Leitsatz (amtlich)

Nummer 1.2 der Anlage 1 zur Ersatzkassen-Gebührenordnung (E-GO) verstößt, soweit danach die verschiedenen Facharztgruppen unterschiedliche Vergütungen erhalten, nicht gegen Art 3 GG.

 

Normenkette

E-GO Anl 1 Nr. 1.2; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 18.01.1980; Aktenzeichen L 6 Ka 2/79)

SG Mainz (Entscheidung vom 20.12.1978; Aktenzeichen S 2 Ka 52/77)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt höhere Visitegebühren für seine stationäre vertragsärztliche Tätigkeit.

Der Kläger ist als Facharzt für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe an der Ersatzkassenpraxis beteiligt und nach § 10 des Arzt/Ersatzkassenvertrages (EKV) als Belegarzt anerkannt. Mit Bescheid vom 15. August 1977 teilte die beklagte Kassenärztliche Vereinigung ihm das Ergebnis seiner Honorarabrechnung für seine Kassen- und Ersatzkassentätigkeit im I. Quartal 1977 mit. Der Kläger beanstandete, daß die Visiten im Krankenhaus gemäß Anlage 1 zu der für die Ersatzkassenpraxis vereinbarten Gebührenordnung in der ab 1. Januar 1977 geltenden Fassung (E-Adgo 1977) nach Arztgruppen unterschiedlich honoriert und seine Tätigkeit disqualifiziert werde. Mit seinem Widerspruch hatte er keinen Erfolg. Er legte auch gegen die Honorarabrechnungen für die folgenden Quartale bis II/79 Widerspruch ein.

Beim Sozialgericht (SG) beantragte der Kläger, die Beklagte zu verurteilen, die Vergütung der stationären vertragsärztlichen Leistungen gemäß § 11 EKV und der Anlage zur E-Adgo für alle Beleg- und Fachärzte nach der für Haut-, Kinder- und Nervenärzte festgelegten Vergütung zu bezahlen, und zwar ab 1. Dezember 1976 hilfsweise unter Aufhebung der Honorarabrechnung des I. Quartals 1977 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Oktober 1977 die Visitegebühr festzusetzen. Das SG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG abgeändert. Es hat den Bescheid der Beklagten vom 15. August 1977 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3. Oktober 1977 und die weiteren Abrechnungsbescheide für die Quartale II/77 bis einschl. II/79 aufgehoben und im übrigen die Klage und die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Berufung sei zulässig. Schon in erster Instanz habe der Kläger höhere Visitegebühren nicht nur für das I. Quartal 1977 begehrt. Er habe die nach dem Wortlaut seines Antrages zunächst nur erhobene Leistungsklage in zulässiger Weise in eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage geändert. Von vornherein habe er Klage gegen den Widerspruchsbescheid erhoben. Gemäß § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) seien die späteren Bescheide Gegenstand des Verfahrens geworden, denn sie regelten die Honoraransprüche in demselben Sinn wie der erste angefochtene Bescheid. Alle Belegärzte hätten bis zum 31. Dezember 1976 eine einheitliche Visitegebühr von 5,- DM erhalten und daneben bestimmte Sonderleistungen unbeschränkt, andere dagegen nur dann abrechnen können, wenn sie in der E-Adgo mit 23,- DM und mehr bewertet waren. Infolge unterschiedlicher Auswirkungen in der Mindestgebührenschwelle hätte diese Regelung zu erheblichen Unterschieden bei den durchschnittlichen Honoraren pro Tag und belegtes Bett bei den verschiedenen Belegärztegruppen geführt. Das durchschnittliche Honorar habe zB im I. Quartal 1975 für einen Gynäkologen 18,96 DM, für einen Dermatologen dagegen nur 6,77 DM betragen. Die Gebührenschwelle von 23,DM habe der Arzt nicht durch Addition von mehreren in der Gebührenordnung mit unter 23,- DM bewerteten Leistungen überschreiten können. Um die durch diese Auswirkungen der Mindestgebührenschwelle bedingten Benachteiligungen bestimmter Arztgruppen auszuschließen und die Belegarzttätigkeit auch in dem benachteiligten Fachdisziplinen möglich zu machen, seien ab 1. Januar 1977 gestaffelte Visitegebühren vereinbart worden. Es könne dahingestellt bleiben, ob diese Staffelung schon deshalb gegen den Gleichheitssatz verstoße, weil die Gebühr für diese Leistung für alle Belegärzte gleich hoch sein müsse. Jedenfalls verletze die tatsächliche Ausgestaltung der Staffelung den Gleichheitssatz; ein praktischer Arzt und Geburtshelfer, der als Belegarzt eine Wöchnerin versorge, erhalte nach der Gebührenordnung bei völlig gleichem Leistungsumfang ein höheres Honorar als ein Facharzt für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe. Die Gebührenvereinbarung sei deshalb verfassungswidrig. Soweit der Kläger aber eine Vergütung in der für Haut-, Kinder- und Nervenfachärzte festgesetzten Höhe begehre, sei die Berufung zurückzuweisen, denn die Gerichte dürften nicht selbst die Gebühren festsetzen.

