Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers gegen den Rentenversicherungsträger. Kenntnis iS von § 104 SGB 10. Nichtanwendung von § 53 Abs 4 SGB 1

 

Orientierungssatz

1. Kenntnis iS von § 104 Abs 1 S 1 SGB 10 ist als positive Kenntnis von Leistungen des Sozialhilfeträgers zu verstehen; ein bloßes "Kennenmüssen" genügt nicht. Grundsätzlich ist erforderlich, daß der um Erstattung ersuchte Leistungsträger positive Kenntnis von Leistungsart, -zeit und -höhe hat (vgl BSG vom 19.3.1992 - 7 RAr 26/91 = BSGE 70, 186 = SozR 3-1200 § 53 Nr 4 mwN und BSG vom 25.1.1994 - 7 RAr 42/93 = SozR 3-1300 § 104 Nr 8). Dieses Erfordernis kann jedoch nicht in vollem Umfang für den Erstattungsanspruch der Träger der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und Jugendhilfe nach § 104 Abs 1 S 4 SGB 10, der lediglich auf die entsprechende Anwendung von S 1 verweist, gelten. Dem Sozialhilfeträger ist es regelmäßig nicht möglich, dem Sozialleistungsträger rechtzeitig diese Daten mitzuteilen, bevor dieser seine Leistung - hier die Rente - an den Berechtigten zu leisten hat. Es muß daher ausreichen, daß der Sozialleistungsträger positive Kenntnis von dem Sachverhalt erlangt, aufgrund dessen der Erstattungsanspruch geltend gemacht werden soll (vgl BSG vom 18.10.1991 - 9b/7 RAr 12/88 = HV-INFO 1992, 1312).

2. Ist der in Anspruch genommene Leistungsträger im Rahmen eines Rentenzahlverfahrens unter Ausschöpfung aller Mittel noch in der Lage, den bisherigen Zahlungsauftrag zu stornieren, so wird er nicht von seiner Leistungspflicht befreit (vgl BSG vom 25.5.1971 - 4 RJ 19 c/71 = BSGE 33, 1 = SozR Nr 3 zu § 23 BKGG).

3. Die Schutzvorschrift des § 53 Abs 4 SGB 1, die dem Leistungsträger eine Umstellungszeit zubilligt, ist nicht auf § 104 SGB 10 zu übertragen.

 

Normenkette

SGB 10 § 104 Abs 1 S 4; SGB 1 § 53 Abs 4; SGB 10 § 107 Abs 1, § 104 Abs 1 S 1

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 17.09.1992; Aktenzeichen L-2/J-416/92)

SG Kassel (Entscheidung vom 28.02.1992; Aktenzeichen S-8/J-1153/91)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) verpflichtet ist, dem klagenden Träger der Sozialhilfe die Rente des Beigeladenen für den Monat März 1988 zu erstatten.

Der Beigeladene bezieht von der Beklagten seit 1982 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU). Er befand sich seit Juni 1987, so auch im März 1988, auf Kosten des Klägers in stationärer Betreuung des Psychiatrischen Krankenhauses Merxhausen (M.).

Mit seinem bei der Beklagten am 12. Februar 1988 eingegangenen Schreiben vom 10. Februar 1988 meldete der Kläger Erstattungsansprüche an und bat, die Rentenzahlung an den Beigeladenen so früh wie möglich einzustellen sowie die Rente zum nächstmöglichen Zeitpunkt an ihn - den Kläger - zu überweisen. Die Angelegenheit wurde am 18. Februar 1988 bei der Beklagten bearbeitet; am 19. Februar 1988 wurde verfügt, die Einstellung der Zahlung solle mit Magnetband bei der Deutschen Bundespost veranlaßt werden. Dem Kläger teilte die Beklagte mit, die Rente werde ab 1. April 1988 an ihn überwiesen. Die Rente für den Monat März 1988 in Höhe von 1345,26 DM wurde noch an den Beigeladenen ausgezahlt.

