohnung im ... Die Mietforderungen für die Wohnung entwickelten sich wie folgt (Angaben in EUR):

(Tabelle)

Zu den Nebenkostenabrechnungen ab dem Jahr 2012 führte die Vermieterin aus: "Aufgrund der geringen Änderung wird auf eine Anpassung der Vorauszahlungen verzichtet".

Die Klägerin hatte auf einem Sparbuch 13,01 EUR angespart und ihr Girokontostand zum 14. Dezember 2009 belief sich auf 4,50 EUR. Neben den Leistungen nach dem SGB II verfügte sie im streitgegenständlichen Zeitraum über kein Einkommen.

Die Klägerin erhält seit Januar 2008 Leistungen nach dem SGB II durch den Beklagten, weil C. nach einer kommunalen Gebietsreform in den Landkreis W. eingegliedert wurde. Zuvor hatte sie bereits Arbeitslosengeld II durch die Kommunale Beschäftigungsagentur Z. und durch die Kommunale Beschäftigungsagentur B. bezogen.

Bereits mit einer Anlage zum Bewilligungsbescheid vom 2. Januar 2008 unterrichtete der Beklagte die Klägerin über die seines Erachtens zu hohen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Ab dem 1. Juli 2008 begrenzte er die berücksichtigten Aufwendungen für Heizung auf 84,60 EUR im Monat, wobei 42,30 EUR auf die Klägerin entfielen. In der Folgezeit führten die Beteiligten mehrere Verfahren zur Höhe der Leistungen für (Unterkunft und) Heizung.

Mit einer Anlage zum Bewilligungsbescheid vom 4. Dezember 2008 unterrichtete der Beklagte die Klägerin erneut über deren seiner Auffassung nach zu hohen Aufwendungen für Unt...

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