Rz. 8

Aufgabe des Jugendamtes ist es, bei der Prüfung der Bedarfslage zunächst festzustellen, ob eine Heimerziehung die geeignete und erforderliche Maßnahme ist. Ist eine Fremdunterbringung geboten, ist eine Abgrenzung von der Vollzeitpflege vorzunehmen (vgl. hierzu auch DIJuF-Rechtsgutachten v. 12.1.2021, SN_2020_1321 Bn, JAmt 2021 S. 91; zu einem Fall der parallelen Gewährung von Vollzeitpflege nach § 33 und stationärer Unterbringung in einem Internat nach § 34 vgl. auch Schleswig-Holsteinisches VG, Urteil v. 26.5.2020, 15 A 289/18; mit Anm. in JAmt 2021 S. 172). Dies kann nicht pauschal, sondern nur für den Einzelfall beantwortet werden.

 

Rz. 9

Die Heimerziehung, d. h. die Hilfe zur Erziehung in einer Einrichtung über Tag und Nacht i. S. v. § 34 Abs. 1 Satz 1, ist dabei dadurch gekennzeichnet, dass das Kind auf kürzere oder längere Zeit seinen Lebensmittelpunkt in einer Einrichtung außerhalb der eigenen Familie hat und seine Betreuung und Erziehung in einer Gruppe untereinander nicht verwandter Kinder durch Personen erfolgt, die mit ihnen nicht verwandt sind und die ihre Aufgabe als Beruf ausüben; demgegenüber wird die Vollzeitpflege nach § 33 "in einer anderen Familie" geleistet. Dem entsprechend definiert § 44 Abs. 1 Satz 1 die die Vollzeitpflege erbringende Person als denjenigen, der ein Kind oder Jugendlichen über Tag und Nacht in seinem Haushalt aufnehmen will (instruktiv VG Potsdam, Urteil v. 25.8.2020, 7 K 2354/18 Rz. 32). Die beiden Formen der stationären Hilfe überschneiden sich in Grenzbereichen, da die Heimerziehung nach § 34 in zunehmendem Maße familienähnlich ausgestaltet ist, während andererseits Pflegeeltern i. S. v. § 33, vor allem in Anwendung von dessen Satz 2, in höherem Maße fachlich vorgebildet sind (wobei das BSG davon ausgeht, dass anders als bei erzieherischer Arbeit in einer Einrichtung über Tag und Nacht oder in einer sonstigen betreuten Wohnform nach § 34 die Erziehungstätigkeit bei einer Vollzeitpflege i. S. d. § 33 regelmäßig nicht professionell und erwerbsmäßig betrieben wird, vgl. BSG, Urteil v. 1.7.2009, B 4 AS 9/09 R Rz. 29 f; BSG, Urteil v. 24.6. 2020, B 4 AS 12/20 R Rz. 24, mit Anm. von Spiolek, jurisPR-SozR 11/2021 Anm. 1). Dennoch stellt das Zusammenleben von betreuender Person und betreutem Kind in einem Haushalt allein kein ausreichendes Kriterium dar, um abgrenzen zu können, ob eine Vollzeitpflege nach § 33 oder eine Heimerziehung nach § 34 vorliegt. Entscheidend ist vielmehr, ob das zu betreuende Kind an die betreuende Person selbst vermittelt wurde, die deshalb umfassend allein persönlich verantwortlich ist – dann ist von einer Vollzeitpflege i. S. v. § 33 auszugehen – oder ob das Kind nicht unmittelbar an die betreuende Person vermittelt wurde und ob Verantwortung daher in einem formalen Zusammenhang wahrgenommen bzw. mit anderen geteilt wird und angesichts des organisatorischen Hintergrundes gegebenenfalls unabhängig von der betreuenden Person weiterbestehen würde – dann ist vom Vorliegen einer Heimerziehung i. S. v. § 34 auszugehen. Ergänzend bzw. indiziell soll für die Frage der Abgrenzung zu berücksichtigen sein, ob eine Hilfe nach § 33 oder aber nach § 34 bewilligt wurde, ob für die Betreuung des Kindes Leistungen nach § 39, insbesondere in Form von Pauschalbeträgen, unmittelbar an die betreuende Person erbracht werden oder aber dafür ein mit dem Träger der Einrichtung vereinbartes Entgelt i. S. v. §§ 78a ff. an diesen gezahlt wird sowie ob der betreuenden Person für das betreute Kind eine Erlaubnis zur Vollzeitpflege gemäß § 44 oder aber einem Einrichtungsträger unabhängig von der Person des konkret betreuten Kindes eine Erlaubnis für den Betrieb einer Einrichtung gemäß § 45, ggf. i. V. m. § 48a, erteilt wurde (so VG Potsdam, Urteil v. 25.8.2020, 7 K 2354/18 Rz. 34 f., unter Bezugnahme auf OVG Koblenz, Urteil v. 24.10.2008, 7 A 10444/08 Rz. 34).

 

Rz. 10

Man wird jedoch zumindest bei jüngeren Kindern grundsätzlich vorrangig Pflegeverhältnisse wegen der dort weitaus besseren Bindungsangebote begründen (vgl. hierzu eingehend die Komm. zu § 33 unter dem Abschnitt Hilfeempfänger; hier auch zu den grundsätzlich besseren Entwicklungschancen in Pflegefamilien für Kinder und Jugendlichen mit starkem Bindungsinteresse und besonderen Bedürfnissen nach emotionaler Nähe). Die Heimerziehung erscheint demgegenüber vor allem für ältere Kinder und Jugendliche angebracht (so auch Regierungsbegründung, BT-Drs. 11/5948 S. 72; vgl. auch Wiesner, SGB VIII, § 34 Rz. 47 mit Verweis auf die Bindungsforschung von Spitz und Bowlby). Daneben wird eine Einrichtung oder betreute Wohnform besonders auch für Kinder und Jugendliche in Betracht kommen, welche aufgrund ihres Förderbedarfs oder Vorschädigungen, wie z. B. reaktiver Bindungsstörungen eine Pflegefamilie überfordern, wobei man zu prüfen hat, ob nicht eine Sonderpflegestelle nach § 33 Satz 2 die erforderlichen pädagogischen Kompetenzen aufweist. Ist die Heimerziehung die geeignete Hilfe zur Erziehung, wird das Jugendamt bei Erstellung des...

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