Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der Zuerkennung des Merkzeichens "aG" bzw. "RF" im Schwerbehindertenrecht

 

Orientierungssatz

1. Eine mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung zur Zuerkennung des Merkzeichens aG liegt nach § 229 Abs. 3 SGB 9 vor, wenn sich der mit einem GdB von 80 bewertete schwerbehinderte Mensch dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeugs bewegen kann. Diese Voraussetzungen sind u. a. zu verneinen, wenn der Schwerbehinderte innerhalb von 18 Minuten eine Strecke von 485 Metern zurücklegen kann, ohne eine relevante Erschöpfungssymptomatik zu zeigen.

2. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens RF erfüllt nach § 152 Abs. 1 und 4 SGB 9 der mit einem GdB von 80 anerkannte Schwerbehinderte, wenn er an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann.

3. Als öffentliche Veranstaltungen sind Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger als 30 Minuten dauern.

4. Durch die Notwendigkeit eines Rollators bzw. einer Begleitperson ist der Schwerbehinderte nicht ständig von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen. Bei Harninkontinenz ist die Benutzung von Windelhosen zumutbar.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. April 2017 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger noch einen GdB von 90, die Zuerkennung der Merkzeichen aG und RF sowie die Rückzahlung von 5,00 Euro.

Mit Bescheid vom 16. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 2012 stellte der Beklagte bei dem Kläger, u.a. wegen Erkrankung der Prostata in Heilungsbewährung, einen GdB von 60 fest. Entsprechend seinem Teilanerkenntnis im anschließenden sozialgerichtlichen Streitverfahren und gemäß der Verpflichtung im Urteil des Landessozialgerichts zum Aktenzeichen L 13 SB 172/13 stellte der Beklagte mit Ausführungsbescheid vom 14. März 2014 bei dem Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G bzw. einen GdB von 80 fest.

Der Kläger beantragte am 6. Februar 2015 die Feststellung eines höheren GdB sowie die Zuerkennung der Merkzeichen G und aG und am 21. Mai 2015 die Zuerkennung des Merkzeichens RF.

In dem hinsichtlich der Heilungsbewährung vom Beklagten eingeleiteten Nachprüfungsverfahren wurde nach Auswertung der angeforderten Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte festgestellt, dass hinsichtlich der Erkrankung der Prostata kein Rezidiv aufgetreten war. Der Beklagte hörte deshalb den Kläger zu der beabsichtigten Herabsetzungsentscheidung an. Mit Schreiben vom 10. Oktober 2015 bat der Kläger um Übersendung von Kopien aus der SB-Akte. Hierfür forderte der Beklagte mit Schreiben vom 9. November 2015 Gebühren in Höhe von 5,00 Euro. Diesen Betrag leistete der Kläger, beantragte aber mit Schreiben vom 11. November 2015 die Rückerstattung.

Mit Bescheid vom 17. November 2015 stufte der Beklagte bei dem Kläger mit Wirkung ab dem 21. November 2015 den GdB auf 50 herab, stellte fest, dass weiterhin die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G vorlägen, und lehnte die Zuerkennung der Merkzeichen aG und RF ab. Dieser Bescheid ist lt. Aktenvermerk am 18. November 2015 abgesandt worden. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 2016 zurück. Er ging hierbei von folgenden Einzelbehinderungen aus:

1. Knorpelschaden am Kniegelenk beidseitig, Funktionsstörung durch Fußfehlform (Einzel-GdB von 30),

2. Erkrankung der Prostata bei erreichter Heilungsbewährung, partielle Harninkontinenz, erektile Dysfunktion (Einzel-GdB von 20),

3. degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, operierte Bandscheibe, Wirbelsäulenverformung, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Nerven- und Muskelreizerscheinungen (Einzel-GdB von 20),

4. Bluthochdruck (Einzel-GdB von 20),

5. Harninkontinenz (Einzel-GdB von 20),

6. Harnsäurestoffwechselstörung (Einzel-GdB von 10),

7. Refluxkrankheit der Speiseröhre (Einzel-GdB von 10).

Mit der Klage bei dem Sozialgericht Berlin hat der Kläger einen GdB von 90, die Merkzeichen aG und RF sowie die Erstattung von 5,00 Euro begehrt. Nach versorgungsärztlicher Auswertung der vom Sozialgericht eingeholten Befundberichte hat Beklagte mit Schriftsatz vom 11. Juli 2016 erklärt, bei dem Kläger einen GdB von 60 anzuerkennen. Dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger nicht angenommen.

Das Sozialgericht hat das Gutachten des praktischen Arztes M vom 31. Oktober 2016 eingeholt, der den GdB bis August 2015 mit 80 und ab September 2015 mit 50 eingeschätzt hat. Dem legte der Gutachter folgende Einzelbehinderungen zugrunde:

1. Knorpelschaden am Kniegelenk beidseitig, Funktionsstörung durch Fußfehlform (Einzel-GdB 30),

2. degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, operierte Bandscheibe, Wirbelsäulenv...

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