Verfahrensgang

LSG für das Saarland (Urteil vom 11.06.1990)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 11. Juni 1990 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Der nach dem Versorgungsausgleich ausgleichsverpflichtete Kläger begehrt die infolge der Übertragung von Rentenanwartschaften bewirkte Kürzung seiner Rente rückgängig zu machen.

Die Ehe des Klägers mit Margot H. wurde durch rechtskräftiges Urteil des Familiengerichts Neunkirchen vom 17. Februar 1978 geschieden. Gleichzeitig übertrug dieses Gericht von dem bei der Beklagten bestehenden Versicherungskonto des Klägers auf das bei der beigeladenen Landesversicherungsanstalt (LVA) zu errichtende Versicherungskonto der geschiedenen Ehefrau Rentenanwartschaften in Höhe von 390,30 DM monatlich. Am 2. Juni 1979 verstarb sie, ohne Leistungen von der Beigeladenen bezogen zu haben. Die Beigeladene gewährte jedoch der im Haushalt des Klägers lebenden Tochter Heike unter Zugrundelegung der übertragenen Rentenanwartschaften Halbwaisenrente vom 2. Juni 1979 bis einschließlich 31. August 1987 in Höhe von 20.419,60 DM. Diese Rentenbewilligung war nach Antragstellung durch den Kläger erfolgt, der insoweit einer Aufforderung der Beklagten mit Schreiben vom 16. September 1981 nachgekommen war.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 2. Oktober 1981 die vom 1. August 1981 an den Kläger zuerkannte Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit zunächst vorschußweise und sodann mit Bescheid vom 15. Februar 1982 endgültig fest und führte darin aus, daß die im Vorschußrentenbescheid festgestellten Auswirkungen des Versorgungsausgleichs bestehen blieben.

Mit Schreiben vom 19. April 1983 suchte der Kläger um Überprüfung seiner Rente wegen des Versorgungsausgleichs nach.

Die Beklagte stellte daraufhin mit Bescheid vom 27. Juli 1983 fest, daß eine ungekürzte Rentenzahlung nach gegenwärtiger Sachlage nicht erfolgen könne, weil mit der Zahlung der Halbwaisenrente der Grundbetrag der Zweijahresrente nach § 4 des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich vom 21. Februar 1983 (BGBl I, 105; ≪VAHRG≫) möglicherweise überschritten werde. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 1983).

Klage und Berufung blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 14. Mai 1986; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 11. Juni 1990). Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, die Beklagte habe zu Recht die Gewährung der ungekürzten Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit unter Rückgängigmachung der wegen des Versorgungsausgleichs erfolgten Minderung abgelehnt. Insoweit sei auch der während des Berufungsverfahrens ergangene Bescheid vom 24. Februar 1987 rechtmäßig, weil die für Heike aus den übertragenen Rentenanwartschaften von der Beigeladenen erbrachten Leistungen in Höhe von 20.419,60 DM den Grundbetrag des § 4 Abs 2 VAHRG von 15.811,38 DM überstiegen. § 4 VAHRG erfasse nicht nur die dem Ausgleichsberechtigten vor seinem Tode gewährten Leistungen. Zu diesen Leistungen rechne auch die Halbwaisenrente. Der Begriff der Leistung aus übertragener Rentenanwartschaft sei in § 4 Abs 2 VAHRG nicht näher eingegrenzt; er umfasse die Gesamtheit der Leistung, mithin auch Kinderzuschüsse sowie Zuschüsse zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR). Ebensowenig stehe dem Kläger die ungekürzte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu. Die Beklagte habe den Kläger entgegen seiner Meinung auch nicht darauf hinweisen müssen, daß die negativen Folgen des § 4 Abs 2 VAHRG durch den Verzicht auf die Halbwaisenrente beseitigt werden könnten. Ein solcher Verzicht wäre gemäß § 46 Abs 2 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch – (SGB I) unwirksam gewesen,

weil dann ein anderer Versicherungsträger, nämlich die Beklagte, als leistungspflichtig in Betracht gekommen wäre.

