Entscheidungsstichwort (Thema)

Abfindung einer Unfallrente wegen Auslandsaufenthalts. Kinderzuschuß zur Knappschaftsrente

 

Leitsatz (amtlich)

Für "dasselbe Kind" (RKG § 60 Abs 1 S 2 Nr 1 = RVO § 1262 Abs 1 S 2 Nr 1) wird eine Kinderzulage aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht "gewährt", wenn der Versicherte eine Abfindung seiner Unfallrente wegen Auslandsaufenthalts (RVO § 616) zu einer Zeit erhalten hat, zu der das Kind noch nicht geboren war.

 

Orientierungssatz

Eine abgefundene Unfallrente bzw eine Kinderzulage einer abgefundenen Unfallrente kann einer laufenden Rente im Rahmen des RKG § 60 Abs 1 S 2 Nr 1 RKG (= RVO § 1262 Abs 1 S 2 Nr 1) gleichgestellt sein. In der Ruhensbestimmung des RKG § 75 Abs 1 (= RVO § 1278 Abs 1) ist die abgelaufene Rente der laufenden Rente ausdrücklich gleichgestellt (RKG § 75 Abs 2 S 1. Diese abgefundene Rente wird unter laufenden auch hinsichtlich der Höhe fiktiv gleichgestellt (vgl BSG 1980-02-20 5 RKn 3/78 = SozR 2200 § 1278 Nr 7). Aus dem Fehlen einer dem RKG § 75 Abs 2 S 1 Nr 1 (= RVO § 1278 Abs 2 S 1 Nr 1) entsprechenden Bestimmung in RKG § 60 (= RVO § 1262) kann nicht geschlossen werden, daß in RKG § 60 (= RVO § 1262) eine solche Gleichstellung nicht erfolgen soll. Es ist eher anzunehmen, daß das Problem in RKG § 60 (= RVO § 1262) vom Gesetzgeber lediglich übersehen worden ist und daß RKG § 75 Abs 2 S 1 Nr 1 (= RVO § 1278 Abs 2 S 1 Nr 1) einen allgemeinen Grundsatz enthält.

 

Normenkette

RVO § 616 Fassung: 1971-10-29, § 1262 Abs 1 S 2 Nr 1 Fassung: 1974-12-21; RKG § 60 Abs 1 S 2 Nr 1 Fassung: 1974-12-21, § 75 Abs 2 S 1 Nr 1 Fassung: 1963-04-30; RVO § 1278 Abs 2 S 1 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 13.11.1979; Aktenzeichen L 15 Kn 159/77)

SG Dortmund (Entscheidung vom 24.08.1977; Aktenzeichen S 23 Kn 188/76)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger über den 30. Juni 1975 hinaus den Kinderzuschuß für seinen Sohn Michael zu gewähren, obwohl der Kläger bis 1967 Unfallrente bezogen hat und abgefunden worden ist.

Der Kläger erhielt seit 1956 von der Beigeladenen Rente wegen einer Berufskrankheit und seit 1964 Rente wegen Unfallfolgen. 1967 ließ er sich abfinden, weil er sich in Marokko eine neue Existenz schaffen wollte. Dabei wurde auch der Kinderzuschuß für seinen Sohn Ulrich kapitalisiert und ausgezahlt. Seit dem 1. März 1965 bezieht der Kläger eine Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit. Am 27. November 1969 wurde sein Sohn Michael geboren, der am 10. März 1978 verstorben ist.

Mit Bescheid vom 4. September 1975 entzog die Beklagte dem Kläger die bisher gezahlten Kinderzuschüsse, weil nach der Einfügung des § 60 Abs 1 Satz 2 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) durch das Einführungsgesetz zum Einkommensteuerreformgesetz vom 21. Dezember 1974 (BGBl I S 3656) ab 1. Juli 1975 kein Anspruch auf Kinderzuschuß bestehe. Insoweit werde dem Kläger Kinderzulage aus der gesetzlichen Unfallversicherung gewährt. Die Abfindung stehe der fortlaufenden Leistung gleich. Das Sozialgericht (SG) hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen (Urteil vom 24. August 1977). Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 13. November 1979 das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide abgeändert und die Beklagte verurteilt, über den 30. Juni 1975 hinaus Kinderzuschuß für den Sohn Michael nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Hinsichtlich des Sohnes Michael habe der Kläger keine Abfindung erhalten, so daß es insoweit nicht zu einer Doppelleistung komme, wenn der Kläger weiterhin Kinderzuschuß von der Beklagten beziehe.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 60 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RKG. Da der Kläger eine Abfindung erhalten habe, sei er so zu stellen, als beziehe er die Verletztenrente weiter. Auch wenn der Sohn Michael bei der Berechnung der Abfindung nicht berücksichtigt worden sei, sei der Kläger auch insoweit abgefunden worden.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die Berufung

des Klägers in vollem Umfang zurückgewiesen wird.

Die beigeladene Bergbau-Berufsgenossenschaft trägt vor, daß durch die Zahlung der Abfindung an den Kläger alle Ansprüche des Klägers gegen die Beigeladene erloschen seien.

