Rz. 4

Was den Familienbegriff betrifft, der von § 16 vorausgesetzt wird und bei der Auslegung der Vorschrift zugrunde zu legen ist, so muss dieser weit gefasst sein (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 1.3.2006, L 23 B 1083/05 SO ER; Armborst, a. a. O., § 16 Rz. 2; Voelzke, a. a. O., § 16 Rz. 14). Auch wenn das Gesetz den Begriff der Familie selbst nicht definiert, so wird man darunter das Leben in einer Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft fassen müssen, in der die jeweils leistungsberechtigte Person lebt und deren Entwicklung bzw. Schicksal das eigene Leben maßgeblich mitbestimmt (Dauber, a. a. O., 2007, § 16 Rz. 4). Es gehören dazu Familien im "herkömmlichen" Bild (intakte Familienverhältnisse), Stiefkinderfamilien oder sog. Patchwork-Familien (mit Kindern von jedem Partner und gemeinsamen Kindern), eheähnliche Verhältnisse mit Kindern, Lebenspartnerschaften, aber auch Alleinerziehende (vgl. Bieback, a. a. O., § 16 Rz. 9; Dauber, a. a. O., § 16 Rz. 4; Armborst, a. a. O., § 16 Rz. 2). Auch andere, durch abstammungs- und blutmäßige Bande miteinander verbundene Angehörige wie Großeltern können zur Familie in diesem Sinne gehören (vgl. Hohm, a. a. O. § 16 Rz. 4).

Auch zur Familie können solche Personen gerechnet werden, die zwar nicht unmittelbar in einem Haushalt wohnen, aber miteinander verwandt sind und sich untereinander verbunden fühlen, selbst wenn dies über eine größere Distanz der Fall sein sollte (vgl. Bieback, a. a. O., § 16 Rz. 10, 24).

Nicht vom Familienbegriff dieser Norm umfasst werden demgegenüber reine Haus- und Wohngemeinschaften, auch wenn sich diese teilweise selbst als "Großfamilie" bezeichnen sollten (vgl. Bieback, a. a. O., § 16 Rz. 12).

Zu beachten ist, dass in einzelnen Vorschriften des SGB XII abweichende familienbezogene Begriffe verwendet werden

 

Rz. 5

Maßgeblich sind die besonderen Verhältnisse in der Familie. Gerade in den Fällen, in denen speziell Eltern aufgrund ihrer persönlichen Lebenssituation auf die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB XII angewiesen sind, ist meist die gesamte familiäre Situation von besonderen Problemen gekennzeichnet. Dies gilt unter dem Anwendungsbereich des SGB XII noch mehr als unter dem BSHG, weil nunmehr sämtliche Erwerbsfähigen aus der Sozialhilfe herausgenommen sind. Die familiären Situationen sind mithin von Erwerbsunfähigkeit und anderweitigen Problemlagen (Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit) geprägt. Besondere Verhältnisse in diesem Sinne sind z. B. die Pflege von (Haushalts-)Angehörigen, Alkohol-/Drogenabhängigkeit von Elternteilen, Haft von Elternteilen, Getrenntleben von Eltern, Erkrankungen/Behinderungen von Elternteilen oder Kindern, Schwangerschaftsprobleme usw. Gerade dann darf durch eine restriktive Gewährungspraxis nicht auch noch der eventuell verbleibende Rest an Zusammenhalt in dem Sozialsystem Familie riskiert werden.

Im Gegenteil: Der Träger der Sozialhilfe soll (= muss) die besonderen Verhältnisse in der Familie berücksichtigen, und zwar in der einzelnen Familie und nicht nur im Rahmen einer allgemeinen Betrachtung.

 

Rz. 6

Satz 2 bestimmt, dass die Sozialhilfe die Kräfte der Familie zur Selbsthilfe anregen und den Zusammenhalt der Familie festigen soll. Damit konkretisiert die Vorschrift den allgemeinen Selbsthilfegrundsatz (§ 2 Abs. 1) und folglich den Nachrang der Sozialhilfe. Wenn dies ernst genommen wird, dann wäre z. B. die in § 12 geregelte Leistungsabsprache ein ideales Instrument, um darin auf die besondere familiäre Situation des Leistungsberechtigten einzugehen.

So besteht etwa die Möglichkeit, dass ein Sozialhilfeträger auf die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen verzichtet, wenn andernfalls der verbliebene Zusammenhalt der Familie dadurch nachhaltig oder auf Dauer gestört werden würde (so Dauber, a. a. O., § 16 Rz. 7).

 

Rz. 7

Satz 2 verpflichtet den Sozialhilfeträger einerseits aktiv die familiäre Selbsthilfe anzuregen, andererseits aber auch alles zu unterlassen, was den Zusammenhalt der Familie belasten könnte (Voelzke, a. a. O., § 16 Rz. 26; Hohm, a. a. O., § 16 Rz. 5). Die Förderverpflichtung des Sozialhilfeträgers ist aber nicht nur eine einseitige Verpflichtung. Vielmehr hat auch die Familie im Rahmen der Mitwirkungsverpflichtungen und der Verpflichtung zur Selbsthilfe angebotene oder bestehende Möglichkeiten zum Zusammenhalt der Familie aktiv wahrzunehmen, andernfalls wird sich das Ziel der Sozialhilfe, den Leistungsberechtigten so weit wie möglich zu befähigen, unabhängig von ihr zu leben, nicht erreichen lassen (Bieback, a. a. O., § 16 Rz. 15).

 

Rz. 8

Familiengerechte Leistungen i. S. d. § 16 können z. B. im Einzelfall sein: Die Übernahme von Reisekosten zum Besuch naher Angehöriger, Hilfen zur Weiterführung des Haushalts, Übernahme von Unterkunftskosten für ein in Haft befindliches Familienmitglied für die Dauer der Haft, um der Familie den Erhalt der Unterkunft zu ermöglichen (Armborst, a. a. O., § 16 Rz. 6 f.; Bieback, a. a. O., § 16 Rz. 24 f.). Der Grundsatz kann zudem der Überleitung eines gerin...

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