Leitsatz (amtlich)

Das Besorgen einer Arbeiterwochenkarte, an einem arbeitsfreien Sonnabend gehört nicht zu der nach RVO § 542 und RVO § 537 Nr 1 versicherten Arbeitstätigkeit.

Der Weg zur Kartenausgabestelle steht auch weder nach RVO § 543 Abs 1 RVO noch nach RVO § 543 Abs 2 unter Versicherungsschutz.

 

Normenkette

RVO § 537 Nr. 1 Fassung: 1942-03-09, § 542 Abs. 1 Fassung: 1942-03-09, § 543 Abs. 1 Fassung: 1942-03-09, Abs. 2 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 10. November 1955 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der Ehemann der Klägerin verunglückte am Sonnabend, dem 21. November 1953 tödlich. Über den Hergang des Unfalls hat das Landessozialgericht (LSG.) folgende tatsächlichen Feststellungen getroffen: Der Ehemann der Klägerin war in der Ludwigshafener Isolier-Fabrik K.G. in Ludwigshafen-Mundenheim als Isolierer beschäftigt und fuhr jeweils von seinem Wohnort Schifferstadt mit der Bundesbahn zu seiner Arbeitsstelle nach Ludwigshafen. Dazu benutzte er regelmäßig eine Arbeiterwochenkarte. Am 21. November 1953 blieb er zu Hause, da an diesem Tag in seinem Betrieb nicht gearbeitet wurde. An demselben Tag fuhr er gegen 16 45 Uhr von seiner Wohnung aus mit einem Fahrrad zum Bahnhof Schifferstadt-Süd und löste sich die Fahrkarte für die kommende Woche. Anschließend wollte er wieder nach Hause fahren. Beim Überqueren der Straße vor dem Bahnhof wurde er jedoch von einem Personenkraftwagen angefahren. Infolge der dadurch erlittenen Verletzungen ist er an demselben Tag um 23 30 Uhr gestorben.

Ergänzend hierzu hat das LSG. in den Entscheidungsgründen ausgeführt: Bei dem ländlichen Bahnhof in Schifferstadt-Süd handele es sich um eine kleine Behelfsbude mit Sperre. Der Ehemann der Klägerin sei durch die Umstände, wie sie in diesem Bahnhof bestehen, insbesondere dadurch, daß am Montagvormittag einige hundert Arbeiter fast zur gleichen Zeit in die Ludwigshafener Industriewerke fahren, und durch die Tarifbestimmungen der Deutschen Bundesbahn gezwungen gewesen, sich die Arbeiterwochenkarte für die folgende Woche während einer ruhigen Zeit mindestens eine Stunde vor Abfahrt des Zuges zu lösen.

Die Beklagte hat durch Bescheid vom 23. Januar 1954 die Ansprüche der Klägerin auf Hinterbliebenenrente mit der Begründung abgelehnt, ein Unfall im Sinne des § 543 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) habe nicht vorgelegen, da der Weg des Ehemanns der Klägerin zum Bahnhof Schifferstadt - Süd und zurück nicht zur Arbeitsstätte oder von dieser zurück zur Wohnung geführt habe.

Auf die Berufung der Klägerin hat das Sozialgericht (SG.) Speyer durch Urteil vom 12. Juli 1954 wie folgt entschieden:

1. Der Bescheid der Beklagten wird aufgehoben.

2. Der tödliche Unfall des Ehemannes der Klägerin wird als Arbeitsunfall im Sinn der §§ 542, 543 RVO dem Grunde nach anerkannt.

3. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin die Hinterbliebenenrente zu gewähren.

Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG. Rheinland-Pfalz durch Urteil vom 10. November 1955 das Urteil des SG. aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 23. Januar 1954 abgewiesen.

Die Revision gegen dieses Urteil ist vom LSG. zugelassen worden.

Die Klägerin hat gegen das am 6. Januar 1956 zugestellte Urteil am 28. Januar 1956 Revision eingelegt und diese am 16. Februar 1956 begründet.

Sie beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG. Speyer vom 12. Juli 1954 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) statthaft und in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden.

Die Revision bringt keine Gründe vor, die sich auf die vom LSG. getroffenen tatsächlichen Feststellungen beziehen (vgl. § 163 SGG), sondern rügt ausschließlich die unrichtige Anwendung der materiell-rechtlichen Vorschriften der §§ 542, 543 RVO.