Gegen dieses Urteil haben der Kläger und die Beigeladenen Revision eingelegt.

Die Beigeladenen führen aus, die Visitegebühr enthalte eine für alle Arztgruppen geltende Vergütung der Visite und darüber hinaus einen finanziellen Ausgleich für diejenigen Arztgruppen, die durch die Mindestgebührenschwelle besonders beeinträchtigt würden. Die Mindestgebührenschwelle ihrerseits sei eingeführt worden, um der Abgeltung bestimmter Kosten im Pflegesatz zB für das ärztliche Hilfspersonal, Rechnung zu tragen.

Die Beigeladenen beantragen, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. Januar 1980 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 20.Dezember 1978 sowie die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, in Abänderung des angefochtenen Urteils des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz die Beklagte zu verurteilen, für die bereits abgerechneten Quartale I/77 bis II/79 für seine stationäre Tätigkeit gem § 11 EKV in der Anlage 1 zur E-Adgo entsprechend den für Haut-, Kinder- und Nervenärzten festgelegten Gebührensätzen zu vergüten und festzustellen, daß die Beklagte hierzu auch in den folgenden Quartalen verpflichtet sei;

die Revision des Beigeladenen zu 2) zurückzuweisen und die Revision der Beigeladenen zu 1) als unzulässig zu verwerfen.

Er macht geltend, er habe einen Anspruch auf die höhere Vergütung für Haut-, Kinder- und Nervenärzte. Damit verlange er nicht, daß das Gericht Gebühren selbst festsetze. Die Revision der Beigeladenen Zu 1) sei unzulässig, da sie durch das Urteil des LSG nicht beschwert sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen der Beigeladenen sind zulässig, weil das Urteil des LSG ihrem Antrag auf Verwerfung der Berufung nicht entsprochen hat. Dadurch, daß das LSG die angefochtenen Bescheide mit der Begründung aufgehoben hat, die Anlagen zu den Gebührenordnungen seien verfassungswidrig, berührt das Urteil unmittelbar die Interessen der Vertragspartner. Die Revisionen sind auch begründet. Zu Unrecht hat das LSG die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Die Bescheide sind rechtmäßig.

Zutreffend nimmt das LSG die Zulässigkeit der Berufung an. Sie ist nicht nach § 144 Abs 1 Nr 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen, denn sie betrifft keinen Anspruch auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu dreizehn Wochen (drei Monaten). Beim SG hatte der Kläger beantragt, die Vergütung nach der für Haut-, Kinder- und Nervenärzte festgelegten Vergütung zu zahlen, und zwar ab dem 1. Dezember 1976/1. Januar 1977 - also ohne Beschränkung auf einen bestimmten Zeitraum. Die Berufung ist für dieses Begehren nicht ausgeschlossen. Das gilt auch für die mit der Leistungsklage kombinierte Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 15. August 1977, der sich nur auf ein Quartal bezog. Geht nämlich das Leistungsbegehren über die Regelung des angefochtenen Bescheids, der hier nur einen Zeitraum von weniger als dreizehn Wochen (drei Monaten) betraf, hinaus, so ist hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung das weitergehende Leistungsbegehren maßgebend (BSG SozR 1500 § 54 Nr 16).

