Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. unangemessene Verfahrensdauer. instanzübergreifende Betrachtung. Kompensation der Verfahrensverzögerung in anderen Verfahrensabschnitten. zügigere Bearbeitung in der Berufungsinstanz. Anrechnung nicht verbrauchter Vorbereitungs- und Bedenkzeit auf die vorgehende Instanz. aktive Verfahrensförderung durch das Gericht. Abgabe der Verwaltungsakte an einen Verfahrensbeteiligten. Einstufung als Aktivzeit

 

Orientierungssatz

1. Zeiten fehlender Verfahrensförderung durch das Gericht in bestimmten Verfahrensabschnitten können in davor oder danach liegenden Verfahrensabschnitten ausgeglichen werden (vgl BSG vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R = BSGE 117, 21 = SozR 4-1720 § 198 Nr 3, B 10 ÜG 9/13 R = SozR 4-1720 § 198 Nr 6, B 10 ÜG 12/13 R = SozR 4-1720 § 198 Nr 4 und B 10 ÜG 2/14 R = SozR 4-1720 § 198 Nr 5).

2. Eine gerichtliche Phase der Inaktivität wird durch die Abgabe der Verwaltungsakte an den Beklagten unterbrochen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 06.12.2018; Aktenzeichen B 10 ÜG 5/18 B)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines vor dem Sozialgericht (Az. S 4 AS 1269/11) und dem Landessozialgericht (Az. L 4 AS 485/14) geführten Verfahrens hat.

Der Kläger erhob am 14. April 2011 beim Sozialgericht Klage gegen Bescheid und Widerspruchbescheid des Jobcenters, mit denen dieses Leistungen für die Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme in Form von Fahrkosten zurückgefordert hatte und beantragte überdies die Beklagte zur Fortführung der Maßnahme bei einem anderen Bildungsträger zu verurteilen. Die Klage wurde am 19. April an die Beklagte übersendet, welche am 2. Mai 2011 (Eingang bei Gericht) die Klageerwiderung und die Verwaltungsakte bei Gericht einreichte. Am 3. Mai 2011 wurde das Verfahren zunächst zur Sitzung geschrieben. Im Juni 2011 gab der Kläger im Antragsdienst eine "erweiterte Klage " ab, welche an die Beklagte übersendet wurde. Nach einem Hinweis an den Kläger wurde das Verfahren erneut zur Sitzung geschrieben. Am 3. August 2011 ging eine Stellungnahme des Klägers ein, welche an die Beklagte weitergereicht wurde. Es folgten weitere Stellungnahmen der Beklagten und des Klägers. Am 20. September 2011 wurde das Verfahren nach vorheriger Anhörung der Beteiligten zum Gerichtsbescheid geschrieben.

Am 27. Dezember 2012 gab der Kläger erneut eine Klageerweiterung sowie einen Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) im Gericht ab. Im Januar 2013 erhob der Kläger eine weitere Klage. Am 14. Februar 2013 erfolgte eine Übermittlung der Klageerweiterung und des PKH-Antrages an die Beklagte, am 19. Februar 2013 nahm der Kläger den PKH-Antrag zurück. Im Mai 2013 wurde die Verwaltungsakte auf Anforderung an die Beklagte übersendet, die Rückgabe erfolgte im Juni 2013. Am 20. Juni 2013 wurde das Verfahren wieder zum Gerichtsbescheid geschrieben.

Am 14. November 2013 erhob der Kläger eine Verzögerungsrüge.

Am 20. Januar 2014 erging ein klagabweisender Gerichtsbescheid, welcher fälschlicherweise mit einer Rechtmittelbelehrung zur Nichtzulassungsbeschwerde versehen war. Hiergegen legte der Kläger am 5. Dezember 2014 Berufung ein. Im Januar 2015 kündigte er eine weitere Stellungnahme an. Im Februar, im März und im Juni 2015 beantragte der Kläger Fristverlängerungen bezüglich der angekündigten Stellungnahme. Am 8. Januar 2015 wurde das Verfahren gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Berichterstatter übertragen. Im Oktober 2015 wurde das Verfahren zur Sitzung geschrieben. Die Ladungsverfügung erging im Januar 2016. Die mündliche Verhandlung vor dem Landessozialgericht am 25. Februar 2016 endete mit einem klagabweisenden Urteil, welches am 1. März 2016 zugestellt wurde. Am 26. April 2016 erging auf die Nichtzulassungsbeschwerde an das Bundessozialgericht (BSG) schlussendlich ein ablehnender PKH-Beschluss des BSG.

Bereits am 5. Dezember 2014 hatte der Kläger Entschädigungsklage erhoben. Die lange Verfahrensdauer habe seine Gesundheit beeinträchtigt. Wichtige Dokumente seien bisher unberücksichtigt geblieben.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer des Verfahrens S 4 AS 1269/11 = L 4 AS 485/14 zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruches nicht für gegeben.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte des vorliegenden Verfahrens sowie auf die Prozessakte des Verfahrens S 4 AS 1269/11 Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig.

Für das Klageverfahren sind die Vorschriften der §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) sowie die §§ 183, 197a und 202 SGG i.d.F. des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlic...

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