Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Ausschreibungspflicht bei Arzneimittelrabattverträgen. Krankenkasse ist öffentlicher Auftraggeber. Rabattvertrag ist ein öffentlicher Lieferauftrag. Informationspflicht gegenüber dem unterlegenen Bieter

 

Orientierungssatz

1. Beim Abschluss von Arzneimittelrabattverträgen handeln die gesetzlichen Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber iS des § 98 Nr 2 GWB.

2. Der nach § 130a Abs 8 SGB 5 abgeschlossene Rabattvertrag ist ein öffentlicher Lieferauftrag iS von § 99 Abs 2 GWB. Der Annahme eines entgeltlichen Vertrags iS dieser Vorschrift steht nicht entgegen, dass die Arzneimittel durch Vertragsärzte verordnet werden. Bei der Ausstellung der Verordnung handeln sie kraft der ihnen durch das Vertragsarztrecht verliehenen Kompetenzen als Vertreter der Krankenkassen.

3. Die Krankenkasse ist als öffentlicher Auftraggeber verpflichtet, Bietern, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, den Namen des für den Zuschlag vorgesehenen Bieters und die Gründe für die Nichtberücksichtigung des Angebotes mitzuteilen. Ein Arzneimittelrabattvertrag, welcher unter Verletzung dieses Gebotes zustande gekommen ist, ist nichtig.

 

Tenor

Die Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 22.05.2009 werden zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren. Die Beigeladene trägt die Kosten des Antrages auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde sowie die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren wird für notwendig erklärt.

 

Gründe

I.

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Ausschreibungspflicht einer Arzneimittelrabattvereinbarung.

Die Antragsgegnerin (AG) - eine gesetzliche Krankenkasse - schloss am 16.12.2008 für die Zeit ab 01.01.2009 ohne vorherige Durchführung eines Vergabeverfahrens mit der Beigeladenen (BG), einem pharmazeutischen Unternehmen, einen Arzneimittelrabattvertrag nach § 130a Abs. 8 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) über das Fertigarzneimittel F®, das den Wirkstoff Interferon-ß-1b enthält und europaweit zur Behandlung der Multiplen Sklerose (MS) zugelassen ist. Es wird seit dem 01.01.2009 vertrieben.

Gegenstand des Vertrages ist die Gewährung eines Rabattes für Packungen von F®, die durch die BG vertrieben und zu Lasten der AG an ihre Versicherten über öffentliche Apotheken oder Versandapotheken abgegeben werden (§§ 1, 2 Rabattvertrag). Der Vertrag enthält darüber hinaus u.a. folgende Abreden:

§ 4 Weitere Verpflichtungen der Vertragspartner ( ...) (2) Die Vertragspartner werden Ärzte, Apotheker und Patienten gemeinsam unter Beachtung der heilmittelrechtlichen Vorschriften über den Abschluss dieses Vertrages und dessen Inhalt informieren. Darüber hinaus verpflichten sich die Vertragspartner zu weiteren gemeinsam abgestimmten Informationen von Ärzten, Apothekern und Patienten. (3) Durch diesen Vertrag werden die Vertragspartner nicht daran gehindert, weitere Verträge gemäß § 130a Abs. 8 SGB V über die vertragsgegenständlichen oder wirkstoffgleiche Arzneimittel abzuschließen. ( ...).

Mit Rundschreiben vom 05.02.2009 unterrichtete die AG die Vertragsärzte über den Abschluss des Rabattvertrages mit der BG. Die betroffenen Versicherten der AG wurden mit Schreiben vom 13.02.2009 über den Abschluss des Rabattvertrages informiert. Ebenso wurde die Informationsstelle für Arzneimittelspezialitäten GmbH (IFA) unterrichtet.

Die Antragstellerin (AS) vertreibt das Fertigarzneimittel C®, das ebenfalls den Wirkstoff Interferon-ß-1b enthält. C® und F® sind von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMEA) als identisch eingestuft worden (Europäischer Öffentlicher Beurteilungsbericht - EMEA H/C/933). Beide Arzneimittel werden durch den selben Hersteller (Chiron) in den USA produziert. Die AS bietet C® im Zusammenhang mit einem sog. "Schwesternprogramm" an, bei dem die mit dem Medikament behandelten Patienten im Verlauf der Therapie durch speziell ausgebildete Krankenschwestern betreut werden. Das Arzneimittel kann auch ohne das "Schwesternprogramm" verordnet und verabreicht werden.

Vor dem Vertragsschluss zwischen AG und BG führten Vertreter der AS am 05.11.2008 ein Gespräch mit Vertretern der AG über eine mögliche vertragliche Kooperation bezüglich C®. Mit Schreiben vom 05.12.2008 übermittelte die AS ein Angebot zum Abschluss einer Rabattvereinbarung. Das Angebot der AS bezog sich auch auf das sog. "Schwesternprogramm".

Während einer am 03.02.2009 geführten telefonischen Unterredung mit der AG beanstandete die AS u.a., dass ein Vergabeverfahren nicht durchgeführt worden sei.

In einem Vermerk vom 04.02.2009 legte die AG u.a. Folgendes dar:

" ... In der Apothekensoftware wird C als auszutauschen gegen F angezeigt. Es ist mit einer Substitution in der Apo...

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