Im Verlaufe des Berufungsverfahrens erließ die Beklagte auch den Bescheid vom 7. März 1990, wonach dem Kläger vom 1. Januar 1990 an Knappschaftsruhegeld gewährt wird.

Mit der – vom erkennenden Senat – zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Der mit der Halbwaisenrente gezahlte Kinderzuschuß gehöre nicht zu den Leistungen iS des § 4 Abs 2 VAHRG. Ebenso stütze der sozialrechtliche Herstellungsanspruch das Klagebegehren. Die Beklagte habe es im Hinblick auf seine Antragstellung, die Auswirkungen des Versorgungsausgleichs überprüfen zu wollen, versäumt, auf die Möglichkeit des Verzichts auf Halbwaisenrente hinzuweisen. Dadurch hätte das Überschreiten des Zweijahresgrenzwertes verhindert werden können. Statt dessen habe die Beklagte am 27. Juli 1983 einen ablehnenden Bescheid erlassen. Im übrigen sei die Rechtsauffassung des LSG unzutreffend, wonach der Verzicht nach § 46 Abs 2 SGB I unwirksam gewesen wäre. Überdies müsse man davon ausgehen, daß Heike auf die Halbwaisenrente nicht verzichtet, sondern von ihr nur Abstand genommen hätte.

Der Kläger beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen und den Bescheid der Beklagten vom 27. Juli 1983 idF des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 1983 sowie den Bescheid vom 24. Februar 1987 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn die ungekürzte Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).

Die Revision des Klägers ist iS der Zurückverweisung begründet. Ob ihm die ungekürzte Rente zusteht, läßt sich nach den vom LSG getroffenen Tatsachenfeststellungen derzeit nicht entscheiden.

Das LSG ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger sein Begehren nicht auf § 4 Abs 1 VAHRG zu stützen vermag. Nach dieser Vorschrift wird von einer Kürzung seiner Versorgung abgesehen, wenn zwar der Versorgungsausgleich gemäß § 1587b Abs 1 oder 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) durchgeführt worden ist, der Berechtigte aber vor dem Tode keine Leistungen aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht erhalten hat. Leistungen sind zwar nicht an die geschiedene Ehefrau, wohl aber an die Tochter Heike bewirkt worden.

Aber auch die Leistungserbringung an die Tochter Heike, deren gewährte Halbwaisenrente sich allein auf die übertragenen Rentenanwartschaften gründet, ist iS des § 4 Abs 2 VAHRG als Leistung zu werten. Nach dieser Bestimmung tritt eine Kürzung der Versorgung des Ausgleichspflichtigen nicht ein, wenn der Ausgleichsberechtigte gestorben ist und aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht Leistungen gewährt werden oder wurden, die insgesamt zwei Jahresbeiträge einer auf das Ende des Leistungsbezuges berechneten Rente (§ 1254 Abs 1 Halbs 1 der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫, § 31 Abs 1 Halbs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes ≪AVG≫) aus dem erworbenen Anrecht nicht übersteigen. Diese Norm ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (Urteil des Bundesverfassungsgerichts ≪BVerfG≫ vom 5. Juli 1989 – SozR 5795 § 4 Nr 8).

Nach der Entscheidung des 1. Senats des Bundessozialgerichts – BSG – vom 8. November 1989 – 1 RA 23/86 – (BSGE 66, 44 = SozR 5795 § 7 Nr 1), kann der Grenzbetrag in § 4 Abs 2 VAHRG allein durch Bezüge der Hinterbliebenen des Ausgleichsberechtigten aus den begründeten Rentenanwartschaften überschritten werden. Der 1. Senat folgert dies in erster Linie aus der Wortfassung. Während nämlich § 4 Abs 1 VAHRG auf den Leistungsbezug des Berechtigten abstelle, sei in § 4 Abs 2 VAHRG der Empfänger der Leistung nicht genannt, so daß auch dritte Personen in Betracht kommen könnten. Außerdem deute die Wortwahl „wurden oder werden” darauf hin, daß nicht nur Leistungen an den Ausgleichsberechtigten anzurechnen seien, vielmehr die Worte „oder werden” ersichtlich auf die Zeit nach dem Tod des Ausgleichsberechtigten sich beziehen. Dieser Entscheidung des 1. Senats ist uneingeschränkt zu folgen.

