Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesundheitseinrichtung. Krankenhaus. Krankenhausabteilung. Ambulanz. Fachambulanz. Poliklinik. ambulante Behandlung. gesetzliche Zulassung. Privatisierungsgebot. DDR. Beitrittsgebiet

 

Leitsatz (amtlich)

Die gesetzliche Zulassung der im Beitrittsgebiet bestehenden ärztlich geleiteten Gesundheitseinrichtungen zur vertragsärztlichen Versorgung erstreckt sich nicht auf unselbständige “Fachambulanzen” an ehemals staatlichen Krankenhäusern (Abgrenzung zu BSGE 74, 64 = SozR 3-2500 § 311 Nr 2).

 

Normenkette

SGB V § 311 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 04.08.1993; Aktenzeichen L 7 Ka 12/93)

SG Berlin (Urteil vom 03.03.1993; Aktenzeichen S 71 Ka 106/92)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten zu 1) werden das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 4. August 1993 aufgehoben und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. März 1993 geändert.

Die Klage gegen den Bescheid des Zulassungsausschusses vom 27. Januar 1992 wird abgewiesen.

Im übrigen wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin, eine Tochtergesellschaft des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, ist seit 1993 Trägerin des im Ostteil Berlins gelegenen Krankenhauses Lichtenberg. Sie begehrt die Feststellung, daß die ambulant behandelnden Abteilungen dieses Krankenhauses seit dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland gemäß § 311 Abs 2 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) kraft Gesetzes zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sind.

Bis zur deutschen Einigung war das Krankenhaus Lichtenberg ein staatlich geleitetes Krankenhaus, in dem außer stationären auch ambulante Behandlungen vorgenommen wurden. Ursprünglich existierte eine dem Krankenhaus angegliederte, selbständige Poliklinik, deren Ärzte sich 1991 überwiegend niederließen und ein privatrechtlich organisiertes Ärztezentrum gründeten. Mit Wirkung ab 1. Januar 1991 wurden die am Krankenhaus bestehenden “Fachambulanzen” befristet bis 31. Dezember 1991 zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt. Gegen die Bescheide des Zulassungsausschusses vom 27. Januar 1992 und des beklagten Berufungsausschusses vom 17. Juni 1992, mit denen die Ermächtigung in eingeschränktem Umfang bis 31. Dezember 1992 verlängert wurde, erhob das (damals in der Trägerschaft des Landes Berlin stehende) Krankenhaus Klage mit dem Antrag, die Bescheide aufzuheben und gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (Beklagte zu 1) sowie dem Berufungsausschuß (Beklagter zu 2) festzustellen, daß die Fachambulanzen des Krankenhauses als poliklinische Einrichtungen kraft Gesetzes bis zum 31. Dezember 1995 zur ambulanten Versorgung zugelassen seien, hilfsweise, den Beklagten zu 2) zur Neubescheidung bezüglich des Ermächtigungsumfangs zu verurteilen.

Das Sozialgericht (SG) hat der Klage im Hauptantrag stattgegeben (Urteil vom 3. März 1993). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufungen der Beklagten im wesentlichen zurückgewiesen und den Feststellungsausspruch dahin gefaßt, daß die ambulant behandelnden Abteilungen der Fachrichtungen Chirurgie, Inneres, Gynäkologie, Radiologie und Anästhesie des Krankenhauses Lichtenberg Einrichtungen im Sinne des § 311 Abs 2 Satz 1 SGB V seien (Urteil vom 4. August 1993).

Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Für die Frage, ob eine der ambulanten Versorgung dienende Krankenhausabteilung zu den im Gesetz genannten “ärztlich geleiteten kommunalen bzw staatlichen Gesundheitseinrichtungen zur ambulanten Versorgung” zu rechnen sei, könne es nicht auf die Bezeichnung als Fachambulanz, Poliklinik oder Ambulatorium und auch nicht auf die mehr oder weniger ausgeprägte rechtliche oder organisatorische Selbständigkeit der betreffenden Abteilung gegenüber dem Krankenhaus ankommen. Im Gesundheitswesen der ehemaligen DDR habe es die für das bundesdeutsche Gesundheitssystem kennzeichnende scharfe Trennung und Unterscheidung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung nicht gegeben. Ambulante und stationäre Versorgung seien als Funktionseinheit verstanden worden. In den Polikliniken und Ambulatorien, in denen die ambulante fachärztliche Versorgung zentralisiert gewesen sei, hätten Ärzte oft nur stundenweise neben ihrer stationären Tätigkeit im Krankenhaus gearbeitet. Viele dieser Einrichtungen seien organisatorisch mit einem Krankenhaus verbunden gewesen, andere dagegen nicht. Im Hinblick auf das gesetzgeberische Ziel, die ambulanten Gesundheitseinrichtungen der früheren DDR im Interesse der medizinischen Versorgung der Bevölkerung zunächst zu erhalten, müsse auch denjenigen Einrichtungen Bestandsschutz zuerkannt werden, die einem staatlichen oder kommunalen Krankenhausträger angegliedert gewesen seien, sofern es sich um eigenständige Abteilungen mit einem eigenen ärztlichen Leiter und eigenem Stellen- und Haushaltsplan handele. Dies treffe auf die am Krankenhaus der Klägerin bestehenden “Fachambulanzen” zu. Die im Urteilstenor genannten ärztlich geleiteten ambulanten Abteilungen hätten auch am 1. Oktober 1992 noch bestanden, so daß für sie auch nach der Neufassung des § 311 Abs 2 Satz 1 SGB V durch das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) vom 21. Dezember 1992 weiterhin Bestandsschutz gegeben sei.

Mit der Revision rügt die Beklagte zu 1) eine Verletzung des § 311 Abs 2 SGB V sowie Verstöße gegen die §§ 103 und 128 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Aus dem Gesamtzusammenhang der Regelungen in § 311 Abs 2 bis 4 und Abs 10 SGB V ergebe sich, daß unter den Gesundheitseinrichtungen im Sinne des Absatzes 2 nur organisatorisch verselbständigte Einrichtungen zu verstehen seien, in denen Ärzte ausschließlich oder zumindest ganz überwiegend ambulant tätig waren und damit im Hinblick auf die Gesundheitsversorgung dieselbe Funktion ausübten wie die (freiberuflichen) Kassenärzte. Diese Voraussetzungen seien bei den sog Krankenhausfachambulanzen im Gegensatz zu den Polikliniken nicht gegeben gewesen. Der Bestandsschutz des § 311 Abs 2 SGB V idF des GSG beziehe sich auf den Bestand der Einrichtung als verselbständigte Organisationseinheit sowie auf den Personalbestand am Stichtag 1. Oktober 1992. Das LSG habe deshalb Feststellungen dazu treffen müssen, ob die im Urteilstenor genannten ambulant behandelnden Abteilungen des Krankenhauses der Klägerin organisatorisch verselbständigt und wieviel und welche Fachärzte per 1. Oktober 1992 dort hauptamtlich ambulant tätig gewesen seien. Solche Feststellungen fehlten weitgehend; soweit sie vorlägen, seien sie unter Überschreitung der Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung zustande gekommen und deshalb unverwertbar.

Die Beklagte zu 1) beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 4. August 1993 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin sowie die Beigeladenen zu 3) und 6) beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Die übrigen Beteiligten haben keine Anträge gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten zu 1) ist in dem Sinne begründet, daß das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache an dieses Gericht zurückzuverweisen ist. Ob die an dem Krankenhaus der Klägerin bestehenden ambulant behandelnden Einrichtungen kraft Gesetzes zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen waren und noch sind, kann aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen nicht entschieden werden.

Ohne weitere Prüfung abzuweisen ist die Klage allerdings, soweit mit ihr (auch) die Aufhebung des Bescheides des Zulassungsausschusses vom 27. Januar 1992 begehrt wird. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 27. Januar 1993 ≪SozR 3-2500 § 96 Nr 1≫ und 24. November 1993 ≪BSGE 73, 234, 235 f = SozR 3-2500 § 95 Nr 4) wird der Berufungsausschuß mit seiner Anrufung nach § 96 Abs 4 SGB V für die Zulassungsangelegenheit funktionell ausschließlich zuständig. Sein Bescheid tritt an die Stelle des vorangegangenen Bescheides des Zulassungsausschusses und bildet den alleinigen Gegenstand der weiteren – gerichtlichen, bei aufhebendem Gerichtsurteil auch erneuten verwaltungsmäßigen – Beurteilung der Zulassungssache. Eine gerichtliche Anfechtung des Bescheides des Zulassungsausschusses scheidet – von bestimmten, hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen – aus; eine darauf gerichtete Klage ist unzulässig.

