Entscheidungsstichwort (Thema)

Prüfungskompetenz der Vergabekammer bei der Rüge von Vergabefehlern durch einen pharmazeutischen Hersteller im Rahmen einer Arzneimittelausschreibung

 

Orientierungssatz

1. Die gesetzlichen Krankenkassen handeln beim Abschluss von Arzneimittelrabattverträgen als öffentliche Auftraggeber i. S. von § 98 Nr. 2 GWB.

2. Die Antragsbefugnis eines pharmazeutischen Unternehmens zur Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der Vergabekammer des Bundes setzt neben dem Interesse des Bieters am Auftrag eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB durch die Nichtbeachtung bieterschützender Vergabevorschriften voraus.

3. Die nach dem Rahmenrabattvertrag vorgesehene Regelung zur Vergabe der Einzelaufträge muss die Verwirklichung der Grundfreiheiten sowie die aus den Grundfreiheiten abzuleitenden Grundsätze der Transparenz, Nichtdiskriminierung und Verhältnismäßigkeit beachten.

4. Es ist zwar vergaberechtlich zulässig, einen Rahmenrabattvertrag mit nur einem pharmazeutischen Unternehmen abzuschließen. Aus gründen des Wettbewerbsprinzips kann es im Einzelfall jedoch geboten sein, nicht nur den Bieter mit dem günstigsten Gebot zu berücksichtigen, weil nur auf diese Weise sofortige Verfügbarkeit und die Berücksichtigung anderer sachlich gerechtfertigter Gesichtspunkte, wie die Akzeptanz eines Arzneimittels, durch den Versicherten oder die Verträglichkeit gewährleistet sind.

 

Tenor

Der Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes vom 22.05.2009 wird aufgehoben und der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und die der Antragsgegnerinnen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen trägt die Antragstellerin.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerinnen trägt die Antragstellerin.

Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerinnen im Verfahren vor der Vergabekammer und im Beschwerdeverfahren wird für notwendig erklärt.

 

Gründe

I.

Die Beschwerdeführerinnen und Antragsgegnerinnen (AG) haben den Abschluss von Rabattverträgen nach § 130a Abs. 8 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) im offenen Verfahren europaweit (Bekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union 2008/S. 222-295505 vom 14.11.2008, berichtigt durch 2008/S. 238-315545 vom 06.12.2008) ausgeschrieben (Ende der Angebotsfrist: 12.01.2009). Die Ausschreibung umfasst 18 - jeweils auf einen Wirkstoff bezogene - Lose:

Los 1 Amitriptylin

Los 2 Atenolol

Los 3 Bisoprolol

Los 4 Carvedilol

Los 5 Citalopram

Los 6 Clozapin

Los 7 Doxepin

Los 8 Fentanyl

Los 9 Gabapentin

Los 10 Levodopa/Carbidopa

Los 11 Lorazepam

Los 12 Metoprololsuccinat

Los 13 Metoprololtartrat

Los 14 Mirtazapin

Los 15 Opipramol

Los 16 Risperidon

Los 17 Sotalol

Los 18 Trimipramin

Für die - allein von der Antragstellerin (AS) vertriebenen - Fertigarzneimittel Amitriptylin 100 mg Filmtabletten und Opipramol 150mg Filmtabletten fragten die AG keinen Rabatt nach.

Es ist vorgesehen, Rabattverträge mit jeweils drei Bietern je Los zu schließen. Die Verträge (die ursprünglich zum 01.05.2009 in Kraft treten sollten) haben eine Laufzeit von zwei Jahren mit einer zweimaligen einseitigen Verlängerungsmöglichkeit durch die AG von je einem Jahr. Mindestabnahmemengen von Arzneimitteln werden nicht garantiert. Der Auftragnehmer gewährt absolute Rabatte auf alle Arzneimittel eines Wirkstoffs, die Vertragsgegenstand geworden sind. Der Rabatt ist (zwar) für jedes Los (jeden Wirkstoff) einheitlich anzubieten, jedoch besteht keine Verpflichtung, jedes von dem betreffenden Unternehmen produzierte Arzneimittel des betreffenden Wirkstoffs (jede Pharmazentralnummer (PZN)) anzubieten. Die Wirtschaftlichkeit der Angebote beurteilt sich nach den Verdingungsunterlagen ausschließlich an Hand des Kriteriums der erzielbaren Einsparungen.

§ 10 Abs. 1 des Vertragsentwurfs regelt den Eintritt des Ruhens des Vertrages:

"Für den Fall, dass der Apothekenverkaufspreis (AVP) abzüglich des Rabattes der von diesem Vertrag erfassten Arzneimittel höher ist als der drittgünstigste AVP der austauschfähigen Arzneimittel (vgl. § 4 Rahmenvertrag gemäß § 129 Abs. 2 SGB V in der jeweils gültigen Fassung, abzurufen unter www.vdak-aev.de), kann der Vertrag durch einseitige Erklärung der Kooperationskassen zum Ruhen gebracht werden. Der Vertrag ruht sodann ab Veröffentlichung durch die ABDATA für das betroffene Fertigarzneimittel."

Die AS gab Angebote zu den Losen 1 (Wirkstoff: Amitriptylin), 6 (Wirkstoff: Clozapin) und 15 (Wirkstoff: Opipramol) ab.

Zuvor hatte die AS mit E-Mail vom 21.11.2008 beanstandet, dass § 3a Nr. 4 Abs. 6 und 7 Verdingungsordnung für Leistungen - Teil A (VOL/A) nicht vorsehe, dass ein Apotheker oder Arzt die vergaberechtliche Auswahlentscheidung treffe und dass den Bietern ein ungewöhnliches Wagnis auferlegt werde, weil sie nicht in der Lage sei, die Verteilung des Gesamtverordnungsvolumens auf die einzelnen Lose zu kalkulieren. Die AS fragte darüber hinaus nach ...

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