Unter dem Begriff Leistung iS des § 4 Abs 2 VAHRG rechnen entgegen der Meinung des Klägers auch der Zuschuß zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung sowie der zur Halbwaisenrente gewährte Kinderzuschuß (§ 69 Abs 6 Satz 3 iVm § 60 Abs 4 Reichsknappschaftsgesetz ≪RKG≫ = § 1269 Abs 1 Satz 2 iVm § 1262 Abs 4 RVO bzw § 46 Abs 1 Satz 2 iVm § 39 Abs 4 AVG). Zwar hat der 1. Senat in seinem Urteil vom 13. November 1985 – 1 RA 1/85 – (BSGE 59, 132, 133 ff = SozR 5795 § 4 Nr 1) die vor dem 1. Januar 1983 geleisteten Beitragszahlungen der Rentenversicherungsträger zur KVdR nicht den in § 4 Abs 2 VAHRG genannten Leistungen zugerechnet, weil es sich insoweit um einen pauschalen Finanzausgleich zwischen Renten- und Krankenversicherung zwecks Finanzierung der kostenfreien KVdR gehandelt habe. Demgegenüber hat der 1. Senat in Abgrenzung hierzu mit Urteil vom 14. Februar 1990 – 1 RA 11/89 – (BSGE 66, 198, 200 = SozR 3 – 5795 § 4 Nr 2) entschieden, daß der Zuschuß zu den Aufwendungen für die KVdR ab 1. Januar 1983 unter den Leistungsbegriff falle, weil dieser nunmehr zu den versicherungsmäßig berechneten, individualisierten Krankenversicherungsbeiträgen des Rentners gezahlt werde.

Die Rechtsentwicklung bestätigt diese Rechtsauffassung. Nach der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages (BT-Drucks 9/2290 S 14) war zwar nur von „Rentenleistungen” die Rede. Die BT-Drucks 9/34 und 9/1981 enthielten jeweils in dem Entwurf des § 1587w Abs 2 BGB die Definition des Begriffs Leistung. Hiernach waren Regelleistungen (§ 1235 RVO) in die zu berücksichtigenden Leistungen einzubeziehen, soweit sie ohne Begründung der Rentenanwartschaft nicht gewährt worden wären oder nicht zu gewähren sind. Beiträge für die KVdR sowie Kinderzuschüsse waren danach ausdrücklich von der Einbeziehung ausgenommen. Diese Regelung wurde aber nicht in das VAHRG übernommen. Aufgrund dessen läßt sich bereits aus der Entstehungsgeschichte ableiten, daß alle mit der Rentenanwartschaft verbundenen Regelleistungen (§ 1235 RVO, § 12 AVG, § 34 RKG) unter § 4 Abs 2 VAHRG fallen.

Im übrigen sprechen weitere Gründe für diese Rechtsauffassung. § 23 Abs 1 Nr 1 SGB I enthält eine Aufzählung der Leistungen, die nach dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch genommen werden können und die nach Maßgabe des besonderen Teils des Sozialgesetzbuchs Individualansprüche begründen. Darin sind sowohl der „Zuschuß zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung” wie auch der Kinderzuschuß aufgeführt. Zudem ist wesentlich, daß nach der Verordnung über das Berechnen und Durchführen der Erstattung nach § 1304b Abs 2 Satz 2 RVO und nach § 83 Abs 2 Satz 2 AVG (Versorgungsausgleichs-Erstattungsverordnung) vom 11. März 1980 (BGBl I 280) in § 1 ua nicht nur die Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des Ausgleichsberechtigten, sondern auch der in der Versichertenrente des Ausgleichsberechtigten enthaltene Kinderzuschuß, sowie der den Hinterbliebenen gewährte Zuschuß zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung zu den erstattungsfähigen Aufwendungen zählen. Nach § 3 der Versorgungsausgleichs-Erstattungsverordnung fordert der Träger der Rentenversicherung diese zu erstattenden Aufwendungen für jedes Kalenderjahr bis zum Ende des folgenden Kalenderjahres von dem zuständigen Träger der Versorgungslast an. Daraus erhellt, daß der Zuschuß zu den Aufwendungen für die KVdR wie auch der Kinderzuschuß eine mit der Zahlung der Halbwaisenrente verknüpfte akzessorische Leistung darstellen, die sich auf das durch den Versorgungsausgleich erworbene Anrecht gründet. Gerade dieser kausale Bezug zwischen Versorgungsausgleich und Leistung gebietet es, den Rechtsbegriff der Leistung nach § 4 Abs 2 VAHRG im oa Sinne zu bestimmen (so ua auch Verbandskommentar zum Recht der gesetzlichen Rentenversicherung, Stand: 1. Januar 1987, Bd II, Viertes und Fünftes Buch, Vorbem vor § 1304, Abschnitt II RdNr 3.2 zu § 4 VAHRG; Soergel/Schmeiduch, BGB mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 12. Aufl Bd 7, FamRecht I, Stand Sommer 1988, RdNr 8 zu § 4 VAHRG; Michaelis/Sander, DAngVers 1988, S 104; Bergner DRV 1983 S 215, 235; Klattenhoff, Der Versorgungsausgleich in der gesetzlichen Rentenversicherung, 2. Aufl 1989 Anm 10.2.3 S 212; Rolland, Gesetz zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich – Kommentar – RdNr 19 bis 22 zu § 4 HRG).

Gleichwohl ist der Kinderzuschuß nicht in voller Höhe anrechenbar. Nach § 4 Abs 2 VAHRG sind – wie ausgeführt – nur solche Leistungen nach dem Versorgungsausgleich relevant, die sich unmittelbar aus der übertragenen Rentenanwartschaft ableiten. Das ist bei dem Kinderzuschuß, bei dem es sich zwar um eine Regelleistung der Rentenversicherung handelt, nur teilweise der Fall. Denn der Bund erstattet nach § 140a RKG der Bundesknappschaft vom 1. Januar 1979 an die Aufwendungen, die von ihr für Kinderzuschüsse zu Versichertenrenten zu tragen sind, in Höhe des Kindergeldes nach § 10 Abs 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG). Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung wird dabei ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen durch Rechtsverordnung das Nähere über die Erstattung zu bestimmen (ebenso § 1395a RVO und § 117a AVG). Demzufolge ist der Kinderzuschuß als erbrachte Leistung iS des § 4 Abs 2 VAHRG um den Betrag zu mindern, der dem Rentenversicherungsträger nach § 1 der Kinderzuschuß-Erstattungsverordnung vom 11. Mai 1979 (BGBl I 541) in Höhe des nach § 10 Abs 1 BKGG zustehenden Kindergeldes ersetzt wird. Konsequenterweise sind sonach die nach § 2 Abs 1 Nr 2 der Versorgungsausgleichs-Erstattungsverordnung zu erstattenden Aufwendungen um die dem Träger der Rentenversicherung nach § 1 der Kinderzuschuß-Erstattungsverordnung vom Bund zu zahlenden Beträge zu kürzen. Sonach wird der Rentenversicherungsträger, der im Rahmen des Versorgungsausgleichs Rentenleistungen zu erbringen hat, mit dem Teil des Kinderzuschusses, der dem Kindergeld nach § 10 Abs 1 BKGG entspricht, letztlich nicht belastet. In diesem Umfange kann von einer auf die übertragene Rentenanwartschaft bezogene Leistungserbringung nicht die Rede sein (Soergel/Schmeiduch aaO RdNr 8 zu § 4 VAHRG; Verbandskommentar aaO).