Zulässig ist auch die Klage.

Soweit sie sich gegen die bereits ergangenen Abrechnungsbescheide für die Zeit nach dem Quartal I/77 richtet, ergibt sich ihre Zulässigkeit aus § 96 SGG. Die Vorschrift ist entsprechend anzuwenden, weil die Folgebescheide, wie das LSG festgestellt hat, die Honoraransprüche des Klägers in demselben Sinn regeln wie der erste Bescheid und deshalb vom Kläger mit derselben Begründung angegriffen werden, so daß es nicht auf Besonderheiten der einzelnen Quartale ankommt. Das BSG hat § 96 SGG angewendet auf Verwaltungsakte, die das streitige Dauerrechtsverhältnis unter Aufrechterhaltung des zwischen den Beteiligten umstrittenen Standpunkts für einen anschließenden Zeitraum regeln, wenn der nachgehende Bescheid aus den gleichen Gründen angefochten wird wie der frühere Bescheid (BSGE 47, 201, 203 = SozR 1500 § 96 SGG Nr 14 mwN; BSG Urteil vom 7. Oktober 1981 - 6 RKa 9/78). An dieser Rechtsprechung hält der Senat jedenfalls dann fest, wenn es hinsichtlich der Folgebescheide ausschließlich um die gleiche Rechtsfrage geht wie beim ursprünglich angefochtenen Bescheid. So liegt der Fall des Klägers. Er durfte damit rechnen, daß in dem Verfahren wegen Anfechtung des Bescheids vom 15. August 1977 seine Vergütung nach der Anlage 1) zur E-Adgo 1977/E-GO geklärt werde und daß der Bestand der Folgebescheide von dieser Klärung abhängen würde.

Zulässig ist auch die Feststellungsklage. Gemäß § 55 Abs 1 Nr 1 SGG kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden. Der Kläger hat eine Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erhoben, die auch im sozialgerichtlichen Verfahren nach § 202 SGG zulässig ist (BSGE 13, 163, 164). Für diese Klage bedarf es keines berechtigten Interesses an der alsbaldigen Feststellung (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 40. Auflage § 256 Anm 7A mwN). Der Anspruch des Klägers auf das höhere Honorar ist ein - für die Anfechtungs- und Leistungsklage vorgreifliches - Rechtsverhältnis. Es ist unerheblich, daß dieses Rechtsverhältnis schon vor der Klage streitig gewesen ist (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann aaO Anm 8Ca mwN).

Die Revisionen der Beigeladenen sind in der Sache begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Insbesondere sind die streitigen Gebührenregelungen nicht verfassungswidrig.

Die Anlage 1 zur E-Adgo hatte durch Beschluß Nr 173 der Arbeitsgemeinschaft nach § 19 des Vertrages folgende Fassung erhalten (ErsK 1974, 354): Für die stationäre vertragsärztliche Tätigkeit der gemäß § 10 des Vertrages anerkannten Belegärzte gilt die E-Adgo mit den folgenden Abweichungen: Es werden dem Belegarzt vergütet

