Rz. 17

Das BVerfG hat sich in seiner Grundsatzentscheidung vom 9.2.2010 (vgl. Rz. 11) erstmals ausführlich (vgl. danach außerdem noch sein Urteil v. 18.7.2012, 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, zur Verfassungsmäßigkeit der Bemessung der sog. Grundleistungen nach § 3 AsylbLG) zur Systematik des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum und den Vorgaben, die sich daraus für die Bemessung von Sozialhilfeleistungen ergeben, geäußert. Davor gab es nur Entscheidungen des BVerfG zum steuerfreien Existenzminimum (BVerfG, Urteil v. 10.11.1998, 2 BvL 42/93; Beschluss v. 25.9.1992, 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91), die aber nur am Rande Bedeutung für den hier vorliegenden Zusammenhang hatten. Insbesondere der Begriff des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum kam dort noch nicht vor.

 

Rz. 18

Für die (verfassungsgemäße) Bemessung von Sozialhilfeleistungen hat das BVerfG in dem Urteil v. 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, Rz. 135) verschiedene Feststellungen getroffen bzw. Forderungen aufgestellt.

 

Rz. 19

Danach bedarf das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu (Leitsatz 2 des Urteils).

 

Rz. 20

Zur Ermittlung des Anspruchsumfangs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen (Leitsatz 3 des Urteils). Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums muss dabei durch einen Anspruch in einem formellen Gesetz gesichert werden (Rz. 136 des Urteils).

 

Rz. 21

Der Umfang dieses Anspruchs kann nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden, sondern hängt von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab. Bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums kommt dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasst (Rz. 138 des Urteils).

 

Rz. 22

Dabei muss der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf bemessen. Zwar ist ihm dafür keine bestimmte Methode vorgeschrieben; jedoch müssen Abweichungen von der gewählten Methode sachlich gerechtfertigt sein. Zudem bedarf das gefundene Ergebnis einer fortwährenden Überprüfung und Weiterentwicklung, insbesondere wenn Festbeträge vorgesehen sind (Rz. 139 des Urteils). Grundsätzlich ist nicht zu beanstanden, dass einmaliger, nur in unregelmäßigen Abständen entstehender Bedarf durch Anhebung der monatlichen Regelleistungen in der Erwartung gedeckt wird, dass der Hilfebedürftige diesen erhöhten Anteil für den unregelmäßig auftretenden Bedarf zurückhält (Rz. 147 des Urteils).

 

Rz. 23

Das nach § 28 Abs. 3 (in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung) maßgebliche Statistikmodell ist eine vertretbare Methode zur realitätsnahen Bestimmung des Existenzminimums für eine alleinstehende Person (Rz. 167 des Urteils).

 

Rz. 24

Von diesen Grundsätzen ausgehend, hat sich der Gesetzgeber (gezwungenermaßen) von den bisherigen Bestimmungen verabschiedet und neue Regelungen geschaffen, die den vom BVerfG gestellten Anforderungen aus seiner Sicht standhalten. Dabei handelt es sich nicht um einen Systemwechsel, weil an dem – vom BVerfG ausdrücklich gebilligten – Statistikmodell im Grundsatz festgehalten wurde (zur Begründung dieser Entscheidung vgl. ausführlich BT-Drs. 17/3404 S. 50).

 

Rz. 25

Die Bemessung der Leistungen selbst erfolgt in einer Art zweigleisigem Verfahren. Die §§ 28 bis 29 enthalten grundlegende Bestimmungen zur Ermittlung der Regelbedarfe (§ 28), der Fortschreibung der Regelbedarfsstufen (§ 28a) sowie der Festsetzung und Fortschreibung der Regelsätze (§ 29). Demgegenüber ist die (regelmäßig) anzupassende Ermittlung der Regelbedarfe selbst in das RBEG (vgl. dazu Rz. 55) ausgelagert. Die Zweigleisigkeit ist aber nicht so zu verstehen, dass die genannten Vorschriften des SGB XII und das RBEG isoliert nebeneinander stünden. Es bestehen vielmehr wechselseitige Beziehungen und Abhängigkeiten, sodass die Normen getrennt voneinander nicht verständlich sind (ähnlich Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: 26. EL II/2012, § 28 Rz. 37, der das RBEG als eine Art Ausführungsgesetz zu den §§ 27a ff. bezeichnet).

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