Rz. 8

Das in Abs. 1 deklarierte Recht auf Zugang zur Sozialversicherung für jedermann suggeriert eine Rechtsposition, von der auch Abstand genommen werden könnte. Ein solcher jedermann offen stehender Zugang zur Sozialversicherung ist jedoch für die gesetzliche Kranken-, Pflege-, Unfall- und Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung der Landwirte nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) weitgehend nicht der Fall, so dass sich diese Formulierung als "Leerformel" erweist (so Lilge, SGB I, 4. Aufl., § 4 Rz. 13; ähnlich Voelzke, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, § 4 Rz. 14, Stand: 15.3.2018). Die Sozialversicherung ist vielmehr durch die öffentlich-rechtliche Zwangsversicherung (Pflichtversicherung) geprägt, der sich die Betroffenen weder durch privatrechtliche Vereinbarungen darüber oder durch die Ausgestaltung von Rechtsverhältnissen (Stichwort: Scheinselbstständigkeit vgl. Komm. zu § 5 SGB V), selbst bei Sittenwidrigkeit (vgl. BSG, Urteil v. 10.8.2000, B 12 KR 21/98 R) und nur mit wenigen Ausnahmen (Befreiung) entziehen können. Wer in diese Pflichtversicherung einbezogen ist, wird durch die Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige gesetzlich festgelegt. Dabei wird der Personenkreis, den im Ursprung der Sozialversicherung die abhängig beschäftigten Arbeiter und Angestellten darstellen, durch den Gesetzgeber sowohl nach dem sozialen Schutzbedürfnis als auch nach Gesichtspunkten der Finanzierung des Versicherungszweiges durch Beiträge festgelegt (BVerfG, Beschluss v. 13.9.2005, 2 BvF 2/03). Ein im engeren Sinn Recht auf Zugang zur Sozialversicherung kann daher allenfalls in der Möglichkeit gesehen werden, sich außerhalb des Versicherungszwangs aufgrund freiwilliger Entscheidung in der Sozialversicherung zu versichern. Allerdings besteht auch dieses Recht auf Zugang zur Sozialversicherung nur, wenn es gesetzlich vorgesehen ist und die ggf. dafür erforderlichen Voraussetzungen erfüllt werden, was der relativierenden Formulierung des Satzes 1 "im Rahmen dieses Gesetzbuchs" und dem Gesetzesvorbehalts in § 31 entspricht. Für den Bereich der Pflegeversicherung hat das BVerfG (Urteil v. 3.4.2001, 1 BvR 81/98) den im Pflegeversicherungsgesetz v. 26.5.1994 (BGBl. I S. 1014) fehlenden Zugang zur sozialen Pflegeversicherung für sonst nicht pflegeversicherte Personen aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitet (vgl. nunmehr § 26a SGB XI und Komm. dort).

 

Rz. 8a

Die mit der Versicherung in den verschiedenen Zweigen des Sozialversicherungsrechts verbundenen Beitragspflichten (als soziale Pflichten) werden in § 4 nicht erwähnt. Der Beitrag hat in der Sozialversicherung jedoch eine erhebliche Bedeutung, denn er ist notwendiger Bestandteil für die Finanzierung der Leistungen und deren Höhe und bestimmt (mittelbar über den Begriff der beitragspflichtigen Einnahmen) in weiten Bereichen auch über die Höhe der Leistungen, insbesondere den Entgeltersatzleistungen (vgl. Mrozynski, SGB I, 5. Aufl., § 4 Rz. 4). Daher erscheint es problematisch, Ansprüche auf Erstattung von Beitragsaufwendungen zur Kranken- und Pflegeversicherung nach § 251 Abs. 2 Satz 2 SGB V als eine Sozialleistung anzusehen, die der Verwirklichung der sozialen Rechte der §§ 3 bis 10 dient (so aber BSG, Urteil v. 6.8.2014, B 11 AL 7/13 R).

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