Rz. 13

Durch den Verzicht auf die Erfüllungsansprüche wird das Stammrecht nicht berührt, weil der die gesetzlichen Rechtsansprüche auslösende Tatbestand nicht beeinträchtigt oder beseitigt wird (BSG, Urteil v. 27.11.1991, 4 RA 10/91, SozR 3-1200 § 46 Nr. 3). Daher kann der Verzicht auch jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, und es bedarf nur des Widerrufs des Verzichts, nicht auch der Neubeantragung der Leistung (die schon mangels Entscheidungsinteresses unzulässig wäre, worauf Seewald, in: KassKomm. SGB I, § 46 Rz. 15, Stand: März 2005, zutreffend hinweist). Der Widerruf beseitigt allein den im Verzicht liegenden Erlass der Erfüllungspflicht und bewirkt ein Wiederaufleben des ursprünglichen Forderungsrechts aus dem Stammrecht. Dies setzt allerdings voraus, dass der gesetzliche Tatbestand (Stammrecht) der Dauerleistungsansprüche zum Zeitpunkt des Widerrufs noch erfüllt ist. Bei nur für eine gewisse Dauer zustehenden Leistungen aus einem das Stammrecht auslösenden Versicherungsfall (z. B. bei Krankengeld für 78 Wochen oder bei Arbeitslosengeld für 6 bis 24 Monate) führt der Verzicht auf die Erfüllungsansprüche nicht dazu, das sich die gesetzliche Dauer der Leistung verändert, insbesondere nicht verlängert oder zeitlich verschiebt.

 

Rz. 14

Nicht gefolgt werden kann der Ansicht des BSG (Urteil v. 27.11.1991, 4 RA 10/91, SozR 3-1200 § 46 Nr. 3), dass wegen des Verzichts (als Verfügung über den Erfüllungsanspruch) der zugrunde liegende Verwaltungsakt gemäß § 48 SGB X wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse abzuändern sei. Der Verzicht berührt die dem gesetzlichen Anspruch und dem deklaratorischen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Verhältnisse i. S. d. Stammrechts nicht. Durch den Verzicht wird lediglich die Erfüllungspflicht beseitigt, der Leistungsträger also letztlich so gestellt, als brauche er ganz oder teilweise nicht zu erfüllen (Seewald, in: KassKomm. SGB I, § 46 Rz. 15, Stand: März 2005, spricht insoweit zutreffend von einem "Ruhen" des Anspruchs). Eine allgemeine Verfügungsbefugnis über gesetzliche Ansprüche an sich oder deren Höhe kommt dem Sozialleistungsberechtigten nämlich gerade nicht zu, so dass der Verzicht keine Änderung des gesetzlichen Rechtsanspruchs (i. S. des Stammrechts) bewirkt. Da der Verzicht ein einseitiges Recht des Berechtigten ist, fehlt es bei einer Verzichtserklärung des Berechtigten zudem auch an einer Regelung durch den Leistungsträger, so dass mangels einseitiger hoheitlicher Regelung gar kein Verwaltungsakt des Leistungsträgers vorliegt. Daher bedarf es auch im Falle eines Widerrufs des Verzichts grundsätzlich keines neuen Verwaltungsakts.

 

Rz. 15

Der Widerruf des Verzichts durch den nach wie vor Sozialleistungsberechtigten bewirkt daher auch kein neues Entstehen eines neuen oder höheren Anspruchs als Stammrecht, sondern führt (ähnlich dem nur teilweisen Erlass von Forderungen aus einem Dauerschuldverhältnis) zum Wiederaufleben des vollen Erfüllungsanspruchs, ggf. unter Berücksichtigung von rechtlichen Anpassungen der Höhe nach (z. B. bei zwischenzeitlichen Rentenerhöhungen). Der Verzicht beseitigt daher den gesetzlichen Rechtsanspruch aus dem Stammrecht nicht auf Dauer.

 

Rz. 16

Der Widerruf des Verzichts ist wie der Verzicht selbst eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die Wirkung erst ab Zugang entfalten kann. Daher ist in allen Fällen ein Widerruf nur mit Wirkung für die Zukunft möglich. Mit dem Zugang des Widerrufs entstehen die Erfüllungsansprüche ab dem Folgetag und werden zu den für die Erfüllung maßgebenden Terminen fällig. Für den Widerruf ist die Einhaltung der Schriftform nicht als Wirksamkeitsvoraussetzung vorgeschrieben und daher nicht erforderlich (ebenso Mrozynski, SGB I, 5. Aufl., § 46 Rz. 15; Lilge, SGB I, 4. Aufl., § 46 Rz. 27; Groth, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK,-SGB I, § 46 Rz. 30, Stand: 15.3.2018; Rolfs, in: Hauck/Noftz, SGB I, § 46 Rz. 22, Stand: Juli 2014).

 

Rz. 16a

Grundsätzlich sind auch nach § 36 handlungsfähige Minderjährige zum Widerruf des Verzichts auf ihnen zustehende Leistungsansprüche berechtigt (Rolfs, in: Hauck/Noftz, SGB I, § 46 Rz. 22, Stand: Juli 2014; Seewald, in: KassKomm. SGB I, § 46 Rz. 13, Stand: März 2005). Hatte jedoch der gesetzliche Vertreter selbst jedoch wirksam den Verzicht erklärt, ist fraglich, ob darin nicht zugleich auch die Einschränkung der Handlungsfähigkeit des Minderjährigen für den Widerruf nach § 36 Abs. 2 Satz 1 liegt.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt SGB Office Professional . Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge