Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsqualität eines Ausführungsbescheides nach Annahme eines außergerichtlich abgegebenen Vergleichsangebotes eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung. Schriftformerfordernis. doppelte Rechtshängigkeit

 

Orientierungssatz

1. Bescheiden, die Gerichtsentscheidungen oder angenommene Anerkenntnisse ausführen, ohne selbst eine Regelung über den bereits in dem Urteil oder in dem angenommenen Anerkenntnis erfolgten Entscheidungsgegenstand hinaus zu treffen, kommt grundsätzlich kein eigenständiger Regelungsgehalt iS von § 31 S 1 SGB 10 zu (vgl BSG vom 21.10.1998 - B 6 KA 65/97 R = SozR 3-2500 § 85 Nr 27).

2. Das gilt jedoch nicht, wenn die gerichtliche Entscheidung, das angenommene Anerkenntnis oder der sozialgerichtliche Vergleich für den Leistungsanspruch zu unbestimmt ist und zur Feststellung der Leistungsdauer und -höhe noch eine Konkretisierung durch eine Regelung iS eines Verwaltungsaktes erforderlich ist. Insoweit hat der Ausführungsbescheid dann eine Regelungsfunktion, die ihm die Eigenschaft eines Verwaltungsaktes iS von § 31 SGB 10 verleiht (vgl BSG vom 18.9.2003 - B 9 V 82/02 B = juris RdNr 6).

3. Die Auffassung, wonach für den Fall der Beendigung eines Rechtsstreits durch außergerichtlichen Vergleich mittels gewechselter Schriftsätze der Beteiligten eine Ausnahme von den Vorgaben des § 56 SGB 10 iVm § 126 BGB zugelassen wird, weil der Schriftwechsel im Rahmen eines Gerichtsverfahrens und unter der Aufsicht des Gerichts, das die übereinstimmenden Erklärungen zur Beendigung des Gerichtsverfahrens feststellen muss, der Warn- und Schutzfunktion der Schriftform gerecht werde, findet keine gesetzliche Grundlage und genügt nicht dem Vorbehalt des § 56 SGB 10.

4. Bei einem vom Leistungsträger außergerichtlich abgegebenen Vergleichsangebot handelt es sich um eine Zusicherung iS von § 34 SGB 10.

5. Erwächst ein Bescheid, der nach § 96 Abs 1 SGG Gegenstand eines zuvor anhängigen Klageverfahrens war, durch Wegfall der Rechtshängigkeit dieser Klage in Bestandskraft, können zwischenzeitlich unzulässig erhobene gesonderte Klagen gegen diesen Bescheid gleichwohl nicht zulässig mit dem Ziel der Beseitigung der Bestandskraft weitergeführt werden, ohne dass ein neues Verwaltungsverfahren zur Überprüfung des bestandskräftigen Bescheids durchgeführt worden ist (vgl BSG vom 9.12.2016 - B 8 SO 1/15 R).

6. Der zunächst nach § 96 Abs 1 SGG einbezogene Bescheid bleibt nicht mitangefochten, wenn der Kläger trotz Kenntnis vom Inhalt dieses neuen Bescheides seine Klage ausdrücklich auf die Anfechtung des ursprünglichen Bescheides beschränkt (vgl BSG vom 25.9.1962 - 5 RKn 15/60 = BSGE 18, 31 = SozR Nr 15 zu § 96 SGG).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 30.06.2022; Aktenzeichen B 5 R 69/22 B)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 24. Februar 2017 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Wege des Überprüfungsverfahrens um die Gewährung einer höheren Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit.

Der 1933 geborene Kläger, deutscher Staatsangehöriger polnischer Herkunft, der am 12. April 1987 in die Bundesrepublik Deutschland übersiedelte, ist Inhaber des Vertriebenenausweises „A“ und bezieht von der Beklagten seit 1. November 1993 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit.

In Ausführung des im Berufungsverfahren vor dem Hessischen Landessozialgericht am 7. September 2004 geschlossenen Vergleichs (Az.: L 12/13 RA 1179/00) stellte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Juni 2005 die Altersrente des Klägers ab Rentenbeginn neu fest. Nachdem sein Widerspruch erfolglos geblieben war (Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2006), erhob der Kläger am 23. Februar 2006 vor dem Sozialgericht Wiesbaden Klage mit dem Ziel einer höheren Rentengewährung (Az.: S 9 R 62/06).

Auch gegen den seinen Überprüfungsantrag vom 15. November 2005 ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 13. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2006 erhob der Kläger am 27. März 2006 Klage vor dem Sozialgericht Wiesbaden (Az.: S 9 R 111/06).

Gegen den seinen weiteren Überprüfungsantrag (Schreiben vom 19. Februar 2006) ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 26. Juni 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2006 erhob der Kläger am 22. August 2006 ebenfalls Klage vor dem Sozialgericht Wiesbaden (Az.: S 9 R 225/06).

Mit Beschluss vom 8. Oktober 2009 verband das Sozialgericht Wiesbaden die Rechtsstreite Az.: S 9 R 62/06, S 9 R 111/06 und S 9 R 225/06 zum Zwecke der gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem neuen Az.: S 9 R 246/09 miteinander. Mit weiterem Beschluss vom 13. November 2009 ordnete es auf Antrag der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens an, um ein Mediationsverfahren durchzuführen. Nach Abschluss des Mediationsverfahrens am 23. März 2010 (Az.: S 15 SF 168/09 RH) wurde da...

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