Verfahrensgang

Hessisches LSG (Beschluss vom 15.07.1985; Aktenzeichen L-13/11/An-108/83)

Hessisches LSG (Beschluss vom 09.07.1985; Aktenzeichen L - 2/J - 719/81)

Hessisches LSG (Beschluss vom 20.06.1985; Aktenzeichen L 10/Ar - 119/85 (A))

SG Frankfurt am Main (Beschluss vom 11.12.1984; Aktenzeichen S 19/Ar - 852/84)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1) wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie teilweise unzulässig ist und im übrigen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu 2) und 3) werden nicht zur Entscheidung, angenommen, weil sie unzulässig sind.

 

Tatbestand

I.

1. Ehrenamtliche Richter in den Tatsacheninstanzen der Sozialgerichtsbarkeit werden nach §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 SGG von der Landesregierung oder der von ihr beauftragten Stelle aufgrund von Vorschlagslisten berufen, die die 1 1/2fache Zahl der festgesetzten Höchstzahl der ehrenamtlichen Richter enthalten sollen. Nachdem in der hessischen Sozialgerichtsbarkeit Zweifel daran aufgekommen waren, ob der in Hessen zuständige Minister für Arbeit, Umwelt und Soziales bei der Berufung der ehrenamtlichen Richter das gesetzlich geordnete Verfahren eingehalten habe, erläuterte dieser die in Hessen geübte Praxis in einem Erlaß. Vor dem 1. April 1985 hätte der in der Sollvorschrift des § 14 Abs. 1 SGG festgelegten Richtzahl nur die Kassenärztliche Vereinigung entsprechen können. Die übrigen vorschlagsberechtigten Verbände und Stellen seien mit Beginn der sechziger Jahre wegen praktischer Schwierigkeiten nur noch zu ergänzenden Vorschlägen aufgrund des jeweiligen Bedarfs bereit gewesen. Erst im Dezember 1984 hätten sich die Verbände – nach längeren Diskussionen über die dabei zu überwindenden praktischen Schwierigkeiten – bereiterklärt, zukünftig jährlich die 1 1/2fache Zahl der ausscheidenden ehrenamtlichen Richter vorzuschlagen. Aufgrund solcher Vorschlagslisten würden seit dem 1. April 1985 die ehrenamtlichen Richter berufen.

2. Die Beschwerdeführerin zu 1) wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen erster und zweiter Instanz hessischer Sozialgerichte, an denen ehrenamtliche Richter beteiligt waren, die vor dem 1. April 1985 berufen worden sind. Durch diese Entscheidungen sei sie vor allem in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Die bei beiden Beschlüssen mitwirkenden ehrenamtlichen Richter seien nicht aus einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Vorschlagsliste ausgewählt worden. Zu dieser Verfassungsbeschwerde haben das Bundessozialgericht, der Hessische Ministerpräsident und der Präsident des Hessischen Landessozialgerichts Stellung genommen. Der Hessische Ministerpräsident hat darauf hingewiesen, daß die vorschlagsberechtigten Stellen und Verbände schon bald nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes angezeigt hätten, sie seien nicht in der Lage, die gesetzlich geforderte Richtzahl an geeigneten Personen zu benennen. Hinzukomme, daß sich die Anfangszeiten der individuellen Amtsperioden ständig weiter auseinander entwickelt hätten und zur Ausstattung neuer Spruchkörper ohne Rücksicht auf laufende Amtsperioden jeweils neue ehrenamtliche Richter hätten berufen werden müssen. Diese Umstände hätten dazu geführt, daß im wesentlichen nur noch Einzelvorschläge oder Vorschläge mit wenigen Personen entsprechend dem Ersatzbedarf eingereicht und die Richter aufgrund dieser Vorschläge berufen worden seien.

3. Die Beschwerdeführer zu 2) und 3) wurden im Jahre 1984 zu ehrenamtlichen Richtern an das Hessische Landessozialgericht berufen und dort durch Geschäftsverteilungsplan dem 13. bzw.

