In den 90er Jahren wurde der Bedarf nach einer wohnortnahen rehabilitativen Behandlung, insbesondere bei orthopädischen Erkrankungen, laut. Nicht jeder erkrankte Mensch benötigt eine stationäre Rehabilitationseinrichtung mit Unterkunft und Verpflegung. Aus diesem Bedarf heraus entstand die erweiterte ambulante Physiotherapie (EAP) und auch die sog. "ambulante orthopädisch-traumatologische Rehabiliation" (AOTR). Sie wurden relativ preiswert außerhalb des Heilmittelbudgets der Kassenärzte verordnet und in vielen ambulanten Rehabilitationszentren von den gesetzlichen Krankenkassen als ergänzende Leistungen zur Rehabilitation nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 SGB V bezahlt. Häufig wurden darüber auch Verträge mit den Leistungserbringern geschlossen, teilweise auch Regelungen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen bezüglich der Verordnung durch Vertragsärzte.

Durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 hat der Gesetzgeber darauf reagiert. Allerdings hat er nicht die EAP in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen, sondern der ambulanten Rehabilitation im Rahmen des § 40 Abs. 1 SGB V eine Rechtsgrundlage geschaffen. Eine EAP ist in aller Regel aber keine Rehabilitationsmaßnahme.

2.1 Abgrenzung zur ambulanten Rehabilitation

Eine ambulante Leistung zur medizinischen Rehabilitation i. S. d. § 42 SGB IX und § 40 SGB V muss interdisziplinär und ganzheitlich erbracht werden. Unter Interdisziplinarität versteht man die Nutzung von Methoden, Ansätzen oder Denkweisen verschiedener Fachrichtungen. Ganzheitlichkeit bedeutet, bei der Behandlung des Patienten Körper, Seele und Geist, Ideale und Wertvorstellungen sowie seine Lebensweise und die soziale Umwelt zu berücksichtigen.

Die EAP erfüllt diese Voraussetzungen in aller Regel nicht. Insbesondere beinhaltet die EAP nicht die für eine medizinische Rehabilitation notwendige Kombination komplexer Maßnahmen medizinischer, pädagogischer, beruflicher und sozialer Art. Auch die Verzahnung der ärztlichen, pflegerischen, physiotherapeutischen und sonstigen Versorgungsformen fehlt bei der EAP in aller Regel. Daher kann sie nicht als ambulante Leistung zur medizinischen Rehabilitation erbracht werden.

Daran soll auch das anderslautende Urteil des BSG[1] nichts geändert haben. Die Verbände der Krankenkassen auf Bundesebene und der GKV-Spitzenverband sehen es als eine Einzelfallentscheidung an.

2.2 Verordnung

Der behandelnde Arzt muss entscheiden, ob die komplexen Maßnahmen einer ambulanten oder stationären medizinischen Rehabilitation notwendig sind. Dafür ist aber wegen der Subsidiaritätsregelung des § 40 Abs. 4 SGB V die gesetzliche Rentenversicherung vorrangig zuständig.

2.2.1 Standardisierte Heilmittelkombinationen

Ist keine komplexe Rehabilitationsmaßnahme erforderlich, kommt in der gesetzlichen Krankenversicherung die Verordnung von Heilmitteln in Betracht.[1] In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Möglichkeit der Verordnung sog. "standardisierter Heilmittelkombinationen"[2] als Kombination aus den in den §§ 18 bis 24 HeimM-RL genannten Maßnahmen der physikalischen Therapie zu nennen. Dies ist die sog. "D1-Verordnung" aus dem "Zweiten Teil Zuordnung der Heilmittel zu Indikationen".

Standardisierte Heilmittelkombinationen können vom Vertragsarzt zulasten der Krankenkasse verordnet werden, wenn

  • komplexe Schädigungsbilder vorliegen und die therapeutisch erforderliche Kombination von 3 oder mehr Maßnahmen synergestisch sinnvoll ist und
  • die Erbringung dieser Maßnahmen in einem direkten zeitlichen und örtlichen Zusammenhang erfolgt und
  • der Patient aus medizinischer Sicht geeignet ist.

Soweit vom Arzt die Verordnung nicht näher spezifiziert wird, kann der Therapeut über die bei der jeweiligen Behandlung einzusetzenden Maßnahmen entscheiden. Dabei muss der Therapeut alle in der standardisierten "Heilmittelkombination" genannten Maßnahmen zur Verfügung stellen können. Dies sind in der Regel

  • Krankengymnastik
  • Krankengymnastik an Geräten
  • Manuelle Therapie und klassische Massagetherapie
  • Wärme-/Kältetherapie
  • Elektrotherapie

und ggf. zusätzlich

  • hydroelektrische Bäder
  • Elektrostimulation
  • Traktion
  • Peloid-Vollbäder

2.2.2 Ergänzende Leistung zur Rehabilitation

Zwischen den standardisierten Heilmittelkombinationen und einer medizinischen Rehabilitationsleistung bleibt für die gesetzliche Krankenversicherung kaum noch Raum für die Erbringung einer EAP. Falls dies in Ausnahmefällen doch notwendig sein sollte, kann die Kostenübernahme als ergänzende Leistung zur Rehabilitation nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 SGB V erfolgen.

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