Die Revision ist der Auffassung, das Lösen der Arbeiterwochenkarte habe nach § 542 RVO unter Versicherungsschutz gestanden; es habe zu den dienstlichen Obliegenheiten des Ehemannes der Klägerin gehört, weil es erforderlich gewesen sei, um das pünktliche Erscheinen an der Arbeitsstätte zu ermöglichen, und es sei als vorbereitende Tätigkeit für die Arbeitsaufnahme anzusehen.

Diese Rechtsauffassung ist unzutreffend. Der Versicherungsschutz nach § 542 RVO in Verbindung mit § 537 Nr. 1 RVO beschränkt sich auf die Tätigkeiten, die im Rahmen des versicherten Arbeitsverhältnisses selbst verrichtet werden. Dazu gehört das Lösen einer Wochenkarte auch dann nicht, wenn die Karte ausschließlich für Fahrten vom Wohnort zur Arbeitsstätte und zurück verwendet werden sollte. Es trifft zwar zu, daß dadurch eine Voraussetzung für die Arbeitsaufnahme geschaffen wurde. Das gilt jedoch für zahlreiche andere Verrichtungen und Tätigkeiten, die in der Regel mit dem Aufstehen am Morgen beginnen und so Verschiedenartiges umfassen, wie z.B. das Beschaffen, Reinigen und Instandsetzen von Schuhen, Kleidung usw., das Besorgen von Lebensmitteln und sonstigen Lebensbedürfnissen. Allen diesen Handlungen ist gemeinsam, daß sie zugleich auch der Erfüllung von Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis dienen und vielfach hierzu sogar unentbehrlich sind. Ihre schuldhafte Vernachlässigung kann auch rechtlich nachteilige Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis haben. Dadurch werden diese zahlreichen und verschiedenartigen Verrichtungen des täglichen Lebens aber noch nicht Bestandteil der unter Versicherungsschutz stehenden Arbeit.

Sie sind vielmehr dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen.

Der vorliegende Fall bietet keinen Anlaß, die Frage zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen derartige Verrichtungen versichert sind, wenn sie während der Arbeitszeit auf der Betriebsstätte, in einer Arbeitspause oder - mit oder ohne Umweg - gelegentlich des Wegs von oder zur Arbeitsstätte ausgeführt werden (vgl. Hessisches LSG. in Breith. 1958 S. 528).

Weiterhin ist die Revision der Auffassung, der Weg zum Bahnhof habe auch nach § 543 Abs. 1 RVO unter Versicherungsschutz gestanden, weil er notwendig gewesen sei, um die Arbeit verrichten zu können, und somit ein innerer Zusammenhang mit der versicherten Arbeitstätigkeit bestanden habe.

Auch diese Ansicht ist unzutreffend. Die Wege nach und von der Arbeitsstätte gehören nicht zu der versicherten Arbeitstätigkeit und stehen deshalb auch grundsätzlich nicht nach § 542 RVO unter Versicherungsschutz. Der Gesetzgeber hat vielmehr den ursprünglich auf Unfälle bei der Arbeit beschränkten Versicherungsschutz durch eine ausdrückliche Vorschrift (§ 545a RVO a.F., jetzt § 543 Abs. 1 RVO) auf solche Wege ausgedehnt und damit das Zurücklegen dieser Wege der versicherten Arbeitstätigkeit gleichgestellt. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 543 Abs. 1 RVO ist jedoch, daß die Arbeitsstätte Ziel oder Ausgangspunkt des Weges ist. Das LSG. hat es ohne Rechtsirrtum abgelehnt, § 543 Abs. 1 RVO über den Wortlaut hinaus ausdehnend auf einen Weg anzuwenden, der, wie im vorliegenden Fall, nur der Vorbereitung des Wegs zur Arbeit diente (vgl. auch RVA. in EuM. Bd. 49 S. 271; Hessisches LSG. a.a.O.).

Ebenso ist die Auffassung der Revision unzutreffend, daß ein Versicherungsschutz aus einer entsprechenden Anwendung des § 543 Abs. 2 RVO hergeleitet werden könne. Diese (§ 545 b RVO a.F. entsprechende) Vorschrift hat, wie das LSG. zutreffend unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte ausgeführt hat, den Zweck, Tätigkeiten, die der Verwahrung, Beförderung, Instandhaltung und Erneuerung des Arbeitsgeräts dienen, auch dann der versicherten Tätigkeit gleichzustellen, wenn das Arbeitsgerät im Eigentum des Versicherten steht und diese Tätigkeiten nicht während der Arbeitszeit und auf der Arbeitsstätte ausgeführt werden. Auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt ist diese Vorschrift nicht anwendbar.

Die Revision ist somit unbegründet und war zurückzuweisen (§ 170 SGG).

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 255

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