Mithin wird das LSG festzustellen haben, ob bei der Leistungserbringung an die Tochter Heike in Höhe von 20.419,60 DM der Kinderzuschuß in voller Höhe einbezogen ist. Sollte dies der Fall sein, ist der Kinderzuschuß in Höhe des für das erste Kind nach § 10 Abs 1 BKGG zu zahlenden Kindergeldes (50,– DM monatlich unverändert ab 1. Januar 1975 nach § 10 Abs 1 BKGG idF des Art 2 Nr 9 EStRG vom 5. August 1974 – BGBl I 1769) zu mindern. Sodann ist erneut zu prüfen, ob die erbrachten Leistungen den festgestellten Grenzbetrag übersteigen (§ 4 Abs 2 VAHRG).

Abgesehen davon vermag der Kläger sein Begehren nicht mit Erfolg auf den von der Rechtsprechung des BSG entwickelten sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu stützen (vgl ua BSGE 50, 12 ff; 50, 88, 91; 52, 145, 148; Funk DAngVers 1981, 26). Dieser ist auf Vornahme einer Rechtshandlung zur Herstellung desjenigen Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger die ihm aus dem Sozialrechtsverhältnis erwachsenden Nebenpflichten ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Dazu zählt ua die Pflicht zur Auskunft und Beratung nach §§ 14, 15 SGB I sowie zur verständnisvollen Förderung des Versicherten. Bei Vorliegen eines konkreten Anlasses hat der Versicherungsträger den Versicherten auf solche Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die klar zutage liegen und deren Wahrnehmung offenbar so zweckmäßig ist, daß jeder verständige Versicherte sie mutmaßlich nutzen würde (BSGE 50, 88, 91). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Eine Auskunfts- und Beratungspflicht der Beklagten im Zeitpunkt der vorschußweisen (Bescheid vom 1. August 1981) und sodann endgültigen Gewährung der gekürzten Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit (Bescheid vom 15. Februar 1982) scheidet von vornherein aus, da das VAHRG erst am 21. Februar 1983 erlassen worden ist. Veranlaßt war diese Gesetzgebung durch die Entscheidungen des BVerfG vom 28. Februar 1980 (BVerfGE 53, 257, 303 = SozR 7610 § 1587 Nr 1) und vom 27. Januar 1983 (BVerfGE 63, 88 = SozR 7610 § 1587b Nr 3), worin ausgesprochen ist, daß es einer ergänzenden Härteregelung bedürfe, die allerdings nur für Fälle des Vorversterbens des Ausgleichsberechtigten vor dem Ausgleichsverpflichteten denkbar sei. Aber auch zum Zeitpunkt der vom Kläger nachgesuchten Überprüfung entsprach die mit Bescheid vom 27. Juli 1983 erfolgte Ablehnung einer ungekürzten Rentenzahlung der Rechtslage. Die Frage, ob und ggf wann der Grenzbetrag des § 4 Abs 2 VAHRG überschritten ist, hängt entscheidend von der Bezugsdauer der Halbwaisenrente ab. Erst bei endgültiger Einstellung der Halbwaisenrente ist der Umfang der gewährten Leistungen feststellbar. Nachdem Rentenzahlungen an die Waise wegen etwaiger Schul- und Berufsausbildung bis zur Höchstaltersgrenze von 25 Jahren gemäß § 67 Abs 1 Satz 2 RKG (ebenso § 1267 RVO und § 44 AVG) möglich sind, und ein solcher Ausbildungsgang der Waisen auch nicht von vornherein auszuschließen ist, ergeben sich die rechtlichen Auswirkungen des § 4 Abs 2 VAHRG letztlich zum Endzeitpunkt der Halbwaisenrentengewährung. Dann läßt sich entscheiden, ob dem Ausgleichsverpflichteten die ungekürzte Rente fortan zu gewähren ist.

