Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung. Sozialhilfe nach längerer Aufenthaltsdauer. Student. Anwendung des Leistungsausschlusses nach § 22 Abs 1 S 1 SGB 12. abstrakte Förderungsfähigkeit nach BAföG. besonderer Härtefall

 

Orientierungssatz

1. Ob der Leistungsausschluss nach § 22 Abs 1 S 1 SGB 12 aufgrund der Förderungsfähigkeit der Ausbildung nach BAföG greift, ist allein nach den objektiven Verhältnissen (hier: Immatrikulation) zu beurteilen (vgl OVG Lüneburg vom 10.11.1997 - 12 L 878/97 = FEVS 48, 468). An der Grundvoraussetzung für eine Förderung nach BAföG, dem Besuch einer Ausbildungsstätte, fehlt es während des Bestehens einer formalen Immatrikulation nur, wenn und solange der Auszubildende von der Ausbildungsstätte beurlaubt ist (vgl BVerwG vom 25.8.1999 - 5 B 153/99 = FEVS 51, 151).

2. Die Beschränkung der Ausbildungsförderung auf den Personenkreis des § 8 BAföG, also zwar auf anerkannte Asylberechtigte, nicht aber auf Asylbewerber, stellt eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung dar, die nicht über die Anwendung des § 22 Abs 1 S 2 SGB 12 auf diese Fälle unterlaufen werden darf (vgl OVG Saarlouis vom 23.9.1988 - 1 W 380/88 = FEVS 38, 116).

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 14. September 2005 wird aufgehoben.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 01. September 2005 wird zurückgewiesen.

Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten bewilligt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt für den Antragsteller.

Der 1963 geborene Antragsteller, ein Staatsangehöriger K, reiste 1987 nach Deutschland ein, um in B an der T Universität Maschinenbau zu studieren. Nach Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis und vergeblichen Abschiebungsversuchen stellte er einen Asylantrag, über den noch nicht rechtskräftig entschieden ist. Gemäß einer Auflage zu seiner Aufenthaltsgestattung ist er verpflichtet, in einer Gemeinschaftsunterkunft in P zu wohnen. Ihm ist nicht erlaubt, während des Asylverfahrens einem Studium oder einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und nach B zu reisen. Der Antragsteller ist noch immer - inzwischen im 29. Semester - als Student der T Universität B immatrikuliert.

Die Antragsgegnerin gewährte dem Antragsteller Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, zuletzt laufende Hilfe zum Lebensunterhalt analog Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) für den August 2005. Mit Bescheid vom 10. August 2005 lehnte die Antragsgegnerin es ab, dem Antragsteller vom 01. September 2005 an Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren, weil er noch immer an der T Universität studiere und diese Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) dem Grunde nach förderungsfähig sei und damit entsprechend § 22 Abs. 1 SGB XII der Anspruch auf Sozialhilfeleistungen ausgeschlossen sei. Gegen diese Ablehnung legte der Antragsteller mit Schreiben vom 26. August 2005 Widerspruch ein.

Am 01. September 2005 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Potsdam beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, ihm bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens Hilfe zum Lebensunterhalt analog SGB XII zu zahlen.

Die Antragsgegnerin hat unter Aufrechterhaltung ihrer Rechtsauffassung aus dem Widerspruchsbescheid beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Mit Beschluss vom 14. September 2005 hat das Sozialgericht Potsdam die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für den Zeitraum vom 01. September 2005 bis zum 31. Oktober 2005 Hilfe zum Lebensunterhalt analog SGB XII zu gewähren. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der Anspruchsausschluss entsprechend § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII greife nicht, weil der Antragsteller einem öffentlich-rechtlichen Verbot zu studieren unterliege und mithin nur pro forma Student sei. Dieses Studium sei nicht dem Grunde nach förderungsfähig, denn dies setze voraus, dass die Förderung prinzipiell möglich sei. Das öffentlich-rechtliche Studierverbot stehe einer Förderungsfähigkeit dem Grunde nach aber entgegen.

Gegen den am 15. September 2005 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 05. Oktober 2005 Beschwerde eingelegt. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII betreffe die abstrakte Förderungsfähigkeit einer Ausbildung nach dem BAföG oder dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch - SGB III -, unabhängig von im konkreten Fall fehlenden Voraussetzungen nach den einschlägigen gesetzlichen Regelungen. Studierende an staatlichen Hochschulen seien stets dem Grunde nach BAföG berechtigt, sofern sie sich in einem Vollstudiengang befinden, es sei denn, es liege eine Beurlaubung vor. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines besonderen Härtefalls im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII seien nicht erkennbar. Der Antragsteller habe es in der Hand, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII zu schaffen, indem er sich exmatrikuliere oder si...

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