Im übrigen, dh soweit es um den Bescheid des beklagten Berufungsausschusses geht, sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Anfechtungsklage und die mit ihr verbundenen Feststellungsklagen erfüllt. Das LSG hat der Klägerin mit Recht gegenüber beiden Beklagten ein berechtigtes Interesse iS des § 55 Abs 1 SGG an der Feststellung zugebilligt, daß die ambulant behandelnden Abteilungen ihres Krankenhauses kraft Gesetzes zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sind und es deshalb einer Ermächtigung nicht bedarf. Im Verhältnis zur revisionsführenden Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) ergibt sich dieses Interesse daraus, daß sowohl für die zurückliegende Zeit als auch für die Zukunft Streit über die Vergütung solcher Leistungen besteht, die von der erteilten Ermächtigung nicht erfaßt werden.

In der Sache selbst kann der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts nicht in allen Punkten gefolgt werden.

Welche der im Beitrittsgebiet bestehenden Einrichtungen der ambulanten Krankenversorgung während der streitigen Zeit gesetzlich zugelassen waren und gegenwärtig noch zugelassen sind, ist aus § 311 Abs 2 SGB V zu entnehmen. Nach der ursprünglichen, auf dem Einigungsvertrag (EinigVtr) vom 31. August 1990 (BGBl II S 889, 1049 f) beruhenden Fassung dieser Vorschrift erstreckte sich die Zulassung auf die “ärztlich geleiteten kommunalen, staatlichen und freigemeinnützigen Gesundheitseinrichtungen einschließlich der Einrichtungen des Betriebsgesundheitswesens (Polikliniken, Ambulatorien ua)” und war in zeitlicher Hinsicht bis 31. Dezember 1995 befristet. Im Zuge der Novellierung durch das GSG vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S 2266) ist in § 311 Abs 2 Satz 1 SGB V der Klammerzusatz in “Polikliniken, Ambulatorien, Arztpraxen” geändert und die Aufzählung der zugelassenen Einrichtungen um die Worte “sowie diabetologische, nephrologische, onkologische und rheumatologische Fachambulanzen mit Dispensaireauftrag” ergänzt worden. Die in Satz 1 genannten Gesundheitseinrichtungen sind nunmehr ohne zeitliche Beschränkung zugelassen, allerdings nur, “soweit sie am 1. Oktober 1992 noch bestanden haben”. In § 311 Abs 2 Satz 2 SGB V nF ist ferner eine Sonderregelung für die “kirchlichen Fachambulanzen” getroffen worden; diese sind, soweit sie am 1. Oktober 1992 noch bestanden haben, kraft Gesetzes bis zum 31. Dezember 1995 zur ambulanten Versorgung zugelassen. Da es sich bei den ambulant behandelnden Abteilungen des Krankenhauses Lichtenberg weder um Fachambulanzen mit Dispensaireauftrag (dazu Hofemann, SozSich 1991, 37, 39; Knieps, DOK 1991, 37, 38; Bundesminister für Innerdeutsche Beziehungen ≪Hrsg≫, DDR-Handbuch, 3. Aufl 1985, Band 1, S 557, 561) noch um solche in kirchlicher Trägerschaft handelt, kommt es für die Entscheidung darauf an, ob sie zu den ärztlich geleiteten Gesundheitseinrichtungen iS des § 311 Abs 2 Satz 1 SGB V zu zählen sind. Dabei ist mangels entgegenstehender Anhaltspunkte davon auszugehen, daß der Begriff der Gesundheitseinrichtung in der aktuellen Fassung des GSG dieselbe Bedeutung hat wie in der ursprünglichen Fassung des Einigungsvertrages. Die bloße Veränderung des Klammerzusatzes (Ergänzung um den Begriff “Arztpraxen”, Streichung des “u.a.”) kann nur als Präzisierung, nicht aber als Erweiterung oder Einengung des Kreises der zugelassenen Einrichtungen gewertet werden.

