Rz. 17

Rechtsgeschäfte, die gegen das gemeinschaftsrechtliche Kartellverbot verstoßen, sind gemäß Art. 81, 82 EGV (i. V. m. § 134 BGB) nichtig. Nationale Gerichte können dies entweder selbst feststellen oder müssen – in Zweifelsfällen – die Stellungnahme der Kommission über eine mögliche Freistellung einholen bzw. den Rechtsstreit aussetzen und zur Auslegung des europä­ischen Primär- und Sekundärrechts im Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 234 EGV an den EuGH vorlegen. Unabhängig hiervon kann die Kom­mission gegen die beteiligten Unternehmen gemäß Art. 85 EGV eine – ggf. nach Art. 83 Abs. 2a EGV nebst hierauf gestützter Vorschriften bußgeldbewehrte – Abmahnung oder Untersagung aussprechen. Dies können auch beeinträchtigte Konkurrenten beantragen und bei Untätigkeit der Kommission gemäß Art. 232 EGV vor dem EuGH Klage erheben. Gemäß Art. 88 EGV ist eine unangemeldete und auch nachträglich von der Kommission nicht genehmigte Beihilfe von den Zuwendungsempfängern zurückzufordern. Nach dem Effet-utile-Prinzip gilt dies selbst dann, wenn dies zur Insolvenz der ursprünglich begünstigten Unternehmen führen sollte (EuGH, Urteil v. 14.9.1994, C 278/92). Zulässig bleibt eine Bedarfsfeststellung und -planung einschließlich daran anknüpfender Subventionierung demnach dann, wenn der Markt versagt, d. h. wenn entweder für die Durchführung des SGB VIII notwendigen Angebote (noch) nicht oder nicht in der erforderlichen pluralen Vielfalt (§ 3, § 5) bestehen.

 

Rz. 18

Die Anwendbarkeit des Wettbewerbs- und Vergaberechts wird auch nicht durch die Entscheidung des EuGH zur Festsetzung von Festbeträgen durch gesetzliche Krankenkassen infrage gestellt (Urteil v. 16.3.2004, C-264/01), die prima facie einen mit den §§ 78a ff. vergleichbaren Bereich betreffen könnte. Denn es ist zwar festzustellen, dass die öffentlichen Träger der Jugendhilfe in Deutschland – ebenso wie die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung – am System der sozialen Sicherheit in Deutschland mitwirken und hierzu gesetzlich verpflichtet sind. Allerdings geben §§ 78a ff. den Trägern der Jugendhilfe in erheblich größerem Maße als den Krankenkassen die Möglichkeit, direkt auf Art und Umfang von Leistungen Einfluss zu nehmen. Auch konkurrieren die Träger der öffentlichen Jugendhilfe – zumindest soweit sie selbst auch eigene Einrichtungen betreiben – mit den gewerblichen privaten Einrichtungen hinsichtlich der Erbringung der nach dem SGB VIII gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen (anders als die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland, die gemäß § 140 Abs. 2 SGB V grundsätzlich keine Eigeneinrichtungen betreiben dürfen).

 

Rz. 19

Aus diesen Umständen folgt, dass die Befugnisse der Träger der Jugendhilfe im Rahmen ihrer Aufgaben nach §§ 78a f. nicht uneingeschränkt denen der Krankenkassen gleichen, für die der EuGH insoweit eine Unternehmenseigenschaft verneint hat. Wie der Gerichtshof im Urteil Albany ausgeführt hat (Urteil v. 21.9.1999, C-67/96, Rn. 116 bis 122), lassen sich nationale wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen im Bereich der sozialen Sicherheit nach Art. 86 Abs. 2 EG allerdings dann rechtfertigen, wenn die Kriterien, nach denen das Unternehmen bei Ausübung seiner Entscheidungsbefugnis vorgehen muss, genau spezifiziert sind und ein angemessenes Maß gerichtlicher Überprüfung besteht, um zu verhindern, dass der Wirtschaftsteilnehmer seine Entscheidungsbefugnis willkürlich oder in diskriminierender Weise ausübt. Unter Berücksichtigung des Urteils Albany ist es daher zur europarechtlichen Rechtfertigung der §§ 78a ff. erforderlich, dass die nationalen Gerichte eine ausreichende Kontrolle ausüben, um sicherzustellen, dass die Verträge und Rahmenverträge nicht in willkürlicher oder diskriminierender Weise festgesetzt werden und dass die in §§ 78a ff. genannten Kriterien und Verfahren eingehalten bleiben.

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