Rz. 58

Das Fehlen einer Pflegesatzvereinbarung i. S. v. Abs. 1 führt nicht von vornherein dazu, dass der Leistungsanspruch des Hilfeberechtigten ausgeschlossen ist. Eine Kostenübernahme kommt aber nur dann in Betracht, wenn sie nach den Besonderheiten des Einzelfalles geboten ist. Damit korrespondiert, dass nach § 9 Abs. 2 Satz 2 den Wünschen der Leistungsberechtigten, den Bedarf stationär oder teilstationär zu decken, nur entsprochen werden soll, wenn dies nach den Besonderheiten des Einzelfalles erforderlich ist und wenn mit der Einrichtung eine Vereinbarung besteht. Damit wird der Ausnahmecharakter der Kostenübernahme nach Abs. 5 unterstrichen.

 

Rz. 59

Dieser Ausnahmecharakter beruht auf der Erwägung, dass die Pflicht zur Vereinbarung prospektiver Pflegesätze nicht durch Einrichtungen, die sich mit den Sozialhilfeträgern nicht einigen konnten, unterlaufen werden soll. Es soll von vornherein kein Vertrauen der Träger solcher Einrichtungen darin entstehen, doch über Einzelfallregelungen eine Übernahme der – höheren – Pflegekosten durch die Sozialhilfeträger erreichen zu können. Umgekehrt kann allerdings auch das Problem bestehen, dass der Abschluss von Pflegesatzvereinbarungen durch die Sozialhilfeträger unterlaufen wird. Um den Ausnahmecharakter des § 75 Abs. 4 zu unterstreichen, hat das BVerwG entschieden, dass ein "anderer Fall" i. S. der Vorgängervorschrift des § 93 Abs. 3 Satz 1 BSHG, mithin eine "Besonderheit des Einzelfalles" i. S. d. § 75 Abs. 4 nicht vorliegt, solange einer Vereinbarung bzw. eine sie gestaltende Schiedsstellenentscheidung zwischen der Einrichtung und dem Sozialhilfeträger tatsächlich und rechtlich möglich ist (BVerwG, Urteil v. 4.8.2006, 5 C 13/05; zur Umsetzung dieser Entscheidung im Einzelfall OVG Lüneburg, Beschluss v. 4.12.2006, 4 LB 276/06; zur Kritik an dieser Entscheidung Neumann, in: Hauck/Noftz, a. a. O., § 75 Rz. 41b).

 

Rz. 60

Mit der Möglichkeit, über eine Ermessensentscheidung des Sozialhilfeträgers im Einzelfall auch in einer Einrichtung Leistungen zu erhalten, mit der keine Pflegesatzvereinbarung besteht, ist der Sozialhilfeempfänger tendenziell besser gestellt als andere Leistungsberechtigte nach dem SGB. So dürfen stationäre medizinische Rehabilitationsleistungen nur in solchen Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen erbracht werden, mit denen ein Versorgungsvertrag besteht (§ 111 Abs. 1 SGB V). Gleiches gilt für stationäre Leistungen der Pflegeversicherung (§ 72 Abs. 1 SGB XI).

 

Rz. 61

Voraussetzung für die Kostenübernahme ist, dass die Leistung und ihre Erbringung in einer Einrichtung ohne Pflegesatzvereinbarung nach den Umständen des Einzelfalles geboten sind (Abs. 5 Satz 1 Nr. 1). Es ist daher zunächst zu prüfen, ob überhaupt ein Leistungsanspruch besteht. Sodann ist zu untersuchen, ob diese Leistung in einer Einrichtung erbracht werden kann, mit deren Träger eine Pflegesatzvereinbarung besteht. Ist dies der Fall, ist der Rückgriff auf eine andere Einrichtung in aller Regel nicht geboten. In Ausnahmefällen kommt die Gewährung einer Leistung in einer vertragslosen Einrichtung allerdings auch dann in Betracht, wenn es dem Hilfeempfänger aus persönlichen Gründen nicht zuzumuten ist, eine Einrichtung in Anspruch zu nehmen, mit der eine Pflegesatzvereinbarung besteht. Hierbei kann es sich z. B. um religiöse Gründe handeln, aber auch um langjährige Inanspruchnahme von Leistungen einer bestimmten Einrichtung.62

 

Rz. 62

Voraussetzung ist weiter ein Angebot des Trägers der Einrichtung, das den Anforderungen des § 76 entsprechen muss (Abs. 5 Satz 1 Nr. 2). Dieses Angebot unterliegt der Schriftform. Eine lediglich mündlich abgegebene Angebotserklärung ist unwirksam. Die Annahme durch den Sozialhilfeträger unterliegt hingegen keiner besonderen Form.

 

Rz. 63

Des weiteren muss sich der Leistungserbringer schriftlich verpflichten, die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungserbringung zu beachten (Abs. 5 Satz 1 Nr. 3) und die Vergütung für die Erbringung der Leistungen darf nicht höher sein als die Vergütung, die der Träger der Sozialhilfe mit anderen Leistungserbringern für vergleichbare Leistungen vereinbart hat (Abs. 5 Satz 1 Nr. 4).

Vergütungen dürfen danach nur bis zu der Höhe übernommen werden, wie sie der Träger der Sozialhilfe am Ort der Unterbringung oder in seiner nächsten Umgebung für vergleichbare Leistungen nach den nach Abs. 1 abgeschlossenen Vereinbarungen mit anderen Einrichtungen trägt. Für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen gelten die Vereinbarungsinhalte des Trägers der Sozialhilfe mit vergleichbaren Einrichtungen entsprechend (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 18.11.2005, L 7 SO 4187/05 ER-B). Auch insoweit hat der Sozialhilfeträger also einen externen Vergleich (vgl. dazu Rz. 56) durchzuführen.

 

Rz. 64

Fällt dieser Vergleich zuungunsten des Trägers der Einrichtung aus, dann darf der Sozialhilfeträger die Kosten für die Leistung überhaupt nicht übernehmen. Absatz 4 Satz 3 ist nicht dahingehend zu verstehen, dass ...

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