Wie der Klammerzusatz mit der darin enthaltenen Konkretisierung des Begriffs der Gesundheitseinrichtung deutlich macht, sollte und soll die gesetzliche Zulassung für diejenigen Einrichtungen gelten, die im Gesundheitswesen der früheren DDR Träger der ambulanten ärztlichen Versorgung der Bevölkerung waren. Das entspricht der Zielsetzung des Einigungsvertrages, die dahin ging, “die bestehenden Einrichtungen, die zur Zeit ganz überwiegend die ambulante Versorgung der Bevölkerung des beigetretenen Gebietes sicherstellen” für eine Übergangszeit kraft Gesetzes zur vertragsärztlichen Versorgung zuzulassen (Erläuterungen der Bundesregierung zu den Anlagen zum EinigVtr, BT-Drucks 11/7817 S 148). Andererseits ist aus dem Gesamtzusammenhang der Regelungen in § 311 Abs 2, 4 und 10 SGB V zu entnehmen, daß damit nicht alle Stellen gemeint sind, die in irgendeiner Form an der ambulanten Krankenversorgung im Beitrittsgebiet beteiligt waren, sondern nur solche Einrichtungen, die speziell für die ambulante Behandlung geschaffen und ausschließlich in dieser Funktion tätig waren. Die Partner des Einigungsvertrages gingen, wie insbesondere aus dem “ Privatisierungsgebot” in § 311 Abs 10 SGB V zu ersehen ist, davon aus, daß mittelfristig eine Angleichung des bisherigen Systems der ambulanten Versorgung im Gebiet der ehemaligen DDR an das System des Kassenarztrechts der alten Bundesrepublik erfolgen sollte (vgl dazu auch schon Art 22 Abs 2 des Staatsvertrages über die Schaffung einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion vom 18. Mai 1990 (BGBl II S 517, 537). Das setzt eine klare Abgrenzung zwischen Einrichtungen der ambulanten und solchen der stationären Behandlung sowie eine institutionelle und personelle Trennung der beiden Versorgungsbereiche voraus.

Wenn gemäß § 311 Abs 10 SGB V die Niederlassung in freier Praxis mit dem Ziel zu fördern ist, daß der freiberuflich tätige Arzt maßgeblicher Träger der ambulanten Versorgung wird, und zu diesem Zweck der Anteil der in Absatz 2 genannten Einrichtungen entsprechend zu verringern und ihre Umwandlung in Gemeinschaftseinrichtungen der ambulanten ärztlichen Versorgung (Gemeinschaftspraxen, Praxisgemeinschaften ua) anzustreben ist, so kann sich die gesetzliche Zulassung nicht auf unselbständige Krankenhausabteilungen erstrecken, die zwar unter den Bedingungen des Gesundheitssystems der DDR ebenfalls ambulante Behandlungen erbracht haben, wegen ihrer organisatorischen Einbindung in den Klinikbetrieb und der in personeller Hinsicht bestehenden Verzahnung mit dem stationären Sektor einer Umwandlung oder Abwicklung aber von vornherein nicht zugänglich waren und sind. Ambulant behandelnde Einrichtungen, die, wie im vorliegenden Fall, einem Krankenhaus der stationären Versorgung angegliedert sind, werden deshalb von der Regelung des § 311 Abs 2 SGB V nur dann erfaßt, wenn sie gegenüber dem Krankenhaus in der Weise verselbständigt sind, daß sie eine eigenständige Organisationseinheit mit eigener Verwaltung, eigenem Haushalts- und Stellenplan sowie einem hauptamtlichen ärztlichen Leiter und hauptamtlich tätigen Ärzten bilden. Das Erfordernis eines Bestandes an eigenen, der ambulant behandelnden Einrichtung fest zugeordneten und dort ausschließlich oder ganz überwiegend tätigen Ärzten leitet die Beklagte zu 1) mit Recht auch aus § 311 Abs 4 SGB V ab. Nach dieser Vorschrift sind die in Einrichtungen nach Absatz 2 beschäftigten Fach- oder Gebietsärzte kraft Gesetzes ordentliche Mitglieder der KÄV und damit den zugelassenen Kassen- bzw Vertragsärzten statusmäßig gleichgestellt. Als ergänzende Regelung zu § 77 Abs 3 SGB V kann sich diese Gleichstellung nach der Systematik des Kassenarztrechts nur auf solche Fach- und Gebietsärzte beziehen, die hauptberuflich in den genannten Einrichtungen tätig sind und damit im Rahmen der Krankenversorgung dieselbe Funktion ausüben wie die niedergelassenen Kassenärzte. Für Krankenhausärzte, die nur zeitweise und von Fall zu Fall auch ambulante Behandlungen durchführen, kommt dagegen schon wegen des wechselnden Einsatzes im stationären und ambulanten Sektor und der Unmöglichkeit einer eindeutigen Zuordnung zu einem der Versorgungsbereiche der Status eines ordentlichen Mitgliedes der KÄV nicht in Betracht.