a) die Visite im Krankenhaus mit täglich 5,- DM. Daneben können Wegegebühren nach § 11 E-Adgo nicht berechnet werden. Der mehrmalige Ansatz einer Visitegebühr an einem Tag bedarf einer besonderen Begründung b) die Leistungen nach den Ziffern ...E-Adgo... Leistungen nach den Abschnitten C bis F der E-Adgo wurden gemäß Buchstabe b) nur vergütet, wenn sie mit 23,- DM und mehr bewertet waren. Bei bestimmten Leistungen richtete sich die Vergütung gemäß Buchstabe b) danach, ob der Belegarzt die Apparatur des Krankenhauses benutzt hatte. Mit Wirkung vom 1. Januar 1977 wurde die Anlage geändert (ErsK 1976, 477, 486). Die tägliche Visite wurde nunmehr gemäß Ziffer 1 Buchstabe a) vergütet: für Haut-, Kinder- und Nervenärzte (Psychiater) mit DM 1O,- (Ziffer 4b) für Chirurgen, Internisten, Orthopäden, praktische Ärzte (Ärzte für Allgemeinmedizin) mit DM 7,50 (Ziffer 4c); für Augen-, HNO-Ärzte, Gynäkologen und Urologen mit DM 5,50 (Ziffer 4d). Mit dieser Anhebung der Visitegebühr sollte die Vergütung der stationären vertragsärztlichen Tätigkeit verbessert werden, und zwar differenziert nach der Fachdisziplin des behandelnden Belegarztes (Fischer, ErsK 1976, 477, 486).

Eine Reihe von Leistungen wurden auch nach der E-Adgo 1977 nur vergütet, wenn sie mit 23,- DM und mehr bewertet waren (Buchstabe b). Bei der Erbringung bestimmter Leistungen beschränkte sich die Vergütung auf 60 v.H. des jeweiligen Gebührensatzes, wenn der Arzt die Apparatur des Krankenhauses benutzte (Buchstabe c). Leistungen nach den Abschnitten M und N der E-Adgo soweit sie mit 23,- DM und mehr bewertet waren, wurden mit 60 vH der Gebührensätze vergütet, wenn der Arzt das Laboratorium des Krankenhauses benutzte und die Leistungen von ihm persönlich oder von unter seiner Verantwortung stehenden nichtärztlichen medizinischen Mitarbeitern erbracht wurden (Buchstabe d).

Mit dem Inkrafttreten der E-GO am 1. Juli 1978 ist die Vergütung für die belegärztliche Tätigkeit als Anlage 1 zu dieser Gebührenordnung geregelt worden. Dem Belegarzt werden danach vergütet: 1.1 Die Visite im Krankenhaus nach Nr 4b. Jede weitere Visite an demselben Tage bedarf einer besonderen Begründung (Nr 4f); daneben können Wegegebühren nach § 8 E-GO nicht berechnet werden.

1.2 Darüber hinaus erhalten Haut-, Kinder- und Nervenärzte (Psychiater) täglich einen Betrag von 5,70 DM (Nr 4c) Chirurgen, Internisten, Orthopäden und praktische Ärzte (Ärzte für Allgemein-Medizin) täglich einen solchen von 2,80 DM (Nr 4d), Augen-, HNO-Ärzte, Gynäkologen und Urologen täglich einen solchen von 0,55 DM (Nr 4e)

1.3 Die Leistungen nach den Nrn 404, 650, 655, 786, 1002, 1013 und 4205, ferner Blutuntersuchungen zur Bestimmung des Kohlehydratstoffwechsels unter Belastung (nach Nr 3661), sofern mindestens drei Einzeluntersuchungen durchgeführt... Wie bisher bleibt es dabei, daß bestimmte Leistungen nur vergütet werden, wenn sie mit - nunmehr - 25,- DM und mehr bewertet sind (Ziffer 1.3). Dem Buchstaben c) der Anlage 1 zur E-Adgo 1977 entspricht weitgehend die Ziffer 1.4 der Anlage 1 zur E-GO, wobei allerdings zusätzlich verlangt wird, daß mindestens drei Einzeluntersuchungen durchgeführt werden. Ziffer 1.5 der Anlage 1 zur E-GO entspricht Buchstabe d) der Anlage 1 zur E-Adgo 1977.

