Rz. 110

Nach § 1684 Abs. 4 Satz 1 BGB kann das Familiengericht das Umgangsrecht einschränken oder ausschließen, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Das Familiengericht kann, soweit der umgangsberechtigte Elternteil damit hilfsweise einverstanden ist (OLG Karlsruhe, Beschluss v. 22.5.2006, 16 UF 11/06), insbesondere anordnen, dass der Umgang nur in Anwesenheit eines mitwirkungsbereiten Dritten (u. a. ein Träger der Jugendhilfe – § 1684 Abs. 4 Satz 4 BGB) stattfinden darf (§ 1684 Abs. 4 Satz 3 BGB). Für eine längere Zeit dürfen solche Anordnungen aber nur ergehen, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre (§ 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB), was der Eingriffsschwelle des § 1666 Abs. 1 BGB entspricht (Ziegler, in: Weinreich/Klein, FamR, § 1684 Rz. 91). Der Begriff "längere Zeit" ist nicht abstrakt zu bestimmen. Maßgebend ist vielmehr das altersgemäße Zeitempfinden des Kindes (Ziegler, in: Weinreich/Klein, FamR, § 1684 Rz. 92) und die Häufigkeit des bisherigen Umgangs (Diederichsen, in: Palandt, BGB, § 1684 Rz. 35).

Auf dieser Grundlage haben sich folgende Fallgruppen herausgebildet:

 

Rz. 111

  • Sexueller Missbrauch:

In den Fällen, die durch den Vorwurf eines sexuellen Missbrauchs geprägt sind, ist zu differenzieren:

Steht der sexuelle Missbrauch durch den grundsätzlich umgangsberechtigten Elternteil fest, scheidet ein unbeaufsichtigter Umgang auf Dauer aus. Aber auch ein begleiteter Umgang ist zu versagen, wenn das Kindeswohl allein durch das Zusammensein mit dem Täter gefährdet wird (Ziegler, in: Weinreich/Klein, FamR, § 1684 Rz. 106).

 

Rz. 112

Besteht (nur) ein begründeter Verdacht, ist der Ausschluss des Umgangsrechts nicht zwingend (OLG Celle, Beschluss v. 15.7.1994, 18 UF 191/95). Wesentlich sind die Gesamtumstände (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss v. 3.2.2006, 2 WF 25/06; OLG Bamberg, Beschluss v. 1.12.1993, 2 UF 154/93). Die Anordnung eines begleiteten Umgangs wird in vielen Fällen eine sinnvolle Lösung sein (Götz, in: Palandt, BGB, § 1684 Rz. 29 und 35). Steht der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs eines Kindes im Raum, entscheidet sich die Frage, ob und ggf. welche Maßnahmen in Bezug auf den Umgang des Kindes mit dem verdächtigen Elternteil zu treffen sind, nach dem Grad der Gewissheit, ob ein sexueller Missbrauch tatsächlich stattgefunden hat (OLG Karlsruhe, Beschluss v. 18.2.2013, 18 UF 13/11 mit Anm. Cirullies, FamFR 2013 S. 213).

Wird schließlich nur ein unsubstantiierter Verdacht geäußert, ist dies nicht geeignet, das Umgangsrecht auszuschließen oder einzuschränken (OLG Brandenburg, Beschluss v. 8.8.2001, 9 UF 28/01).

 

Rz. 112a

  • Sexuelle Neigungen:

Sexuelle Neigungen/außergewöhnliche sexuelle Praktiken des umgangsberechtigten Elternteils stehen dem Umgang nur entgegen, wenn sich das Sexualleben auf das Kindeswohl auswirkt. Ist das nicht der Fall, sind auch Wochenendübernachtungen und ein Ferienumgang zuzulassen (BVerfG, Beschluss v. 26.9.2006, 1 BvR 1827/06).

 

Rz. 113

  • Gewaltbeziehungen:

Bei familiären Beziehungen, die durch eine dauerhafte häusliche Gewalt geprägt sind (vgl. dazu bereits § 17 Rz. 57), ist nicht nur zu berücksichtigen, ob sich die Gewalt des umgangsberechtigten Elternteils unmittelbar gegen das Kind richtete. Ebenso ist im Interesse des Kindes in die Abwägung einzubeziehen, ob die Durchführung des Umgangs von dem Elternteil missbraucht wird, um erneut psychisch und/oder physisch gegen den anderen, das Kind betreuenden Elternteil gewalttätig zu werden. So darf beispielsweise das familiengerichtliche Verfahren nicht dazu führen, dass die neue Adresse einer Frau, die sich mit dem Kind vor dem gewalttätigen Mann in Sicherheit gebracht hat, bekannt wird (KG, Beschluss v. 8.5.1998, 13 WF 2854/98). Auf dieser Grundlage können folgende Leitsätze formuliert werden:

 

Rz. 114

Hat sich die Gewalt gegen das Kind selbst gerichtet, liegt darin ein Verstoß gegen § 1631 Abs. 2 BGB und damit zugleich eine Gefährdung des Kindeswohls i. S. d. §§ 1666 Abs. 1, 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB. Ein unbegleiteter Umgang scheidet deshalb aus, bis die Gefahr für das Kind nicht mehr besteht, weil sich z. B. der Elternteil einer erfolgreichen Therapie unterzogen hat. Darüber hinaus ist der Umgang vollständig zu versagen, wenn das Kind durch die Gewalt traumatisiert ist und aus Angst keinen Kontakt ertragen kann.

 

Rz. 115

Hat sich die Gewalt unmittelbar gegen den anderen Elternteil gerichtet, liegt darin regelmäßig mittelbar zusätzlich eine Gefährdung der seelischen Entwicklung des Kindes (§ 1666 Abs. 1 BGB). Nach der Trennung von dem gewalttätigen Elternteil wird es daher häufig sinnvoll sein, das Kind zur Ruhe kommen zu lassen und für einen Zeitraum, der nach den Umständen des Einzelfalles zu bemessen ist, das Umgangsrecht auszuschließen. Hat sich das Kind stabilisiert, kann, ggf. nach einer Übergangsphase, ein uneingeschränkter Umgang stattfinden. Die dafür nötige Übergabe des Kindes muss aber so organisiert werden, dass eine Gefährdung des betreuenden Elternteils ausgeschlossen ist.

 

Rz. 116

  • Entgegenstehender Kindeswille:

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