Soweit das LSG darauf verweist, daß es im Gesundheitswesen der DDR eine eindeutige Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung nicht gegeben habe, vielmehr beide Bereiche als Funktionseinheit verstanden und organisatorisch wie personell miteinander verzahnt gewesen seien, kann dies der angeführten Literatur in dieser Eindeutigkeit nicht entnommen werden. Die ambulante medizinische Versorgung der Bevölkerung im Beitrittsgebiet wurde im wesentlichen durch staatliche Polikliniken, Ambulatorien und Arztpraxen sowie entsprechende Einrichtungen des Betriebsgesundheitswesens (Betriebspolikliniken, Betriebsambulatorien und angegliederte Arzt-Sanitätsstellen) sichergestellt (DDR-Handbuch, aaO, S 557, 559 ff; Winter, Das Gesundheitswesen in der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1974, S 45 ff; Hofemann, SozSich 1991, 37, 39; Schönbach, BKK 1990, 430 ff). Die staatlichen Polikliniken und Ambulatorien waren zwar vielfach institutionell und organisatorisch mit einem Krankenhaus verbunden; auch waren dort erforderlichenfalls außer den hauptamtlich angestellten Ärzten Fachärzte aus dem Krankenhaus in Teilzeit neben ihrer stationären Arbeit tätig (DDR-Handbuch, aaO, S 560). Gleichwohl handelte es sich im Unterschied zu den bloßen Krankenhausambulanzen um selbständige Organisationseinheiten mit eigenen fachärztlichen Abteilungen und eigenem ärztlichen Personal. Dementsprechend hat sich auch die Volkskammer als Gesetzgebungsorgan der früheren DDR bei der Verabschiedung des Krankenkassen-Vertragsgesetzes (KKVG) vom 13. September 1990 (GBl DDR I S 1533) in der Lage gesehen, rechtlich zwischen “ärztlich geleiteten kommunalen, staatlichen und freigemeinnützigen Gesundheitseinrichtungen einschließlich der Einrichtungen des Betriebsgesundheitswesens (Polikliniken und Ambulatorien mit angestellten Fachärzten)” auf der einen sowie “Ambulanzen an Krankenhäusern jeglicher Trägerschaft” auf der anderen Seite zu unterscheiden (§ 2 Satz 1 KKVG). Daß die Partner des Einigungsvertrages diese begriffliche Unterscheidung nicht aufgegriffen haben, ändert nichts daran, daß die für eine Anpassung an das westdeutsche Kassenarztsystem unverzichtbare Abgrenzung zwischen Polikliniken, Ambulatorien und Arztpraxen als selbständigen Einrichtungen der ambulanten Versorgung und Klinikambulanzen als unselbständigen Funktionseinheiten eines Krankenhauses auch unter den Gegebenheiten des staatlich gelenkten Gesundheitswesens der DDR geläufig war.

Letztlich wird die Auslegung, die an Krankenhäusern als unselbständige Abteilungen geführte “Fachambulanzen” von der gesetzlichen Zulassung ausnimmt, durch Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 311 Abs 2 SGB V selbst gestützt. In der seit 1. Januar 1993 geltenden Fassung des GSG bezieht die Vorschrift ausdrücklich bestimmte Arten von Fachambulanzen, nämlich solche mit einem Dispensaireauftrag für die diabetologische, nephrologische, onkologische oder rheumatologische Versorgung (Satz 1 Halbs 2) und solche in kirchlicher Trägerschaft (Satz 2) in den Kreis der zugelassenen Einrichtungen ein. Einerlei, ob darin eine Erweiterung (so die Beklagte) oder bloß eine Klarstellung (so die Gesetzesbegründung ≪BT-Drucks 12/3937 S 18≫ bezüglich der kirchlichen Fachambulanzen) gesehen wird, kann jedenfalls aus der Beschränkung auf die im Gesetzestext genannten Fachambulanzen sinnvollerweise nur geschlossen werden, daß andere Einrichtungen dieser Art, insbesondere nicht der Dispensaire-Betreuung dienende Fachambulanzen an staatlichen Krankenhäusern, von der Regelung nicht erfaßt werden sollten. Namentlich die in § 311 Abs 2 Satz 2 SGB V vorgesehene Befristung der Zulassung kirchlicher Fachambulanzen bis 31. Dezember 1995 wäre schlechthin unverständlich, wenn gleichzeitig die entsprechenden Einrichtungen an nicht konfessionellen Krankenhäusern unter Satz 1 der Vorschrift zu subsumieren und damit unbefristet zugelassen wären. Die mit der Einfügung des jetzigen Satzes 2 verbundene Absicht, durch die zeitlich begrenzte Zulassung eine Benachteiligung der kirchlichen Einrichtungen im Gesundheitswesen der früheren DDR auszugleichen (BT-Drucks 12/2304 S 4), würde dadurch in ihr Gegenteil verkehrt. Mag die Regelung in § 311 Abs 2 SGB V nF auch teilweise unklar und in mancher Beziehung widersprüchlich erscheinen, so wird doch deutlich, daß eine generelle Zulassung aller Krankenhausambulanzen nicht beabsichtigt war. Soweit aus dem Urteil des Senats vom 9. März 1994 (BSGE 74, 64 = SozR 3-2500 § 311 Nr 2), das sich allein mit der Rechtsstellung der kirchlichen Fachambulanzen befaßt, etwas anderes entnommen werden könnte, wird daran nicht festgehalten.