Abschnitt 1 Buchstabe a) der Anlage 1 zur E-Adgo in der ab 1. Januar 1977 geltenden Fassung und Ziffer 1.2 der Anlage 1 zur E-GO verstoßen nicht deshalb gegen Art 3 GG, weil sie für die verschiedenen Facharztgruppen unterschiedliche Vergütungen vorsehen. Bei den streitigen Regelungen war Art 3 GG zu beachten, weil die Regelungen öffentlich-rechtlicher Art sind. Die Gebührenordnungen für die vertragsärztliche Tätigkeit werden von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung - Körperschaft des öffentlichen Rechts - und den Verbänden der Ersatzkassen abgeschlossen. Bei diesen Verbänden handelt es sich um eingetragene Vereine, aber die Regelungen gelten für Mitglieder der Verbände, nämlich die Ersatzkassen, die ihrerseits Körperschaften des öffentlichen Rechts sind (Art 2 § 2 Abs 1 S 3 der Zwölften Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung vom 24. Dezember 1935 - RGBl III 8230-13 idF durch Art 1 Nr 1 der VO vom 1. April 1937 - RGBl I 439 -). Durch den Vertrag übernehmen die Kassenärztlichen Vereinigungen die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Aufgabe der Ersatzkassen, nämlich die ärztliche Versorgung der Versicherten im Rahmen der einzelnen Vertragsbestimmungen (§§ 1 bis 3 EKV). Auch die Regelung der Vergütung der stationären vertragsärztlichen Tätigkeit gemäß § 11 EKV iVm der Anlage 1 der E-GO ist öffentlich rechtlicher Art. Die Vertragspartner müssen dabei den Gleichheitssatz beachten.

Nach Art 3 Abs 1 GG ist der Gesetzgeber und sind auch die Selbstverwaltungskörperschaften bei ihrer Normgebung gehalten, wesentlich gleiches nicht willkürlich ungleich zu behandeln. Er verletzt dieses Gebot, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung nicht finden läßt (BVerfG SozR 2200 § 1315 RVO Nr 5). Bei einer gesetzlichen Regelung muß sich die sachliche Vertretbarkeit des Differenzierungsgrundes aus der Eigenart des zu regelnden Sachverhältnisses heraus entwickeln lassen; der Grund muß in diesem Sinn sachbezogen sein (BVerfGE 26, 72, 76 ständige Rechtsprechung).

Für die unterschiedlichen Vergütungen nach Ziffer 1 Buchstabe a) der Anlage 1 zur E-Adgo 1977/Ziffer 1.2 der Anlage 1 zur E-GO gibt es einen sachbezogenen Differenzierungsgrund im dargelegten Sinn. Nach den Feststellungen des LSG führte die bis zum 31. Dezember 1976 geltende Regelung einer einheitlichen Visitegebühr für alle Belegärzte infolge unterschiedlicher Auswirkungen der Mindestgebührenschwelle von 23,- DM zu erheblichen Unterschieden bei den durchschnittlichen Honoraren pro Tag und belegtes Bett bei den verschiedenen Belegarztgruppen. An diese tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 163 SGG gebunden, da der Kläger sie nicht mit Verfahrensrügen angegriffen hat. Die unterschiedlichen Honorare sind ein sachbezogener Grund für die unterschiedliche Vergütung, die die Honorardifferenz ganz oder teilweise ausgleicht. In § 525c Abs 2 iVm § 368g Abs 6 RVO ist den Parteien der Verträge über die vertragsärztliche Versorgung aufgegeben, auf eine leistungsfähige belegärztliche Versorgung hinzuwirken. Dies ist zwar erst mit Wirkung vom 1. Juli 1977 durch das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1069) geregelt worden. Die Förderung der belegärztlichen Versorgung ist aber schon vorher ein erlaubter Zweck der Verträge zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Verbänden der Ersatzkassen gewesen, der im Rahmen ihrer Gestaltungsfreiheit gelegen hat. Nach den von der Revision unangegriffenen Feststellungen des LSG war es der Zweck der Neuregelung in der Anlage 1 zur E-Adgo 1977, die belegärztliche Tätigkeit in den benachteiligten Fachdisziplinen möglich zu machen. Dieser Differenzierungsgrund ist sachlich einleuchtend, so wie etwa auch zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung Umsatzgarantien und ähnliche Förderungsmaßnahmen als zulässig erachtet werden.

