Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. Anspruch auf Versorgung mit einer Spracherkennungssoftware zur Teilnahme am Schulunterricht

 

Orientierungssatz

Eine Versicherte, die an einer spastischen Zerebralparese leidet, kann für die Teilnahme am Schulunterricht die Versorgung mit einer Spracherkennungssoftware beanspruchen.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 27. März 2018 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch in der Berufungsinstanz die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Spracherkennungssoftware „Dragon“ hat.

Die im Jahr 2006 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse (KK) familienversichert. Sie leidet infolge einer frühkindlichen Hirnblutung an einer infantilen spastischen Zerebralparese. Sie besucht eine Förderschule mit dem Schwerpunkten Lernen und geistige Entwicklung. Unter dem 9. März 2016 stellten die Eltern der Klägerin über das Förderzentrum der F., G. einen Antrag auf Gewährung u.a. einer Spracherkennungssoftware. Dem Antrag war beigefügt ein Erprobungsbericht der H. GmbH vom 29. Februar 2016, aus dem hervorgeht, dass die Klägerin eine behindertengerechte PC-Ansteuerung benötige. Die Eingabe über eine Tastatur allein scheinen nicht zielführend zu sein, da sie damit zu langsam sei. Eine Kombination aus Sprachsteuerung (nach gezielter Übung) und Verwendung einer Cherry Tastatur mit Fingerführung erscheine sinnvoll. Vorgeschlagen wurde eine Versorgung mit dem Schulprogramm Multitext, mit der Spracherkennungssoftware Dragon Naturally Speaking und einer Cherry Tastatur mit Fingerführung. In einem Kostenvoranschlag der Firma H. GmbH werden die Kosten mit 1.950,-- Euro angegeben.

Mit Bescheid vom 23. März 2016 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Software Dragon Naturally Speaking ab. Bei der Software handele es sich um einen handelsüblichen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Hierzu würden die Gegenstände zählen, die allgemeine Verwendung finden und üblicherweise von einer großen Zahl von Menschen genutzt würden.

Dagegen richteten sich die Eltern der Klägerin mit Widerspruch vom 4. April 2016. Die Auffassung der Beklagten sei bereits deshalb nicht nachvollziehbar, weil typischerweise kein einziges Kind im Grundschulalter eine derartige Software üblicherweise verwenden würde. Nicht einmal bei Erwachsenen sei diese spezielle Software allgemein verbreitet und werde von einer großen Vielzahl von Menschen genutzt. Dies sei abwegig. Die Klägerin sei aus gesundheitlichen Gründen nicht wie andere Kinder in der Lage, mit der Hand zu schreiben. Sie leide unter einer spastischen Parese; neben den Beinen seien auch die Arme bzw. die Hände betroffen, weshalb es ihr wegen der motorischen Störung nicht möglich sei, in der Schule mitzuschreiben oder ihre Hausaufgaben handschriftlich zu verrichten. Die Software solle der Klägerin ermöglichen, schulisch behindertengerecht mitzuhalten und sowohl in der Schule als auch bei den Hausarbeiten über den Laptop unter Verwendung der speziellen Software am Unterricht teilnehmen zu können. Die angegebene Software sei ein anerkanntes Hilfsmittel und unter der Hilfsmittel-Nr. 16.99.06.3900 im Hilfsmittelverzeichnis eingetragen. Die Kosten für die Software würden deswegen nach Mitteilung der Firma H. GmbH regelmäßig von allen gesetzlichen KKen übernommen.

Die Beklagte beauftragte daraufhin den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Erstellung eines Sozialmedizinischen Gutachtens. In diesem Gutachten vom 29. April 2016 teilte der Sachverständige I. mit, dass die Klägerin infolge einer Hirnblutung an einer spastischen Zerebralparese leide. Die Sprachansteuerung des PCs könne problemlos über die übliche Windows-Software erfolgen. Vor diesem Hintergrund überschreite die Verordnung von Dragon Naturally Speaking das Maß des medizinisch Notwendigen und werde §§ 2 und 12 SGB V nicht gerecht.

Unter dem 21. April 2016 beteiligte die beklagte KK im Rahmen der Amtshilfe den Landkreis J. als Träger der Sozialhilfe. Die von der Klägerin beantragte Dragon Naturally Speaking Software gehe über eine Hilfsmittelversorgung zur Erfüllung der gesetzlichen Schulpflicht in Niedersachsen hinaus. Der Grund hierfür sei, dass es sich bei der Software um einen handelsüblichen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handeln würde. Die Kostenübernahme für Gebrauchsgegenstände sei gemäß § 33 Abs.1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgeschlossen. Es sei zu prüfen, ob und welche Leistungen vom Träger der Sozialhilfe in diesem Einzelfall zu erbringen wären.

Mit Bescheid vom 9. Juni 2016 lehnte auch der Landkreis J. die Übernahme der Kosten für die Spracherkennungssoftware im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen ab....

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