Entscheidungsstichwort (Thema)

Schriftformerfordernis bei der Versagung bzw. dem Entzug von Sozialleistungen wegen fehlender Mitwirkung

 

Orientierungssatz

1. Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, wenn der Leistunsberechtigte zuvor auf diese Folgen schriftlich hingewiesen worden ist und er seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.

2. Der Schriftform wird regelmäßig durch eine eigenhändige Unterschrift Rechnung getragen. Außerdem muss erkennbar sein, dass es sich bei dem maßgeblichen Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt und das Schriftstück mit Wissen und Wollen der Behörde dem Adressaten zugeleitet worden ist. Für die Einlegung eines Rechtsmittels ist eine einfache E-Mail nicht ausreichend. Ausgehend von den Anforderungen des SGG sind die Voraussetzungen der Schriftlichkeit dabei nicht erfüllt, wenn die jeweilige Landesregierung die elektronische Kommunikation nach § 65 a SGG nicht zugelassen hat.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 10.09.2012 geändert und der Bescheid vom 23.05.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.09.2011 aufgehoben.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Entziehung der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 01.06.2011 bis zum 04.07.2011 rechtmäßig war.

Der Kläger steht im Leistungsbezug beim Beklagten. Nach Aktenlage hat die Deutsche Post bereits seit längerem Zustellungsverbot zu der Wohnanschrift des Klägers; es gibt eine abweichende Postanschrift (c/o C, X Straße 00 in L). Am 11.03.2012 untersagte der Kläger dem Beklagten Postzustellungen an seine vom Wohnort abweichende Postanschrift. Das Jobcenter habe wohl den Wechsel von der Deutschen Post AG zu TNT vollzogen, so dass diese Anschrift nicht mehr nötig sei.

Im Anschluss an den Fortzahlungsantrag des Klägers forderte der Beklagte zwecks Sicherstellung der persönlichen Erreichbarkeit eine schriftliche Mitteilung, unter welcher Anschrift er zukünftig erreichbar sei. Eine dauerhafte Kommunikation per E-Mail werde nicht erfolgen. Mit E-Mail vom 05.04.2011 bat der Beklagte um Vorlage einer Vollmacht, dass sämtlicher Schriftverkehr an Herrn C geschickt werden dürfe. Danach werde der Bescheid erteilt.

Mit E-Mail vom 13.04.2011, unterzeichnet mit "I W" in Druckbuchstaben, wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass er nach § 60 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) verpflichtet sei, am Leistungsverfahren mitzuwirken. Er habe alle Tatsachen anzugeben, die für eine Geldleistung erforderlich seien. Insofern werde er letztmalig aufgefordert, bis zum 20.04.2011 eine geeignete Vollmacht vorzulegen bzw. zu erklären, dass Post an die Wohnadresse übersandt werden könne. Ansonsten würde die Leistung in Zukunft ganz oder teilweise bis zur Nachholung einer Mitwirkung gemäß § 66 Abs. 1 SGB I entzogen bzw. versagt. Der Beklagte zitierte § 66 Abs. 1 SGB I. Zudem informierte der Beklagte den Kläger, dass keine weitere Korrespondenz per E-Mail erfolgen werde.

Mit E-Mail vom 13.04.2011 führte der Kläger aus, dass er unter seiner Adresse postalisch erreichbar sei mit der Besonderheit, dass die Post AG Zustellverbot habe. Seiner Mitwirkungspflicht habe er Genüge getan. Der Beklagte müsse lediglich geeignete Kommunikationswege nutzen.

Mit Bescheid vom 04.05.2011 bewilligte der Beklagte für den Zeitraum vom 01.03.2011 bis zum 31.08.2011 Grundsicherung.

Mit an die Wohnadresse des Klägers gesandtem Bescheid vom 23.05.2011 entzog der Beklagte nach § 66 SGB I ab dem 01.06.2011 die Leistungen vollständig. Die fehlenden Unterlagen und Nachweise zu einer Erreichbarkeit seien trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht vollständig vorgelegt worden. Dadurch sei der Kläger seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Er habe die Aufklärung des Sachverhaltes erheblich erschwert. Vom Ermessen sei Gebrauch gemacht worden. Die Behörde sei verpflichtet, wirtschaftlich zu handeln. Die Anspruchsvoraussetzungen könnten deshalb nicht geprüft werden. Grundlage für die Entscheidung seien §§ 60, 66 SGB I. Ohne eine Adresse, an die die Post übersandt werden könne, sei nicht feststellbar, ob der Kläger sich im zeit- und ortsnahen Bereich im Sinne von § 7 Abs. 4a SGB II aufhalte.

Aus einem Gesprächsvermerk des P. B. über einen Anruf des Klägers vom 30.05.2011, der nach dem Verbleib der Leistungen für Juni 2011 fragte, ergibt sich, dass in A2LL ein Entziehungsbescheid gespeichert ist, nach Angabe des Klägers für das Postzustellverfahren eine abweichende Anschrift und in VerBIS ein Sperrvermerk existiert. Aus dem Vermerk ergibt sich weiter, dass der Kläger während des Verlesens des Bescheides aufgelegt hat.

Der Kläger hat am 30.05.2011 einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt. Das Sozialgericht (SG) hat die aufschiebende Wirkung des Widers...

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