Nach Art 3 Abs 1 GG kommt es nicht nur auf den Differenzierungsgrund an, sondern auch auf die Art der Differenzierung. Sie darf nicht sachfremd sein. Aus dem Sachverhalt, den die differenzierende Regelung zum Gegenstand hat, muß sich gerade für sie ein sachlich vertretbarer Gesichtspunkt anführen lassen (BVerfGE 17, 122, 131; 19, 1, 8). Der Kläger wendet gegen die unterschiedlichen Vergütungen ein, den insoweit bevorzugten Arztgruppen werde für die gleiche Leistung Visite mehr vergütet als den anderen Ärzten. Das LSG hat die Regelung als verfassungswidrig angesehen, weil danach der praktische Arzt und Geburtshelfer, der als Belegarzt eine Wöchnerin versorgt, bei völlig gleichem Leistungsumfang ein höheres Honorar erhält als ein Gynäkologe. Aus dieser Gestaltung der Anlagen 1 zur E-Adgo 1977 und E-GO kann indessen - zumindest im gegenwärtigen Zeitpunkt noch - kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz entnommen werden.

Bei der Anwendung des Gleichheitssatzes im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, daß von den Vertragspartnern nicht von vornherein eine perfekte Übersicht über den Sachverhalt und die Auswirkungen der Regelung erwartet werden konnte. Bei komplexen Sachverhalten hält das Bundesverfassungsgericht es für vertretbar, daß dem Gesetzgeber zunächst eine angemessene Zeit zur Sammlung von Erfahrungen eingeräumt wird, und daß er sich in diesem Anfangsstadium mit groben Typisierungen und Generalisierungen begnügen darf. Damit verbundene Unzuträglichkeiten sind verfassungsrechtlich erst dann zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber eine spätere Überprüfung und fortschreitende Differenzierung trotz ausreichenden Erfahrungsmaterials für eine sachgerechte Lösung unterläßt (BVerfGE 33, 171, 189f mwN). Nach diesen Grundsätzen ist auch den Vertragsparteien des EKV und der E-Adgo 1977/E-GO zuzubilligen, daß sie das erlaubte Ziel, den benachteiligten Arztgruppen ihre belegärztliche Tätigkeit besser zu vergüten, zunächst durch grobe Typisierungen zu erreichen versuchen.

Als sachgerecht ist es daher anzusehen, daß die bessere Vergütung nach der Anlage 1 zur E-Adgo 1977 an die Visite angeknüpft hat. Die Visite ist kein offensichtlich ungeeigneter Anknüpfungspunkt gewesen, denn sie ist eine Leistung, die typischerweise mindestens einmal täglich erbracht wird. Die statistisch ermittelte Mindervergütung der Arztgruppen pro Behandlungstag wird daher durch eine höhere Visitegebühr typischerweise ganz oder zumindest teilweise ausgeglichen. In der Anlage 1 zur E-Adgo 1977 wurde diese Wirkung dadurch abgesichert, daß die höhere Visitegebühr nur für eine Visite am Tag gewährt wurde, weitere Visiten wurden nur nach besonderer Begründung allen Ärzten durch eine einheitliche Gebühr vergütet. Schon nach eineinhalb Jahren ist dann in der Anlage 1 zur E-GO diese Art der Differenzierung verbessert worden. Der Zuschlag wird nunmehr losgelöst von der Visite pro Tag gewährt.

