0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Die Bestimmung des § 85 zur Regelung der sachlichen Zuständigkeiten (ehemals § 89) gilt seit dem 1.1.2012 i. d. F. der Bekanntmachung v. 11.9.2012 (BGBl. I S. 2022). Im Rahmen des 1. SGB VIII-ÄndG v. 16.2.1993 (BGBl. I S. 239) wurden die Vorschriften über die Zuständigkeit und die Kostener­stattung mit Wirkung v. 1.4.1993 in einem Kapitel (Siebtes Kapitel) zusammengefasst, wobei die Regelung zur sachlichen Zuständigkeit – der syste­matischen Reihenfolge entsprechend – den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit vorangestellt und damit insgesamt an den Anfang des neu gefassten Kapitels gesetzt worden ist. Statt der bisher in der alten Fassung verwendeten Begriffe "Jugendamt" und "Landesjugendamt" gebraucht der Gesetzgeber in der Neufassung nach der Systematik des § 69 die abstrakten Formulierungen des "örtlichen" und "überörtlichen" Trägers (Landkreise und die kreisfreien Städte sowie die nach Landesrecht bestimmten überörtlichen Gebietskörperschaften). Durch das 2. SGB VIII-ÄndG v. 15.12.1995 (BGBl. I S. 1775) mit Wirkung zum 1.1.1996 wurde in § 85 Abs. 2 Nr. 2 die Förderung der Zusammenarbeit um die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche (§ 35a) erweitert (vgl. BT-Drs. 13/3082 S. 12). Im Zuge von Art. 4 Nr. 13 des Beistandschaftsgesetzes v. 4.12.1997 (BGBl. I S. 2846) wurden die Beistandschaften in § 85 Abs. 2 Nr. 10 gestrichen. Beistand kann – jedenfalls nach Bundesrecht – nur noch das Jugendamt werden. Insofern war die Erteilung der Erlaubnis zur Übernahme einer Beistandschaft in § 54 und damit einhergehend auch die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers nach § 85 Abs. 2 Nr. 10 zu streichen. Durch Art. 12 Nr. 9 des Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts v. 4.5.2021 (BGBl. I S. 882) wurde Abs. 2 Nr. 10 an die Einführung von Vormundschaftsvereinen redaktionell angepasst.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

§ 85 Abs. 1 erklärt für das Erbringen von Leistungen der Jugendhilfe i. S. d. § 2 Abs. 2 sowie das Erfüllen anderer Aufgaben nach § 2 Abs. 3 grundsätzlich überwiegend den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe für sachlich zuständig. Abs. 2 definiert abschließend den Aufgaben- und Verantwortungsbereich und damit verbunden die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers. Bestimmte, nach § 85 Abs. 2 im Verantwortungsbereich des überörtlichen Trägers liegende Aufgaben können aber auf den örtlichen Träger der Jugendhilfe übertragen werden (Abs. 3). § 85 Abs. 4 lässt ausdrücklich länderspezifische Sonderregelungen zu, sofern sie am Tage des Inkrafttretens des (1. SGB VIII-Änd)Gesetzes bestanden haben. Abs. 5 räumt schließlich dem Land, soweit es überörtlicher Träger der Jugendhilfe ist, ein, durch eine landesrechtliche Regelung einzelne seiner Aufgaben auf andere Körperschaften des öffentlichen Rechts, die nicht Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind, zu übertragen. Diese Möglichkeit der Aufgabenübertragung war allerdings befristet bis zum 30.6.1993.

2 Rechtspraxis

2.1 Sachliche Allzuständigkeit des örtlichen Trägers (Abs. 1)

 

Rz. 3

§ 85 Abs. 1 knüpft die sachliche Zuständigkeit für die Gewährung von Leistungen und die Erfüllung anderer Aufgaben i. S. d. § 2 Abs. 2 und 3 grundsätzlich zunächst an den örtlichen Träger der Jugendhilfe nach § 69 an, soweit diese in der abschließenden Aufzählung des Abs. 2 nicht einem überörtlichen Träger vorbehalten sind. Die Vorschrift geht dabei von der Vermutung der Allzuständigkeit des örtlichen Trägers aus und räumt ihm damit einen weiten Kompetenzbereich ein. Die sachliche Regelzuständigkeit obliegt mit Abs. 1 insoweit dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Sachlich zuständig bedeutet, verpflichtet, aber auch berechtigt zu sein, bestimmte Sachaufgaben in eigener Verantwortung wahrzunehmen. Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind gemäß § 69 Abs. 1 nach Landesrecht zu bestimmen. Für die Wahrnehmung der Aufgaben nach dem SGB VIII errichtet jeder örtliche Träger ein Jugendamt, jeder überörtliche Träger ein Landesjugendamt (§ 69 Abs. 3).

2.2 Sachliche Zuständigkeiten des überörtlichen Trägers (Abs. 2)

 

Rz. 4

§ 85 Abs. 2 bestimmt die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers und weist ihm bestimmte Aufgaben und deren Erledigung zu. Er ist lex specialis gegenüber Abs. 1, da dem Regelungsinhalt des Abs. 2 folgend die Allzuständigkeit des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe durch enumerative Aufzählung bestimmter Aufgaben eingeschränkt wird. Dies bedeutet, dass nur die in Abs. 2 ausdrücklich und abschließend aufgezählten Aufgaben dem überörtlichen Träger zur Erledigung übertragen sind. Ansonsten, oder auch im Zweifelsfalle im Hinblick auf die Allzuständigkeitsvermutung, ergibt sich die sachliche Zuständigkeit des örtlichen Jugendhilfeträgers. Die Zuteilung bestimmter Aufgaben auf den überörtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe basiert auf sachlichen Erwägungen, da die Aufgabenerledigung teilweise – allein schon aus praktischen Gründen – nur überörtlich erfolgen kann. Dem überörtlichen Träger kommen insbesondere überregionale Beratungs-, Planungs-, Empfehlungs-, Koordinierungs- sowie Ergänzungsfunktionen zu. Dadurch wird er zum fachlic...

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