Rz. 6

Abs. 1 und Abs. 2 weisen eine einheitliche Struktur im Sinne einer Kombination von unbestimmten Rechtsbegriffen ("angemessen", "erforderlich") mit einer Ermessensentscheidung ("können") auf. Die beiden genannten unbestimmten Rechtsbegriffe erfordern eine Prognoseentscheidung der Verwaltung, die in vollem Umfang der Überprüfung durch die Gerichte unterliegt (BVerwG, Urteil v. 27.6.2002, 5 C 43/01 Rz. 10 ff. m. w. N.; Herbst, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, Stand: 8.6.2020, § 33 Rz. 23 f.; Wrackmeyer-Schoene, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 7. Aufl. 2020, § 33 Rz. 14). In die Prognoseentscheidung fließen sowohl Gesichtspunkte der Angemessenheit als auch der Erforderlichkeit mit ein. Eine Aufspaltung der Prüfung ist insoweit nur schwer möglich (zu der Problematik Herbst, a. a. O.), im Ergebnis aber auch nicht nötig. Die Auslegung hat sich insbesondere daran zu orientieren, wie hoch die Wahrscheinlichkeit einzuschätzen ist, dass ohne die gegenwärtige Hilfeleistung Sozialhilfe in Zukunft erforderlich werden wird (BVerwG, a. a. O., Rz. 15).

 

Rz. 7

Was den für die Prognoseentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt angeht, ist zu differenzieren: Stellt sich nach für den Betroffenen positiver Entscheidung der Behörde nachträglich heraus, dass die Prognose unzutreffend war, kann sie sich "nur" nach den allgemeinen Regeln der §§ 44 ff. SGB X von ihrer Entscheidung lösen (ähnlich Herbst, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, Stand: 8.6.2020, § 33 Rz. 69 m. w. N.). Wenn sich die Prognoseentscheidung später als falsch herausstellt, berührt dies die Rechtmäßigkeit der Leistungsbewilligung grundsätzlich nicht (Schmidt, in: Oestreicher SGB II/SGB XII, Stand: EL 64 November 2011, § 33 Rz. 10; Dauber in: Mergler/Zink, Stand: 22. Lfg., Juni 2013, SGB XII, § 33 Rz. 10). Wendet sich ein Betroffener gegen die Ablehnung einer Beitragsübernahme, richtet sich die Überprüfung der Prognoseentscheidung grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (Wrackmeyer-Schoene, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 7. Aufl. 2020, § 33 Rz. 18; Schmidt, a. a. O.). Änderungen der tatsächlichen Umstände, die die Prognoseentscheidung beeinflussen, können jedoch bis zur letzten Tatsacheninstanz Berücksichtigung finden, und zwar unabhängig davon, ob sie das Ergebnis für den Betroffenen positiv oder negativ beeinflussen (a. A. Flint, a. a. O., Rz. 23, wonach nur für den Betroffenen negative Gesichtspunkte Berücksichtigung finden sollen).

2.2.1 Angemessene Alterssicherung (Abs. 1)

 

Rz. 8

Der Begriff "angemessene Alterssicherung" findet sich nicht nur hier, sondern auch in anderen Vorschriften des SGB XII (vgl. z. B. § 65 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 i.d. bis zum 31.12.2016 gültigen Fassung – dazu auch Rz. 14 sowie LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 19.4.2010, L 20 SO 44/08 – oder § 90 Abs. 3 Satz 2 sowie ähnlich § 82 Abs. 2 Nr. 3 – dazu auch Rz. 5 und Rz. 17). Jedenfalls teilweise kann die zu den jeweiligen Vorschriften ergangene Rechtsprechung übertragen werden (so ausdrücklich zum vorgenannten § 65 Abs. 1 Satz 1 – früher: § 69b Abs. 1 Satz 1 BSHG: BVerwG, Urteil v. 27.6.2002, 5 C 43/01 Rz. 15 m. w. N.).

 

Rz. 9

Seit dem 1.1.2009 enthält § 33 (Abs. 1) eine beispielhafte Aufzählung (vgl. Rz. 2) von Beiträgen zu unterschiedlichen Alterssicherungssystemen, deren Übernahme in Betracht kommt. Nicht genannt sind z. B. Beiträge zu einer betrieblichen Altersvorsorge oder zu einer privaten Renten- oder Lebensversicherung. Auch hierfür können Beiträge übernommen werden, sofern die Voraussetzungen vorliegen.

 

Rz. 10

Mit Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung (Nr. 1) sind Beiträge zur freiwilligen Versicherung gemäß § 7 SGB VI gemeint. Die Versicherungstatbestände, aus denen Beiträge zu den landwirtschaftlichen Alterskassen (Nr. 2) erwachsen können, ergeben sich aus den §§ 1, 4, 5 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG). Was berufsständische Versorgungseinrichtungen (Nr. 3) sind, ist der Legaldefinition des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI zu entnehmen. Solche Versorgungseinrichtungen gibt es für die freien Berufe (z. B. Ärzte, Rechtsanwälte, Architekten usw.).

 

Rz. 11

Abs. 1 Nr. 4 und 5 wurden eingeführt, um der zunehmenden Bedeutung der kapitalgedeckten Altersvorsorge neben den herkömmlichen Alterssicherungssystemen Rechnung zu tragen (BT-Drs. 16/10488 S. 19 zu Art. 7). Dabei betrifft Nr. 4 Verträge, die nach § 10 Abs. 1 Nr. 2b Einkommenssteuergesetz (EStG) gefördert werden (sog. Rürup-Rente), und Nr. 5 solche nach §§ 10a, 79 ff. EStG (sog. Riester-Rente). Die zuletzt genannten Beiträge können nur übernommen werden, "soweit" sie den Mindesteigenbetrag (§ 86 EStG) nicht überschreiten.

 

Rz. 12

Angemessen ist eine Alterssicherung, wenn die bei Erreichen der maßgebenden Altersgrenze zu erwartende Rente den Betroffenen voraussichtlich ganz oder teilweise unabhängig von Sozialhilfe machen wird (BVerwG, Urteil v. 24.6.1999, 5 C 18/98 Rz. 7; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 23.3.2007, L 8 SO 39/06 Rz. 35 m. w. N. auch zu zum Teil strengeren bzw. abweichenden Ent...

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