2. Senat zugeteilt. Beide Senate entschieden anläßlich einer jeweils in einem sozialgerichtlichen Verfahren anberaumten mündlichen Verhandlung durch ihre Berufsrichter, daß die Beschwerdeführer an der Mitwirkung an der mündlichen Verhandlung gehindert seien. Beide Senate hielten sich für nicht ordnungsgemäß besetzt, weil die Beschwerdeführer lediglich aufgrund von Einzelvorschlägen berufen worden seien. Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer in erster Linie die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 97 Abs. 2 GG.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1) ist teilweise unzulässig; sie hat im übrigen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

1. Unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde, soweit mit ihr eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 und Art. 12 Abs. 1 GG geltend gemacht wird. Die Beschwerde genügt insoweit nicht den Anforderungen des § 92 BVerfGG. Das Landessozialgericht hat hinsichtlich der beantragten einstweiligen Anordnung eine Sachentscheidung getroffen und dadurch dem in Art. 19 Abs. 4 GG verfassungskräftig abgesicherten Gebot effektiven Rechtsschutzes Rechnung getragen. Weshalb gleichwohl dieser Grundsatz nicht beachtet sein könnte, läßt sich der Verfassungsbeschwerde nicht entnehmen. Das gleiche gilt für die Rüge, Art. 12 Abs. 1 GG sei verletzt. Die bloßen Hinweise der Beschwerdeführerin, das Wirken der Bundesanstalt für Arbeit stehe in Zusammenhang mit diesem Grundrecht, läßt nicht erkennen, inwiefern gerade die angegriffenen Entscheidungen den Grundrechtsverstoß bewirken konnten.

2. Die im übrigen zulässige Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Jedenfalls verfassungsrechtlich ist nicht zu beanstanden, daß an den angegriffenen Entscheidungen ehrenamtliche Richter mitgewirkt haben, die nach Maßgabe des im Erlaß des Hessischen Ministers für Arbeit, Umwelt und Soziales geschilderten Verfahrens in ihr Richteramt vor dem 1. April 1985 berufen worden sind.

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG setzt voraus, daß Gerichte in jeder Hinsicht den Anforderungen des Grundgesetzes entsprechen (BVerfGE 27, 312 ≪319≫). Daher müssen sie auch den Anforderungen des Art. 92 GG entsprechen, der in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 GG gebietet, daß die rechtsprechende Gewalt durch staatliche Gerichte ausgeübt wird. Deren Bindung an den Staat muß auch in personeller Hinsicht ausreichend gewährleistet sein. Dazu gehört, daß der Staat bei der Berufung der Richter mitwirkt (BVerfGE 48, 300 ≪315≫). Gegen diese verfassungsrechtlichen Anforderungen verstoßen weder die maßgeblichen gesetzlichen Normen noch die in Hessen geübte Berufungspraxis.

a) Die das Berufungsverfahren der ehrenamtlichen Richter regelnden §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 SGG stehen in Einklang mit Art. 92 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, daß die Regeln über die Auswahl und Ernennung der ehrenamtlichen Richter in den genannten Gesetzesvorschriften dem Staat einen hinreichenden Einfluß auf die Besetzung der Kammern und Senate für Angelegenheiten der Kassenärzte sichern, weil die von den Kassenärztlichen Vereinigungen vorzulegenden Vorschlagslisten nicht endgültig und unabänderlich seien, sondern auf Verlangen der für die Ernennung zuständigen Stelle ergänzt werden müßten (BVerfGE 27, 312 ≪320 f.≫). Das gilt nicht nur für die Spruchkörper, die mit Angelegenheiten der Kassenärzte befaßt sind, sondern auch für die übrigen Spruchkörper der Sozialgerichte, deren Beisitzer ebenfalls nach §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 SGG zu berufen sind.

b) Auch die von der zuständigen staatlichen Stelle in Hessen vor dem 1. April 1985 gehandhabte Praxis der Berufung ehrenamtlicher Richter ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Die nach Maßgabe des § 13 SGG erfolgte Berufung der ehrenamtlichen Richter der Sozialgerichtsbarkeit wird der verfassungsrechtlichen Forderung gerecht, daß der Staat bei der Berufung der Richter mindestens in der Form der Bestätigung mitzuwirken hat (BVerfGE 18, 241 ≪253 f.≫). Dieses von der Rechtsprechung für Standes- und Berufsgerichte aufgestellte Erfordernis kann im Bereich der Sozialgerichtsbarkeit jedenfalls nicht strenger sein.