Nachdem der Kläger zunächst Ermittlungen über den Verbleib der ab Juni 1987 gezahlten Rentenbeträge angestellt hatte, forderte er mit Schreiben vom 8. August 1989 von der Beklagten auch die Erstattung der Rente für den Monat März 1988, weil der Erstattungsantrag bereits im Februar 1988 vorgelegen habe. Die Beklagte verweigerte die Zahlung. Zur Begründung verwies sie auf die Regelung des § 53 Abs 4 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I); am 18. Februar 1988 sei die Einstellung der Rentenzahlung zum 29. Februar 1988 nicht mehr möglich gewesen, weil die Rente im voraus gezahlt werde.

Das Sozialgericht Kassel (SG) gab der auf Zahlung von DM 1.345,26 gerichteten Klage durch Urteil vom 28. Februar 1992 mit der Begründung statt, der Beklagten sei es zumutbar gewesen, per Telefon oder Telefax eine vorläufige Zahlungseinstellung für die Märzrente bei der Rentenrechnungsstelle der Deutschen Bundespost zu erwirken. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos (Urteil des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) vom 17. September 1992). Das Urteil des LSG ist auf folgende Erwägungen gestützt:

Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers sei § 104 Abs 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X). Nach dessen eindeutigem Wortlaut hänge die Frage, ob der Leistungspflichtige von der Erstattungspflicht gegenüber dem Vorleistenden freigestellt sei oder nicht, von dessen Kenntnis ab. Diese Kenntnis habe die Beklagte aufgrund des am 12. Februar 1988 eingegangenen Schreibens des Klägers vom 10. Februar 1988 erlangt. Obwohl der Aktenvorgang erst am 18. Februar 1988 bei der Beklagten bearbeitet worden sei, habe noch ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden, die Rentenzahlung an den Beigeladenen zum 29. Februar 1988 - fernmündlich oder durch den Einsatz anderer technischer Hilfsmittel - einzustellen. Die Verpflichtung der Beklagten zur Renteneinstellung noch zum Ablauf des Monats Februar 1988 ergebe sich auch aus § 86 SGB X. Die Beklagte könne sich demgegenüber weder in unmittelbarer noch in analoger Anwendung auf die Vorschrift des § 53 Abs 4 SGB I berufen. Diese Vorschrift verpflichte sie nicht grundsätzlich zur Auszahlung erst nach Ablauf des Folgemonats der Kenntniserlangung. Vielmehr sei es in ihr Ermessen gestellt, ob sie sogleich oder erst nach der Monatsfrist an den Dritten zahle. Der in § 53 Abs 4 SGB I enthaltene Schutzgedanke könne nur dann zu einer Leistungsbefreiung führen, wenn im Rahmen eines ordnungsgemäßen Geschäftsganges eine Leistungsumstellung vom alten auf den neuen Gläubiger nicht mehr habe erfolgen können.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 104 Abs 1 SGB X und des § 53 Abs 4 SGB I. Das LSG verkenne die tatsächlichen Gegebenheiten einer modernen Massenverwaltung. Die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben im Bereich der Rentenversicherung sei ua geprägt durch den monatlichen Eingang einer Vielzahl von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen, Verrechnungsersuchen und Anmeldungen von Erstattungsansprüchen. Diese Antragsfülle sei ohne den konsequenten Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung nicht zu bewältigen. Deshalb sei die Beachtung der technisch erforderlichen Vorlauffrist unabdingbare Voraussetzung für eine schnelle und reibungslose Bescheidung. Das Ziel einer effektiven und schnellen Antragsbearbeitung wäre nicht mehr gewährleistet, wenn für Einzelfälle ständig in den automatischen Arbeitsablauf eingegriffen werden müßte. Einer angemessenen Berücksichtigung der Erfordernisse der modernen Massenverwaltung trage § 53 Abs 4 SGB I Rechnung, der hier deshalb analog anzuwenden sei.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 17. September

1992 und des Sozialgerichts Kassel vom 28. Februar 1992 aufzuheben

und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er führt aus, die in § 53 Abs 4 SGB I normierte Verschiebung des Leistungszeitpunkts solle nach dem Willen des Gesetzgebers nicht den Erfordernissen einer modernen Massenverwaltung Rechnung tragen, sondern diene ausschließlich dem Schutz des Schuldners. Sie folge aus der Verpflichtung des Leistungsträgers, die rechtsgeschäftliche Verfügung des Leistungsberechtigten auf ihre Vereinbarkeit mit bürgerlich-rechtlichen sowie öffentlich-rechtlichen Regelungen einschließlich des Vollstreckungsrechts unter Beachtung der Bestimmungen des § 53 Abs 2 und 3 SGB I zu prüfen. Der Beklagten hätten zwei Wochen für die Stornierung der Überweisung für den Monat März 1988 an den Leistungsberechtigten zur Verfügung gestanden; gerade mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung hätte eine Leistungseinstellung innerhalb dieser Frist grundsätzlich möglich sein müssen.

