Rz. 6

Die Rangfolge, in der die Leistungserbringung zu erfolgen hat, ist in Abs. 1 Satz 2 festgelegt worden. Es gibt ein klares Stufenmodell: erst ambulant, dann teilstationär und schließlich stationär.

Häufig entspricht es auch dem Wunsch der Leistungsberechtigten, zunächst ambulante Maßnahmen in Anspruch zu nehmen. Dies wird besonders deutlich im Bereich der pflegebedürftigen Menschen, die regelmäßig so lange wie eben möglich in der eigenen Häuslichkeit verbleiben wollen. Allerdings ist dieses Vorrangprinzip bereits wieder durch die nachfolgenden Sätze des Abs. 1 eingeschränkt.

 

Rz. 7

Nach Abs. 1 Satz 3 entfällt der Vorrang der ambulanten Hilfe, wenn eine stationäre Hilfe in einer geeigneten Einrichtung zumutbar und die ambulante Hilfe mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist. Das Kriterium der Geeignetheit setzt dabei zunächst voraus, dass überhaupt geeignete stationäre Einrichtungen mit entsprechenden Kapazitäten vorhanden sind (vgl. Treichel, a. a. O., § 13 Rz. 12). Nach Satz 4 ist bei der Entscheidung zunächst die Zumutbarkeit zu prüfen. Nach Satz 6 ist bei einer Unzumutbarkeit ein Kostenvergleich nicht vorzunehmen.

Die Regelung ist faktisch ambulanzabwehrend (Groth, a. a. O., § 13 Rz. 7).

 

Rz. 8

Bereits in der Gesetzesbegründung hat der Gesetzgeber ein Fallbeispiel aufgeführt, in dem der Verweis auf eine stationäre Hilfeform wegen Unzumutbarkeit ausgeschlossen ist: der Fall eines jungen Menschen, der pflegebedürftig ist und der eigentlich in einem stationären Pflegeheim (Altenheim) die erforderliche Pflege erhalten könnte. Da er aber dort dauerhaft mit alten Menschen zusammenleben müsste, verbietet es sich unter dem Gesichtspunkt der Einzelfallentscheidung, den jungen Menschen auf diese Hilfe zu verweisen.

Ist eine stationäre Pflege und Betreuung unzumutbar, kommt es nicht auf die Eignung einer bestimmten Einrichtung an (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 28.1.2010, L 8 SO 233/07). Für die Beurteilung, was zumutbar ist oder nicht, müssen nach Abs. 1 Satz 5 die persönlichen, familiären und örtlichen Verhältnisse berücksichtigt werden.

 

Rz. 9

Persönliche Verhältnisse, die gegen eine stationäre Unterbringung sprechen können, sind etwa das Alter des Leistungsberechtigten oder sein Geschlecht (bei geplanter Unterbringung einer Frau in einer reinen Männereinrichtung, z. B. in einem Heim für wohnungslose Männer, und umgekehrt). Ebenso können die persönlichen Verhältnisse von Demenzkranken eine ambulante Betreuung im Rahmen einer sog. Demenz-WG gegenüber der Betreuung und Pflege in einer stationären Einrichtung vorzugswürdig erscheinen lassen (vgl. Hess. LSG, Beschluss v. 19.5.2009, L 9 SO 65/909 B ER). Auch können die persönlichen Verhältnisse gegen die Betreuung einer seelisch behinderten Person in einer Einrichtung für geistig behinderte Menschen sprechen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 2.2.2009, L 8 SO 59/08 ER). Persönlicher Umstand in diesem Sinne ist auch der Verlust von sozialer Gemeinschaft infolge eines Wechsels in eine Einrichtung (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 28.1.2010, L 8 SO 233/07; Treichel, a. a. O., § 13 Rz. 14).

Familiäre Verhältnisse stellen z. B. darauf ab, ob der Leistungsberechtigte in einer Ehe, eheähnlichen Gemeinschaft oder Lebenspartnerschaft lebt, ob er Kinder und sonstige Angehörige hat, die ihn möglicherweise sogar pflegen, und wo diese wohnen. In diesem Zusammenhang ist auch § 16 in den Blick zu nehmen, nach dem die besonderen Verhältnisse in der Familie Leistungsberechtiger berücksichtigt werden sollen. Es soll grundsätzlich verhindert werden, dass eine etwaige Pflege durch Angehörige durch den Umzug in eine Einrichtung unmöglich wird, bzw. gute familiäre Kontakte verlorengehen. Der Aspekt der sozialen Bindungen ist insoweit von besonderer Bedeutung (vgl. Treichel, a. a. O., § 13 Rz. 14). Unzumutbar kann es danach sein, einen jungen pflegebedürftigen Menschen an eine stationäre Pflegeeinrichtung zu verweisen, in der zwar gleichaltrige Menschen leben, die aber mehrere hundert Kilometer von dem Wohnort seiner Familie entfernt ist. Gleiches kann für die Betreuung eines Kindes in einer vollstationären Einrichtung gelten, wenn seine Eltern die teilstationäre Betreuung in der Nähe wüschen.

 

Rz. 10

Bei der Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse kommt es z. B. darauf an, ob durch die Entfernung vom vorherigen Wohnort Kontakte zu versiegen drohen (vgl. Waldhorst-Kahnau, a. a. O., § 13 Rz. 44). Der Wechsel in ein anderes Heim ist nach einem Beschluss des LSG Hamburg jedenfalls dann zumutbar, wenn dieses Heim an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen ist und der Anfahrtsweg für Besuche nur unwesentlich verlängert wird (LSG Hamburg, Beschluss v. 14.2.2006, L 4 B 406/05 SO ER).

 

Rz. 11

Erst wenn die Frage der Zumutbarkeit einer bestimmten Hilfeart bejaht worden ist, wird in einem zweiten Prüfungsschritt die Kostenfrage zu beantworten sein. Bei der Verneinung der Zumutbarkeit (der junge Mensch kann nicht in ein Altenheim verwiesen werden), kommt es auf die Kos...

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