Auch die Auswahl der zu berufenden ehrenamtlichen Richter für die hessische Sozialgerichtsbarkeit verletzt keine zwingenden verfassungsrechtlichen Anforderungen, obschon vor dem 1. April 1985 der Sollvorschrift des § 14 Abs. 1 SGG nicht entsprochen worden ist. Verfassungsrechtlich ist es nicht geboten, daß die für die Berufung ehrenamtlicher Richter zuständige Stelle eine Auswahl aus einer Vorschlagsliste haben muß, welche die 1 1/2fache Zahl der jeweils zu ernennenden Richter enthält. Jedoch darf die für die Ernennung ehrenamtlicher Richter zuständige Stelle bei der Berufung nicht an Vorschläge außerstaatlicher Gruppen gebunden sein. Auch wenn die Berufungen aufgrund von Vorschlagslisten erfolgen, muß der Staat deren Ergänzung verlangen können (vgl. BVerfGE 26, 186 ≪196 f.≫; 27, 312 ≪320 f.≫). Diesen Anforderungen genügt die Praxis bei der Berufung der ehrenamtlichen Richter in der hessischen Sozialgerichtsbarkeit. Der Hessische Ministerpräsident hat im einzelnen darlegt, daß für jede zum ehrenamtlichen Richter verschlagene Person ein Personalbogen beizufügen war, der ausreichende Angaben zur Person und zu deren Eignung für das angestrebte Amt enthielt. Erst wenn nach Prüfung der Vorgeschlagene als geeignet erschien, wurde er durch Aushändigung einer Urkunde unter Berufung in ein ehrenamtliches Richterverhältnis für die jeweilige Amtszeit zum ehrenamtlichen Richter ernannt. Die Berufung der ehrenamtlichen Richter war daher nicht Folge einer (vermeintlichen) Bindung des Staates an Vorschläge außerstaatlicher Stellen. Auch ist den Feststellungen des angegriffenen Beschlusses zur Berufungspraxis als auch der Stellungnahme des Hessischen Ministerpräsidenten zu entnehmen, daß der zuständige Minister wußte, daß er an die Vorschläge der Verbände und sonstigen vorschlagsberechtigten Stellen nicht gebunden gewesen ist und jederzeit weitere Vorschläge anfordern konnte.

Er hat das auch getan.

c) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist auch im übrigen nicht verletzt. Das Recht auf den gesetzlichen Richter soll der Gefahr vorbeugen, daß die Justiz durch eine Manipulierung der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird, insbesondere daß im Einzelfall durch die Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter ad hoc das Ergebnis der Entscheidung beeinflußt werden kann (vgl. BVerfGE 17, 294 ≪299≫). Solche Gefahren wurden ersichtlich durch die hessische Ernennungspraxis nicht ausgelöst, denn sie ließ eine Manipulierung der Rechtsprechung nicht befürchten. Der zuständige Minister hatte keinerlei Einfluß darauf, welcher ehrenamtliche Richter mit welcher Streitsache befaßt werden würde. Die Richter werden vom Minister nämlich nicht für einzelne Spruchkörper, sondern lediglich für das Landessozialgericht oder das jeweilige Sozialgericht berufen. Eine sachfremde, d.h. auf willkürlichen Erwägungen beruhende Einflußnahme der Exekutive auf die rechtsprechenden Organe gab es nicht. Dabei ist verfassungsgerichtlich nicht zu entscheiden, ob sich das Berufungsverfahren innerhalb des durch §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 2 SGG gesteckten Rahmens gehalten hat (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫).

4. Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgt auch nicht aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Juni 1971 (BVerfGE 31, 181). Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt war dadurch gekennzeichnet, daß ein Schöffe nicht rechtswirksam gewählt worden war. Demgegenüber werden die ehrenamtlichen Richter in der Sozialgerichtsbarkeit in dieses Amt berufen; die Ernennung erfolgt durch Aushändigung einer Urkunde, mithin durch einen grundsätzlich wirksamen staatlichen Hoheitsakt. Die in der genannten verfassungsgerichtlichen Entscheidung festgelegten Grundsätze treffen mithin vorliegend nicht zu.

III.

Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu 2) und 3) sind unzulässig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann ein Richter Verfassungsbeschwerde nur gegen solche Maßnahmen der öffentlichen Gewalt einlegen, die seine persönliche Rechtsstellung gegenüber dem Staat berühren (BVerfGE 18, 288 ≪302≫). Dies ist nicht der Fall. Die angegriffenen Entscheidungen, die nach ihrem für die Beurteilung der Beschwer maßgeblichen Entscheidungstenor (vgl. BVerfGE 28, 151 ≪160≫) die Beschwerdeführer lediglich in konkreten sozialgerichtlichen Verfahren von der Mitwirkung ausschließen, betreffen diese lediglich in ihrer Eigenschaft und organschaftlichen Funktion als Glied der rechtsprechenden Gewalt. Sie berühren nur das Amtsverhältnis, in das die Beschwerdeführer als ehrenamtliche Richter berufen sind.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Dr. Herzog, Dr. Katzenstein, Dr. Henschel

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1471294

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