Ebensowenig war der Verzicht auf Halbwaisenrente aus der seinerseitigen Sicht der Beklagten eine sich zugunsten des Klägers aufdrängende Gestaltungsmöglichkeit, die ihm hätte offenbart werden müssen. Eine derartige Vermögensverfügung zum Nachteil der seinerzeit noch minderjährigen Tochter Heike (geboren 17. November 1968) wäre nach § 46 Abs 2 SGB I rechtsunwirksam, weil dann die Beklagte zumindest mit dem Kinderzuschuß, der zusätzlich zur Rente des Klägers hätte gewährt werden müssen, belastet worden wäre. Der Einwand des Klägers, der 1. Senat des BSG habe unter Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 17. September 1986 – 3 RK 25/85 – (USK 8693) die Unwirksamkeit des Verzichts nach § 46 Abs 2 SGB I verneint (BSGE 66, 44, 49), ist unzutreffend. Die Entscheidung betraf eine andere Fallgestaltung; sie war zu § 7 VAHRG ergangen. Im Gegensatz hierzu ist der gegenwärtige Fall dadurch gekennzeichnet, daß durch den Verzicht nicht derselbe, sondern ein anderer Versicherungsträger – die Beklagte – belastet worden wäre. Daß hier die beiden Versicherungsträger dem Versicherten gegenüber gewissermaßen als Einheit gegenüberstünden, und deswegen § 46 Abs 2 SGB I keine Anwendung finde, wie der Kläger meint, ist nicht vertretbar. Es handelt sich selbstredend um verschiedene Versicherungsträger und dies bleibt auch so in bezug auf § 46 Abs 2 SGB I. Auch kann vom Abstandnehmen der Halbwaisenrente, worauf der Kläger zusätzlich abstellt, nur dann die Rede sein, wenn noch keine Rentenzahlungen erfolgt sind. Sind aber Rentenleistungen erbracht, und will der Berechtigte dann „Abstand nehmen”, ist dies allein als Verzicht zu qualifizieren. Ein solcher – einseitiger – Verzicht auf Sozialleistungen (§ 46 Abs 1 SGB I) führt auch nicht zum Erlöschen jeglicher noch möglicher künftiger Waisenrentenansprüche, weil auf das Rentenstammrecht nicht verzichtet werden kann (BSGE 66, 45, 49). Der Verzicht ist nach § 46 Abs 1 Satz 1 2. Halbs SGB I jederzeit widerrufbar. Demzufolge hätte ein etwaiger Verzicht, selbst wenn er gemäß § 46 Abs 2 SGB I wirksam gewesen wäre, keine endgültigen Rechtswirkungen in Blickrichtung auf § 4 Abs 2 VAHRG erzeugen können.

Der Senat weist darauf hin, daß das angefochtene Urteil nur ein Teilurteil ist. Die Beklagte gewährte während des anhängigen Berufungsverfahrens dem Kläger mit Bescheid vom 7. März 1990 vom 1. Januar 1990 an Knappschaftsruhegeld. Dieser Bescheid ist gemäß § 153 Abs 1 iVm § 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Zwar bedurfte es hierfür keiner gesonderten Klageerhebung und Klageerweiterung. Jedoch hätte dieser Bescheid in die im zweiten Rechtszug zu stellenden Anträge einbezogen werden müssen. Dies ist nicht geschehen. Es fehlen indessen jegliche Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger den genannten Bescheid nicht anfechten wollte, da auch hier die durch den Versorgungsausgleich bewirkte Rentenkürzung erfolgt ist. Das Berufungsverfahren ist insoweit noch anhängig.

Das LSG hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1174621

BSGE, 85

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