Der Beigeladene hat sich nicht zur Sache geäußert und keine Anträge gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. SG und LSG haben zutreffend entschieden, daß dem Kläger in Höhe der Rente des Beigeladenen ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die diesem im Monat März 1988 gewährte Hilfe zusteht.

Rechtsgrundlage des vom Kläger als Träger der überörtlichen Sozialhilfe erhobenen Anspruchs ist § 104 Abs 1 SGB X. Hiernach ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne daß die Voraussetzungen des § 103 Abs 1 SGB X vorliegen, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (Satz 1). Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet wäre (Satz 2). Ein Erstattungsanspruch besteht nicht, soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen (Satz 3). Nach § 104 Abs 1 Satz 4 SGB X gilt Satz 1 entsprechend, wenn von den Trägern der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und Jugendhilfe Aufwendungsersatz geltend gemacht oder ein Kostenbeitrag erhoben werden kann; Satz 3 gilt in diesen Fällen nicht.

Eine unmittelbare Anwendung des § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X scheidet hier aus, denn diese Vorschrift setzt eine Gleichartigkeit der Leistungen der beiden in Betracht kommenden Träger voraus (vgl BSGE 57, 218, 219 = SozR 1300 § 104 Nr 3; BSGE 64, 96, 98 = SozR 1300 § 104 Nr 13; SozR 1300 § 104 Nr 4). Daran und an der Nachrangigkeit der Leistungen fehlt es jedoch. Der Kläger hat dem Beigeladenen als Hilfe in besonderen Lebenslagen (§§ 27 ff des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG)) Eingliederungshilfe für Behinderte in Form der stationären Unterbringung im Psychiatrischen Krankenhaus M. nach den §§ 39, 40 Abs 1 Nr 7, 100 Abs 1 Nr 1 BSHG gewährt. Die Sachleistung eines Sozialhilfeträgers ist aber von der Rentenleistung eines Sozialversicherungsträgers wesentlich verschieden.

Für Fälle wie dem vorliegenden erklärt § 104 Abs 1 Satz 4 SGB X jedoch Satz 1 der Vorschrift für entsprechend anwendbar. Bei erforderlicher Heimunterbringung eines Behinderten hat der Sozialhilfeträger nach § 43 Abs 1 Satz 1 BSHG Hilfe hierfür in vollem Umfang selbst dann zu gewähren, wenn dem Hilfesuchenden die Aufbringung der Mittel zu einem Teil zuzumuten ist; selbst wenn ihm dies in vollem Umfange zuzumuten ist, kann der Sozialhilfeträger die Heimunterbringung gewähren (§ 29 Satz 1 BSHG). In beiden Fällen der Leistung an den Behinderten hat dieser dem Sozialhilfeträger seine Aufwendungen nach § 43 Abs 1 Satz 2 BSHG in zumutbarem Umfang, nach § 29 Satz 2 BSHG vollständig zu ersetzen.

