Entscheidungsstichwort (Thema)

Ursächlicher Zusammenhang. Schockerlebnis der Versicherten. Schädigung der Leibesfrucht

 

Orientierungssatz

Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Schädigung der Leibesfrucht (geistige Behinderung des später geborenen Kindes) und dem Schock der Versicherten, den sie nach ihren Angaben im dritten Schwangerschaftsmonat erlitten hat, als sie wegen eines Hochwassers Rinder von der Weide holen wollte und dabei fast ertrunken wäre, ist zwar möglich aber nicht genügend wahrscheinlich.

 

Verfahrensgang

SG Marburg (Urteil vom 11.05.1987; Aktenzeichen S-3/U-98/82)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 11. Mai 1987 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin aus Anlaß eines vor ihrer Geburt liegenden Ereignisses aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu entschädigen ist.

Die Klägerin wurde 1967 als Tochter von … und … geboren. Der Vater ist als landwirtschaftlicher Unternehmer bei der Beklagten versichert.

Bereits im Jahre 1968 wurde bei der Klägerin eine frühkindliche Hirnschädigung festgestellt. In der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der P.-Universität … wurden außerdem eine Oligophrenie (Imbezillität) und ein autistisches Syndrom diagnostiziert. Wegen dieser Schädigungen erkannte das Versorgungsamt … die Klägerin als Schwerbehinderte mit einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v.H. an.

Im Juni 1981 beantragte die Klägerin durch ihre Eltern die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Antrag wurde damit begründet, daß ihre Leiden während der Schwangerschaft ihrer Mutter entstanden seien, als diese im dritten Schwangerschaftsmonat im Sommer 1966 wegen eines Hochwassers Rinder von der Weide geholt habe und dabei fast ertrunken sei. Anläßlich ihrer Vernehmung vor der Ortspolizeibehörde … gab die Mutter der Klägerin an, sie sei am 22. Juli 1966 infolge eines starken Gewitters gezwungen gewesen, Jungvieh von der Weide zu holen. Anfangs habe sich das Wasser etwa in Knöchelhöhe befunden. In einer Zeit von ungefähr 15 Minuten sei das Wasser durch einen Wasserschwall auf eine Höhe von ca. 120 cm angestiegen. Sie habe durch die entstehende Panik einen Schock erlitten, der nach ihrer Ansicht Auswirkungen auf die Entwicklung der Leibesfrucht gehabt habe. Auch der Rentner … bestätigte bei seiner polizeilichen Vernehmung, daß bei der Rettungsaktion das Wasser etwa 120 cm hoch gestanden habe.

Nachdem die Ermittlungen der Beklagten keine besonderen Vorkommnisse während der Schwangerschaft der Mutter der Klägerin erbracht hatten, beauftragte sie Prof. Dr. … von Institut für Humangenetik der Universitätsklinik … mit der Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens. Im Gutachten vom 2. Februar 1982 führte Prof. Dr. … im wesentlichen aus, es sei unwahrscheinlich, daß das angeschuldigte Ereignis geeignet sei, die in Gang befindliche Schwangerschaft der Mutter negativ zu beeinflussen. Das Auftreten des Hirnschadens sei mit hoher Wahrscheinlichkeit entweder auf eine Schädigung unter der Geburt oder auf eine erbliche Stoffwechselstörung, vielleicht auch auf eine Chromosomenanomalie zurückzuführen. Möglicherweise handele es sich auch noch um eine Krankheit anderer Art, die nichts mit dem Unfall zu tun habe. Gestützt auf dieses Gutachten lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 23. März 1982 eine Entschädigung der Klägerin aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Mit dem hiergegen am 29. März 1982 eingelegten Widerspruch machte die Klägerin im wesentlichen geltend, der Gutachter Prof. Dr. … habe nicht berücksichtigt, daß durch den Aufenthalt im Wasser eine Unterkühlung stattgefunden habe, die zu erheblichen Durchblutungsstörungen geführt haben könne. In seiner daraufhin eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 1. Juni 1982 führte Prof. Dr. … aus, daß er eine Unterkühlung der Mutter der Klägerin durch das im Juli 1966 stattgefundene Ereignis für ausgeschlossen halte. Mit Widerspruchsbescheid vom 24. August 1982 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch als unbegründet zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 24. September 1982 Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) Marburg hat den Befundbericht des Facharztes für innere Krankheiten Dr. … vom 15. Februar 1983 und - eine stationäre Behandlung der Mutter der Klägerin im Jahre 1963 betreffende - ärztliche Unterlagen des Zentrums für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in … sowie Auskünfte des Deutschen Wetterdienstes vom 10. April 1984 und des Magistrats der Stadt … vom 9. April 1984 eingeholt. Des weiteren hat das SG in einem Termin zur Beweisaufnahme am 27. April 1984 das Gelände, auf dem sich am 22. Juli 1966 der Vorfall ereignete, in Augenschein genommen und den früheren Ortsbürgermeister … und früheren Ortsbeirat Gruß als Zeugen vernommen sowie den Dipl.-Ing. … vom Wasserwirtschaftsamt … als Sachverständigen ...

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