2.1 Dogmatische Grundlagen des Rechts der sozialen Entschädigung

 

Rz. 7

Grundgedanke des SER ist, dass die staatliche Gemeinschaft die Lasten ausgleichen muss, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden Schicksal, namentlich durch Eingriffe von außen, entstanden sind und mehr oder weniger zufällig nur einen Bürger oder bestimmte Gruppen getroffen haben (BVerfG, Entscheidung v. 3.12.1969, 1 BvR 624/56, BVerfGE 27 S. 253, 283; Beschluss v. 30.5.1978, 1 BvL 26/76, BVerfGE 48 S. 281, 288; vgl. auch BSG, Urteil v. 8.12.1982, 9a/9 RVi 4/81, SozR 3850 § 54 Nr. 2 Einstandspflicht). Geschützt sind mithin Personen, die freiwillig oder unfreiwillig eine mit einem gesundheitlichen Risiko einhergehende Verpflichtung gegenüber der staatlichen Gemeinschaft eingegangen sind. Das SER stellt damit eine besondere Art des Ausgleichs von Sonderopfern für die Allgemeinheit dar (BVerfGE 17 S. 38, 46, 49; BSG, Urteil v. 5.3.1980, 9 RVi 1/79). Leistungen des SER setzten somit eine Garantenstellung der staatlichen Gemeinschaft voraus (BSG, Urteil v. 29.5.1980, 9 RVi 3/79, SozR 3850 § 51 Nr. 6; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 19.12.2001, L 10 VS 42/98). Sie sind das Korrelat eines auf sie gerichteten gesetzlich normierten Aufopferungsanspruchs kraft Risikohaftung des Staates (vgl. BSG, Urteil v. 7.5.1986, 9a RV 20/85, SozR 3100 § 56 Nr. 3). Diese Risikohaftung korrespondiert mit der Pflicht, den verursachten Schaden ganz oder zumindest teilweise auszugleichen. Die Leistungen des SER beruhen somit nicht auf schlichten Billigkeitserwägungen auf der Grundlage einer Fürsorgepflicht des Staates; sie dienen vielmehr der Kompensation für das dem Staat an Gesundheit und Leben erbrachte besondere Opfer (BVerfG, Beschluss v. 30.5.1978, 1 BvL 26/76, BVerfGE 48 S. 281, 288). Ausgeglichen werden sollen grundsätzlich individuelle Nachteile mittels des in § 24 Abs. 1 gelisteten Leistungsspektrums, mithin auch ein auf den Gesundheitsschaden zurückzuführender wirtschaftlicher Nachteil (BSG, Urteil v. 12.6.2003, B 9 V 2/02 R, SozR 4-3100 § 84a Nr. 1) in allerdings pauschalisierter Form (vgl. BSG, Urteil v. 28.4.2005, B 9a/9 VJ 1/04 R, SozR 4-3100 § 30 Nr. 2).

2.2 Eintritt eines Gesundheitsschadens

 

Rz. 8

Dieses Normelement ist gleichsam das Eingangstor in den Anwendungsbereich des SER. Hieraus folgt: Ohne Gesundheitsschaden keine Entschädigung. Auf einen rein wirtschaftlichen Schaden kommt es nicht an. Sach- und Vermögensschäden werden von § 5 nicht erfasst. Gesundheitliche Folge einer Schädigung ist ein auf Verletzungen oder Krankheit beruhender regelwidriger Körper- oder Geisteszustand.

Die gesundheitlichen Folgen einer Schädigung werden in erster Linie durch Maßnahmen der Heilbehandlung kompensiert. Wirtschaftlichen Folgen der Schädigung begründen unter bestimmten Voraussetzen ggf. Renten- und sonstige Leistungsansprüche (z. B. Berufsschadensausgleich nach § 30 BVG).

 

Rz. 8a

Der Gesundheitsschaden ist von dem der Krankheit abzugrenzen. Der Begriffsinhalt der Krankheit im medizinischen Sinn weicht von jenem der Krankheit im Rechtssinn ab. Nach § 27 SGB V ist Krankheit ein Rechtsbegriff. Eine Legaldefinition des Begriffs "Krankheit" namentlich im SGB V existiert nicht. Ganz überwiegend wird unter Krankheit i. S. d. gesetzlichen Krankenversicherung ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand gefordert, dessen Eintritt entweder allein die Notwendigkeit von Heilbehandlung oder zugleich oder ausschließlich Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (Schmidt, in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, SGB V, Stand 3/2008, § 27 Rz. 50 m. w. N.; vgl. auch BSG, Urteil v.16.5.1972, 9 RV 556/71, USK 7269). Weit verstanden wird Krankheit in der Medizin demgegenüber mit dem Fehlen von Gesundheit gleichgesetzt (vgl. Schmidt, a. a. O., § 27 Rz. 37). Gesundheit ist insoweit definiert als ″Zustand vollkommenen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens″ (Präambel zur Satzung der Weltgesundheitsorganisation WHO) und nicht nur als Fehlen von Krankheit. Krankheit ist hiernach nicht schlicht der Kehrwert von Gesundheit (hierzu vertiefend Schmidt, a. a. O.). Bei der Abgrenzung der Krankheit im medizinischen Sinn von Gesundheit ist eine bestimmte, aus einer Vielzahl von Beobachtungen mithilfe statistischer Methoden gewonnene Schwankungsbreite zu berücksichtigen, innerhalb derer der Betroffene noch als gesund angesehen wird. Bei der Beschreibung einer Krankheit muss zwischen ihren Ursachen (Krankheitsursache) und ihren sichtbaren Anzeichen (Symptomen) unterschieden werden. Der allgemeine Krankheitsbegriff der Medizin im engeren Sinn stellt hingegen auf das Vorliegen subjektiv empfundener und/oder objektiv feststellbarer körperlicher, geistiger bzw. seelischer Veränderungen oder Störungen ab (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 266. Aufl. 2014, S. 1150 f.). Insoweit ergeben sich Berührungspunkte zum Rechtsbegriff der Krankheit nach dem SGB V. Der Gesundheitsschaden ist häufig mit dem der Krankheit identisch, kann indessen im Einzelfall weiterreichen und auch Dauerschäden ohne akuten Krankheitswert erfassen. Hinzu kommt, dass es sich hierbei um eine ernsthafte, nachhaltige Stör...

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