Durch § 104 Abs 1 Satz 4 iVm Satz 1 SGB X soll eine ungerechtfertigte Bereicherung des Berechtigten in den Fällen vermieden werden, in denen der Träger der Sozialhilfe zwar zur Vorausleistung verpflichtet oder berechtigt ist, jedoch vom Leistungsberechtigten für die Vorausleistung wieder Aufwendungsersatz beanspruchen kann (vgl BSGE 64, 96, 98 = SozR 1300 § 104 Nr 13; BSGE 67, 6, 8 = SozR 3-1200 § 48 Nr 1). Aus diesem Sinn und Zweck der Vorschrift folgt, daß § 104 Abs 1 Satz 4 SGB X auch dann Anwendung findet, wenn ein Sozialhilfeträger gegenüber einer Einrichtung laufend die vollen Kosten einer Unterbringung des Hilfesuchenden übernimmt (s auch BSG SozR 1300 § 104 Nr 4; BSGE 67, 6, 8 = SozR 1300 § 104 Nr 13; BSGE 69, 238, 244 = SozR 3-1200 § 52 Nr 2; zum alten Recht: BSGE 50, 6, 7 f = SozR 2200 § 1531 Nr 10). Demgemäß hat der Sozialhilfeträger einen Erstattungsanspruch gegen den Sozialleistungsträger, dem gegenüber der in einem Heim untergebrachte, zum Aufwendungsersatz verpflichtete Hilfesuchende einen zeitgleichen, noch nicht erfüllten Leistungsanspruch hat oder hatte, ohne daß es hier auf das Verhältnis von Nachrangigkeit und Vorrangigkeit der Leistungen ankäme (vgl BSGE 57, 218, 220 = SozR 1300 § 104 Nr 3; BSG SozR 1300 § 104 Nr 4). Da der Erstattungsanspruch kraft Gesetzes jeweils in dem Zeitpunkt entsteht, in dem der Sozialhilfeträger dem aufwendungsersatzpflichtigen Hilfesuchenden die Sozialleistung erbringt (vgl dazu BSGE 65, 31, 38 = SozR 1300 § 111 Nr 6), bedarf es zum Bestand des Anspruchs keiner förmlichen Anzeige (vgl BSGE 70, 186, 194 = SozR 3-1200 § 53 Nr 4). Sobald gemäß den gesetzlichen Bestimmungen ein Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers entstanden ist, gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger gem § 107 Abs 1 SGB X als erfüllt ("Erfüllungsfiktion").

Aus dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG ergibt sich, daß der Kläger gegen den Beigeladenen auch für den Monat März 1988 einen Aufwendungsersatzanspruch nach § 29 Satz 2 BSHG in Höhe des gegenüber der Beklagten geltend gemachten Erstattungsanspruchs (1345,26 DM) hatte. Der Beigeladene hatte insbesondere schon seit Beginn der stationären Unterbringung im Psychiatrischen Krankenhaus M. einen Leistungsanspruch in Form einer EU-Rente gegen die Beklagte. Die Feststellungen des LSG bieten keinen Anhalt dafür, daß die Gesamtleistungen des Klägers für den Beigeladenen im Monat März 1988 dessen Rentenanspruch von damals monatlich DM 1.345,26 unterschritten hätten. Einem Erstattungsanspruch nach § 104 Abs 1 Satz 4 iVm Satz 1 SGB X steht auch nicht entgegen, daß die monatlichen Rentenbeträge gemäß § 1297 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) (ab 1. Januar 1992: § 118 Abs 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI)) im voraus, dh noch vor Anspruchsreife, zu zahlen sind; so wie künftige Forderungen gepfändet werden können, kann auch die im voraus zu zahlende Rente zugunsten des erstattungsberechtigten Sozialhilfeträgers "verstrickt" sein (so auch in anderem Zusammenhang BSGE 33, 1, 3; vgl dazu ferner BSGE 21, 157, 161 = SozR Nr 12 zu § 1531 RVO; BSGE 29, 164, 166 = SozR Nr 23 zu § 1531 RVO; BSGE 69, 238, 246 f = SozR 3-1300 § 104 Nr 4 "Aufwendungsersatzlage"). Der Kläger hat die hier streitigen Erstattungsleistungen iS des § 111 SGB X mit seinem Schreiben vom 10. Februar 1988 auch rechtzeitig geltend gemacht (vgl dazu BSGE 65, 27, 30 = SozR 1300 § 111 Nr 4; BSGE 65, 31, 37 = SozR 1300 § 111 Nr 6). Die Beklagte durfte im Hinblick auf dieses Schreiben nicht mehr die Auszahlung der Märzrente an den Beigeladenen bewirken.