Sie stellt keinen Antrag.

Der Kläger ist in der Revisionsinstanz nicht vertreten.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. Juli 1975 bis 10. März 1978 den Kinderzuschuß für seinen Sohn Michael zu zahlen.

Gemäß § 60 Abs 1 Satz 1 RKG erhöht sich die Knappschaftsrente des Klägers um den Kinderzuschuß. Das gilt nach § 60 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RKG nicht, wenn für dasselbe Kind Kinderzulage aus der gesetzlichen Unfallversicherung gewährt wird. Zutreffend hat das LSG jedoch ausgeführt, daß dem Kläger für seinen Sohn Michael keine Kinderzulage aus der gesetzlichen Unfallversicherung "gewährt wird", obwohl er 1967 eine Abfindung für seine Verletztenrente erhalten hat. Der Kläger erhält zur Zeit weder eine Verletztenrente noch einen Kinderzuschuß zu ihr. Eine abgefundene Rente bzw eine Kinderzulage einer abgefundenen Rente kann einer laufenden Rente im Rahmen des § 60 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RKG gleichgestellt sein. In der Ruhensbestimmung des § 75 Abs 1 RKG ist die abgelaufene Rente der laufenden Rente ausdrücklich gleichgestellt (§ 75 Abs 2 Nr 1 RKG). Diese abgefundene Rente wird einer laufenden auch hinsichtlich der Höhe fiktiv gleichgestellt (BSG SozR 2200 § 1278 Nr 7). Aus dem Fehlen einer dem § 75 Abs 2 Nr 1 RKG entsprechenden Bestimmung in § 60 RKG kann nicht geschlossen werden, daß in § 60 RKG eine solche Gleichstellung nicht erfolgen soll. Es ist eher anzunehmen, daß das Problem in § 60 RKG vom Gesetzgeber lediglich übersehen worden ist und daß § 75 Abs 2 Nr 1 RKG einen allgemeinen Grundsatz enthält. Bereits das Reichsversicherungsamt (RVA) hat in mehreren Entscheidungen eine abgefundene Unfallrente einer laufenden gleichgesetzt und ausgeführt, das ergebe sich aus dem Charakter der Abfindung als einer vorweggenommenen Auszahlung der Rente (vgl AN 1931, 168, 323). Ebenso hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, daß auch der eine Rente als Schwerverletzter "bezogen" habe, der (teilweise) abgefunden sei (vgl SozR 2200 § 600 Nr 1).

"Für dasselbe Kind" iS des § 60 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RKG hat der Kläger indes hinsichtlich seines Sohnes Michael keine Abfindung erhalten, so daß ihm für dieses Kind auch keine Kinderzulage aus der gesetzlichen Unfallversicherung im Sinne dieser Vorschrift gewährt wird. Der Kläger hat, wie das LSG festgestellt hat, sich 1967 abfinden lassen und damals auch hinsichtlich der Kinderzulage für seinen damals lebenden Sohn Ulrich einen Abfindungsbetrag erhalten. Der Sohn Michael ist aber erst 1969 geboren worden. Bei der Abfindung wegen Auslandsaufenthalts iS des § 616 Reichsversicherungsordnung (RVO), die der Kläger erhalten hat, handelt es sich um eine Abgeltung des Rentenanspruchs insgesamt und ohne Möglichkeit des Wiederauflebens zu Lebzeiten des Versicherten (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band II, S 600b mit weiteren Nachweisen). Damit sind die Rechtsbeziehungen des Klägers zur Unfallversicherung beendet worden mit der Folge, daß ein Anspruch auf Kinderzulage aus der Unfallversicherung für den erst nach der Abfindung geborenen Sohn Michael nicht mehr entstanden sein konnte.

Aus dem Wortlaut des § 60 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RKG, daß nur eine Kinderzulage aus der gesetzlichen Unfallversicherung für "dasselbe Kind" den Kinderzuschuß des Rentenversicherungsträgers ausschließt, läßt sich demnach bereits folgern, daß die Beklagte dem Kläger den Kinderzuschuß für den Sohn Michael nicht verweigern darf. Das LSG hat dies im übrigen auch mit zutreffenden Gründen aus dem Sinn und Zweck der Bestimmung hergeleitet und dabei auf die Materialien des Gesetzes verwiesen (vgl BT-Drucksache 7/2722, zu Art 24, zu Nr 6, S 34 und 7/2945, zu Art 24, zu Nr 3, S 4). Danach soll für jedes Kind nur einmal gezahlt werden. Mit der somit von der Regelung in § 60 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RKG bezweckten Vermeidung von Doppelleistungen in der Renten- und Unfallversicherung, steht die Erhöhung der Knappschaftsrente des Klägers um den Kinderzuschuß für den Sohn Michael im Einklang, eben weil eine derartige Doppelleistung hier infolge des endgültigen Abbruchs der Beziehungen des Klägers zur Unfallversicherung bereits vor der Geburt dieses Kindes nicht in Betracht kommt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659329

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