Zusammenfassend ergibt sich in rechtlicher Hinsicht, daß unter den im Gesetz genannten Gesundheitseinrichtungen nur solche Einrichtungen verstanden werden können, die im Gesundheitssystem der DDR bis zu einem gewissen Grade institutionell verselbständigt und vom Krankenhaus als Einrichtung der stationären Versorgung dadurch abgehoben waren, daß sie eine selbständige Organisationseinheit mit eigener Verwaltung, eigenem Haushalts- und Stellenplan sowie einem hauptamtlichen Leiter und hauptamtlich tätigen Ärzten bildeten. Ob die im Tenor des Berufungsurteils genannten ambulant behandelnden Abteilungen des Krankenhauses der Klägerin diese Voraussetzungen erfüllen, bedarf in tatsächlicher Hinsicht weiterer Klärung, zu der die Sache an das LSG zurückzuverweisen ist.

Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts war dem Krankenhaus Lichtenberg im Zeitpunkt des Inkrafttretens der gesetzlichen Regelung am 1. Januar 1991 (§ 308 Abs 1 SGB V) eine selbständige Poliklinik mit hauptamtlich angestellten Fachärzten angeschlossen. Unklar ist aber, ob diese Einrichtung während der hier streitigen Zeit ab Januar 1992 und, was Voraussetzung für eine unbefristete Zulassung nach § 311 Abs 2 Satz 1 SGB V nF wäre, darüber hinaus ununterbrochen bis zum Stichtag am 1. Oktober 1992 in der ursprünglichen, den genannten rechtlichen Kriterien entsprechenden Form weiterbestanden hat. Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich, daß die poliklinischen Einrichtungen im Laufe des Jahres 1991 teilweise privatisiert worden sind und der größere Teil der dort tätigen Ärzte sich in freier Praxis niedergelassen hat. Zwar heißt es, der für ambulante Behandlungen bestimmte Bereich habe auch danach in den früheren Räumlichkeiten mit den vorhandenen medizinischen Geräten und Verwaltungseinrichtungen weiter existiert. Andererseits wird die verbliebene Einrichtung nunmehr als Abteilung des Krankenhauses und dessen integrierter Bestandteil bezeichnet, was ebenso wie der Umstand, daß die Gehälter der dort tätigen Ärzte in den zur Berechnung des Pflegesatzes für die stationäre Versorgung dienenden Selbstkostenblättern aufgeführt wurden, für den Status einer unselbständigen Funktionseinheit spricht.

Im weiteren Verfahren ist zu prüfen, ob die seit 1992 vorhandenen ambulant behandelnden Abteilungen tatsächlich und nicht nur auf dem Papier eine eigene, gegenüber dem Krankenhaus organisatorisch und verwaltungsmäßig verselbständigte Einrichtung mit eigenem Haushalts- und Stellenplan bilden. Dazu reicht es nicht aus, daß für sie bzw für einzelne Fachbereiche jeweils ärztliche Leiter bestellt sind und Einnahmen des ambulanten Bereichs kontenmäßig gegenüber den stationären Einnahmen gesondert ausgewiesen werden, denn insoweit handelt es sich um Kriterien, die regelmäßig auch bei einer unselbständigen Krankenhausfachabteilung erfüllt sind. Zu klären ist insbesondere, ob und in welchem Umfang die Einrichtung über eigenes, ihr ausschließlich zugeordnetes ärztliches Personal in Gestalt eines hauptamtlichen ärztlichen Leiters und hauptamtlich tätiger Fach- bzw Gebietsärzte verfügt. Hierüber können neben den vorhandenen Organisations- und Stellenplänen vor allem die Arbeitsverträge der betreffenden Ärzte Auskunft geben.

Das LSG wird bei seiner abschließenden Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

BSGE, 226

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