Nach § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X, auf dessen entsprechende Anwendung Satz 4 verweist, ist ein Erstattungsanspruch allerdings ausgeschlossen, wenn und soweit der Sozialleistungsträger - die Beklagte - die Leistungen zu einem Zeitpunkt erbracht hat, in dem sie von der Leistung des anderen Leistungsträgers - des Klägers - noch keine Kenntnis erlangt hatte. Kenntnis in diesem Sinne ist als positive Kenntnis von den Leistungen des Sozialhilfeträgers zu verstehen; ein bloßes "Kennenmüssen" genügt nicht. Grundsätzlich ist erforderlich, daß der um Erstattung ersuchte Leistungsträger positive Kenntnis von Leistungsart, -zeit und -höhe hat (vgl BSGE 70, 186, 196 = SozR 3-1200 § 53 Nr 4 mwN; BSG Urteil vom 25. Januar 1994 - 7 RAr 42/93 - (zur Veröffentlichung vorgesehen)). Dieses Erfordernis, das der 7. Senat des BSG in den beiden zitierten Entscheidungen für den Erstattungsanspruch nach § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X aufgestellt hat, kann nach Auffassung des erkennenden Senats jedoch nicht in vollem Umfang für den Erstattungsanspruch der Träger der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und Jugendhilfe nach § 104 Abs 1 Satz 4 SGB X, der lediglich auf die entsprechende Anwendung von Satz 1 verweist, gelten.

Kennzeichnend für diesen Anspruch ist, daß er sich jedenfalls bei der Übernahme der laufenden Kosten für die Unterbringung eines aufwendungsersatzpflichtigen Hilfesuchenden auf eine Sozialhilfeleistung bezieht, die bei Beginn der Aufwendungsersatzlage zwar hinsichtlich ihrer Art, nicht aber hinsichtlich der Höhe und des Zeitraums ihrer Erbringung feststeht. Es ist dem Sozialhilfeträger daher regelmäßig nicht möglich, dem Sozialleistungsträger rechtzeitig diese Daten mitzuteilen, bevor dieser seine Leistung - hier die Rente - an den Berechtigten zu leisten hat. Wollte man den Erstattungsanspruch gleichwohl von deren Mitteilung abhängig machen - nur so kann der Sozialleistungsträger in der Regel positive Kenntnis davon erlangen -, würde dies den § 104 Abs 1 Satz 4 SGB X weitgehend bedeutungslos machen. Dies wäre nicht mit dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift zu vereinbaren, die umgehende Gewährung der Sachleistung an den Hilfesuchenden sicherzustellen, ohne ihn durch - kaum rückgängig zu machende - Doppelleistungen zu begünstigen und den Ausgleich zwischen den verschiedenen Leistungsträgern zu erleichtern. Es muß daher ausreichen, daß der Sozialleistungsträger positive Kenntnis von dem Sachverhalt erlangt, aufgrund dessen der Erstattungsanspruch geltend gemacht werden soll (ähnlich BSG, Urteil vom 18. Oktober 1991 - 9b/7 RAr 12/88 - HV-INFO 1992, 1312, 1314). Eine Leistung mit befreiender Wirkung an den Berechtigten scheidet dann aus. Diesen Anforderungen genügt das Schreiben des Klägers vom 10. Februar 1988; ihm ist zu entnehmen, daß der Kläger dem Berechtigten seit Juli 1987 auf unbestimmte Zeit Betreuung im Krankenhaus M. gewährt und seinen Erstattungsanspruch hinsichtlich der Rente, die dieser als Aufwendungsersatz zu leisten hat, geltend machen will. Damit sind alle Tatbestandsmerkmale des § 104 Abs 1 Satz 4 SGB X hinreichend deutlich erkennbar.

Mit dem Berufungsgericht ist davon auszugehen, daß die Beklagte diese Kenntnis spätestens am 18. Februar 1988 hatte, denn zu diesem Zeitpunkt hat sie den Aktenvorgang nach den unangegriffenen und damit das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) "bearbeitet" und die Einstellung der Rentenzahlung für Ende März 1988 verfügt. Die Beklagte war auch verpflichtet, nach erlangter Kenntnis von den Leistungen des Klägers bereits die (im voraus zu zahlende) Rente für den Monat März 1988 an den Kläger auszuzahlen. Ihrer Ansicht, sie sei hierzu im Hinblick auf die Erfordernisse der Massenverwaltung nicht verpflichtet gewesen, vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen.