Benachteiligt ist der Kläger durch die Anlagen 1 zur E-Adgo 1977 und zur E-GO gegenüber einem praktischen Arzt, soweit dieser wie der Kläger als Belegarzt gynäkologische Leistungen erbringt; ebenso gegenüber einem Chirurgen, der die gleiche Operation durchführt wie der Gynäkologe. Diese Ärzte erreichen wegen ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der praktischen Ärzte (Ärzte für Allgemeinmedizin) oder der Chirurgen die höhere Visitegebühr nach Ziffer 4d der Anlage 1 zur E-Adgo 1977 und ab 1. Juli 1978 den täglichen Betrag von 2,80 DM nach Nr 4d der Anlage 1 zur E-GO. Bei gynäkologischen Behandlungen erbringen sie aber im übrigen die gleichen Leistungen wie der Gynäkologe und erhalten auch die gleiche Vergütung. Sie werden bei insgesamt gleicher Leistung durch den Zuschlag besser gestellt als der Gynäkologe. Trotzdem sieht der Senat insoweit noch keinen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG. Im Durchschnitt kamen die als Belegärzte tätigen praktischen Ärzte und Chirurgen, wie sich aus der vorliegenden Statistik ergibt, vor Inkrafttreten der E-Adgo 1977 auf eine geringere Vergütung pro Tag je belegtes Bett als die Fachärzte für Gynäkologie. Dies rechtfertigt jedenfalls bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch die etwas grobe Differenzierung nach der Arztgruppe. Eine Vernachlässigung der Unterschiede innerhalb der Gruppe der praktischen Ärzte ist umso eher vertretbar, da sie die praktische Handhabung der streitigen Gebührenziffern erheblich erleichtert. Würde zB nach der Art der Behandlung im Einzelfall - gynäkologisch, kinderärztlich usw - differenziert, so würden die Schwierigkeiten bei der Ermittlung der richtigen Vergütung nach der Anlage 1 auf der Hand liegen. Eine ebenfalls denkbare Differenzierung nach der Vergütung im Einzelfall würde für den hier streitigen Zuschlag ein völlig neues System bedingen. Zu denken wäre etwa an eine Aufstockung der Vergütung bis auf einen bestimmten für alle Arztgruppen geltenden Sollbetrag. Damit wäre aber ein Mehraufwand in der Verwaltung verbunden, der die grobe Differenzierung nach den Anlagen 1 zur E-Adgo und E-GO rechtfertigt. Darüber hinaus liegt ein erheblicher Grund für die Art der Differenzierung darin, daß der in absoluter Höhe an die Ärzte bestimmter Gruppen zu zahlende Zuschlag für die Vertragsparteien, die die Anlage 1 zur E-Adgo 1977/E-GO vereinbaren, eine kalkulierbare Größe ist. Er ist in dieser Gestaltung insbesondere für die Ersatzkassen ein geeigneter Verhandlungsgegenstand. Ihnen wird die Förderung der belegärztlichen Tätigkeit - einer Maßnahme auf die kein Rechtsanspruch besteht - durch die Kalkulierbarkeit wesentlich erleichtert.

Mit den nach Fachgruppen gestaffelten Zuschlag kommen die einzelnen Belegärzte allerdings auf unterschiedliche Gesamtvergütungen pro Tag und belegtes Bett. Die Höhe der Vergütung insgesamt richtet sich danach, welche Leistungen der einzelne Arzt erbracht hat und nach den Buchstaben b bis h der Anlage 1 zur E-Adgo 1977 oder den Ziffern 1.3 ff der Anlage 1 zur E-GO abrechnen kann. Umgekehrt knüpft die Förderung der belegärztlichen Tätigkeit nicht an die einzelne Leistung an - etwa durch Herabsetzung der Mindestgebührenschwelle oder durch Aufstockung der spezifischen Leistungen auf dem Gebiet derjenigen Arztgruppen, die nach der Statistik bei ihren Visiten benachteiligt waren. Ein darin etwa liegender Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG oder gegen das Leistungsprinzip gemäß § 368f Abs 1 Satz 4 RVO benachteiligt aber jedenfalls nicht den Kläger. Durch eine Änderung der Anlage 1 zur E-Adgo 1977/E-GO aus diesen Gründen würde nicht die Vergütung des Klägers verbessert, denn das würde dem Zweck der beabsichtigten Förderung widersprechen.

Die Revision des Klägers ist unbegründet, da er auf die von ihm geforderte Leistung, wie sich aus den Ausführungen zur Revision der Beigeladenen ergibt, keinen Anspruch hat und die angefochtenen Bescheide nicht rechtswidrig sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1657167

BSGE, 247

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