Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der Zuerkennung des Merkzeichens aG. außergewöhnliche Gehbehinderung

 

Orientierungssatz

1. Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" hat nach § 229 Abs. 3 S. 2 SGB 9 der mit einem GdB von wenigstens 80 anerkannte Schwerbehinderte, wenn er sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeugs bewegen kann. Dabei muss die mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung einen GdB von 80 erreichen. Die Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Schwerbehinderte sich praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeugs an nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung bewegen kann, und zwar auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (BSG Urteil vom 16. 3. 2016, B 9 SB 1/15 R).

2. Erreichen die sich auf das Gehvermögen des Schwerbehinderten auswirkenden Funktionsbeeinträchtigungen nicht einen GdB von 80, so ist die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" ausgeschlossen.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 3. August 2017 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Zuerkennung des Merkzeichens aG (außergewöhnliche Gehbehinderung).

Die 1966 geborene Klägerin leidet an einer Rückenmarkschädigung mit Teillähmung, zeitweise einschießender Spastik beider Beine und sensibler inkompletter Querschnittssymptomatik. Bei ihr wurden 2011 ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen G und B festgestellt.

Ihren Antrag vom 24. Februar 2014 auf Feststellung eines höheren GdB und Zuerkennung des Merkzeichens aG lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 3. Juni 2014 ab. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, den der Beklagte auf der Grundlage des Gutachtens der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. K vom 7. Februar 2015 mit Widerspruchsbescheid vom 6. März 2015 zurückwies.

Mit der bei dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Das Sozialgericht hat neben Befundberichten das Gutachten des Chirurgen und Sozialmediziners Dr. B vom 19. April 2016 eingeholt, der zu der Einschätzung gelangt ist, die Klägerin könne sich außerhalb eines Kraftfahrtzeugs ohne fremde Hilfe bewegen.

Auf den Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht den Facharzt für Anästhesiologie Dr. J gehört, der eine außergewöhnliche Gehbehinderung der Klägerin bejaht hat. Die von der Klägerin geschilderten Schmerzen, neurologischen Störungen und die damit verbundenen Funktionsstörungen seien seiner subjektiven Gewissheit nach auch unter Berücksichtigung einer Konsistenzprüfung tatsächlich vorhanden. In der Stellungnahme vom 3. Februar 2017 zu diesem Gutachten ist der Sachverständige Dr. B bei seiner Auffassung geblieben.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 3. August 2017 mit der Begründung abgewiesen, bei der Klägerin lägen die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht vor. Nach den schlüssigen Darlegungen des Sachverständige Dr. B wirke sich die inkomplette Querschnittssymptomatik der Klägerin nicht in einem solchem Maße aus, dass sie sich dauerhaft nur mit fremder Hilfe oder großer Anstrengung bewegen könne. Die hiervon abweichende Einschätzung des Sachverständigen Dr. J sei anhand dessen Gutachtens nicht nachvollziehbar, da keine objektiven Befunde erhoben worden seien.

Mit der Berufung gegen diese Entscheidung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Arbeitsmediziners Dr. G vom 22. Juli 2019. Der Sachverständige ist nach Untersuchung der Klägerin und Durchführung eines Gehtests zu dem Schluss gelangt, dass die Klägerin in ihrer Gehfähigkeit deutlich eingeschränkt sei und für sie erhebliche Anstrengungen bei Gehen erforderlich seien. Die Frage, ob sie sich wegen der Schwere der Behinderung auf öffentlichem Straßenland - praktisch von den ersten Schritten außerhalb eines Fahrzeugs an - dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung bewege, hat er jedoch verneint.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 3. August 2017 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 3. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. März 2015 zu verpflichten, bei ihr mit Wirkung ab dem 24. Februar 2014 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG festzustellen.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts, soweit sie anfochten worden ist, für zutreffend.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der Beratung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf d...

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