Ist der in Anspruch genommene Leistungsträger im Rahmen eines Rentenzahlverfahrens (vgl dazu Below, DAngVers 1989, 101 ff; Zwenzner, MittLVA Oberfr 1986, 124 ff) unter Ausschöpfung aller Mittel noch in der Lage, den bisherigen Zahlungsauftrag zu stornieren, so wird er nicht von seiner Leistungspflicht befreit (so wohl auch BSGE 33, 1, 4 = SozR Nr 3 zu § 23; offengelassen in BGHZ 105, 358, 361 für Daueraufträge). Diese Verpflichtung folgt schon daraus, daß die Beklagte, die bei der Erfüllung ihrer Aufgaben dem Vorbehalt des Gesetzes unterworfen ist (vgl § 31 SGB I), die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X zu beachten hat. Sie darf daher nicht mehr "sehenden Auges" an den Berechtigten leisten, wenn ihr ein Erstattungsanspruch eines anderen Leistungsträgers bekannt wird. Hinzu kommt, daß die Sozialleistungsträger untereinander im Hinblick auf die vielfältige gegenseitige Abhängigkeit von Sozialleistungen zur engen Zusammenarbeit (§ 86 SGB X) und Rücksichtnahme auf die Belange des anderen Leistungsträgers verpflichtet sind (vgl BSGE 57, 146, 150 = SozR 1300 § 103 Nr 2; BSGE 58, 263, 275 = SozR 2200 § 1237 Nr 20; vgl auch Senatsurteil vom 17. Juni 1993 - 13/5 RJ 13/90 -). Die Beklagte darf daher bei der Auszahlung von Rentenbeträgen nicht "ohne Not" allein unter Berufung auf die Belange der Massenverwaltung die Erstattungsansprüche eines anderen Leistungsträgers übergehen, soweit ihr eine Zahlungseinstellung mit technischen Mitteln noch möglich und zumutbar ist. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, daß die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung die Renten regelmäßig durch die Deutsche Bundespost zahlen (vgl § 1296 Abs 1 Satz 1 RVO; ab 1. Januar 1992: § 119 Abs 1 SGB VI). Der Postrentendienst der Deutschen Bundespost ist gehalten, laufende Zahlungen einzustellen, wenn ihm durch Mitteilung des Sozialhilfeträgers bekannt wird, daß ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X wegen Heimunterbringung besteht (vgl § 6 Abs 1 Nr 5 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Rentendienst der Deutschen Bundespost (RVwV) vom 18. Juli 1985, BAnz Nr 133 vom 23. Juli 1985, abgedruckt in Verbandskommentar, Anlage 1 zu § 119 SGB VI).

Nach den Feststellungen des LSG war die Beklagte noch in der Lage, die für den Monat März 1988 vorgesehene Rentenzahlung an den Beigeladenen rechtzeitig durch einen Wegfallauftrag an die Deutsche Bundespost einzustellen. Es hat dazu ausgeführt, die Beklagte habe auch am 18. Februar 1988 noch die Möglichkeit gehabt, die Zahlungen fernmündlich oder durch Einsatz anderer technischer Hilfsmittel einzustellen. Insoweit trage die Beklagte die objektive Beweislast, weil nur sie allein durch Offenlegung ihres Verwaltungsablaufes unter Beweis zu stellen vermöge, daß es ihr nicht mehr möglich gewesen sei, die Rentenzahlung an den Beigeladenen für März 1988 rechtzeitig einzustellen. Insoweit fehle es an substantiiertem Vortrag und konkreten Beweisangeboten. Diese Feststellungen des LSG mögen zwar angreifbar sein, indes sind zulässige und begründete Verfahrensrügen (vgl dazu BSG SozR 1500 § 164 Nr 31) dagegen nicht erhoben worden. Die von der Beklagten hierzu allein angeführten Erfordernisse der Massenverwaltung reichen in dieser Hinsicht jedenfalls nicht aus. Der Senat ist daher insoweit an die berufungsgerichtlichen Feststellungen gebunden (§ 163 SGG).

Der Auffassung der Beklagten, die in den §§ 53 Abs 4 SGB I und 1587p des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geregelten Schutzfristen seien auf die Vorschrift des § 104 SGB X zu übertragen, kann nicht gefolgt werden. Dies würde eine planwidrige, dem Gesetzgeber nicht bewußte Gesetzeslücke voraussetzen. In solchen Fällen hat die Rechtsprechung aber zunächst davon auszugehen, daß der Wortlaut der Vorschrift den Willen des Gesetzgebers zutreffend zum Ausdruck bringt, soweit sich nicht aus der Entstehungsgeschichte sowie aus Inhalt und Zweck der Vorschrift Anhaltspunkte ergeben, die mit hinreichender Sicherheit den Schluß auf ein planwidriges Unterlassen des Gesetzgebers zulassen (vgl BSGE 65, 258, 259 mwN = SozR 1300 § 104 Nr 17). Dem steht hier jedoch schon das gesetzgeberische Anliegen entgegen, den Ausgleich zwischen den Leistungsträgern zu erleichtern (vgl dazu BVerwGE 91, 13, 17; vgl zur Entstehungsgeschichte der Erstattungsregelungen BT-Drucks 9/95, S 7, 8, 24, 25, 39, 47 sowie BT-Drucks 9/1753, S 13 f, 44).

Mit der Schutzvorschrift des § 53 Abs 4 SGB I, die dem Leistungsträger eine Umstellungszeit zubilligt, soll der umfassenden Prüfungskompetenz des Leistungsträgers bei der Übertragung und Verpfändung von Sozialleistungen (vgl § 53 Abs 2 Nr 2 und Abs 3 SGB I; vgl dazu BSGE 61, 274, 277 f = SozR 1200 § 53 Nr 7) Rechnung getragen werden (vgl Wannagat/Thieme, Sozialgesetzbuch, § 53 SGB I RdNr 13c; KassKomm-Seewald, § 53 SGB I RdNr 31; vgl ferner zur Entstehungsgeschichte der Rechtsnorm BT-Drucks 11/1004 S 4, 11 f sowie BT-Drucks 11/2460 S 6, 15). Die für die Einführung dieser Vorschrift maßgeblichen gesetzgeberischen Erwägungen sind mithin schon deshalb nicht auf die Lage anwendbar, in der sich der ersuchte Leistungsträger bei dem Erstattungsverlangen eines anderen Leistungsträgers befindet. Hätte der Gesetzgeber dem in Anspruch genommenen Leistungsträger auch im Rahmen des § 104 SGB X eine Schutzfrist zugestehen wollen, hätte es nahegelegen, aus Anlaß der Beratungen über die Vorschrift des § 53 Abs 4 SGB I eine entsprechende klarstellende Bestimmung auch für Erstattungsansprüche nach § 104 SGB X einzufügen. Dies ist aber - wie im übrigen auch bei den Pfändungsbestimmungen nach § 54 SGB I - nicht geschehen. Überdies war die Auszahlungsregelung in § 53 Abs 4 SGB I im hier maßgeblichen Zeitraum auch noch nicht in Kraft getreten (vgl Art 6 Nr 1 und Art 8 Abs 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuches (I. SGBÄndG) vom 20. Juli 1988, BGBl I S 1046).

Der Senat weicht damit nicht von der Entscheidung des 9b Senates vom 18. Oktober 1991 - 9b/7 RAr 12/88 - (HV-INFO 1992, 1312) ab. Soweit darin ausgeführt wird, es liege nahe, die lange Umstellungszeit, die dem Leistungsträger nach § 53 Abs 4 SGB I zugebilligt werde, auch dann zu beachten, wenn die einem Gläubigerwechsel vergleichbaren Voraussetzungen des § 104 SGB X einträten, gehören diese Ausführungen nicht zu den tragenden Gründen des Urteils. Der 9b Senat sah dort die nach § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X erforderliche Kenntnis des ersuchten Leistungsträgers nämlich bereits zu einem früheren Zeitpunkt als gegeben an, so daß es einer ausdrücklichen Entscheidung zu der erörterten Frage nicht mehr bedurfte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654407

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