Leitsatz (amtlich)

"Gewährt" iS von § 60 Abs 1 S 2 Nr 1 RKG (= § 1262 Abs 1 S 2 Nr 1 RVO, § 39 Abs 1 S 2 Nr 1 AVG) wird eine Kinderzulage aus der gesetzlichen Unfallversicherung nur dann, wenn sie dem Berechtigten tatsächlich wirtschaftlich zufließt. Die Vergleichsrente nach SVSaarAnglG § 28 ist deshalb um den Kinderzuschuß zu erhöhen, wenn bei ihrer Berechnung eine fiktive Unfallrente zugrunde gelegt wird und die - einen Kinderzuschuß enthaltende - innerstaatliche Versichertenrente auf die Leistung nach SVSaarAnglG § 28 angerechnet wird.

 

Normenkette

RVO § 1262 Abs 1 S 2 Nr 1 Fassung: 1974-12-21; AVG § 39 Abs 1 S 2 Nr 1 Fassung: 1974-12-21; RKG § 60 Abs 1 S 2 Nr 1 Fassung: 1974-12-21, § 75 Fassung: 1974-12-21; RVO § 1278 Fassung: 1974-12-21; AVG § 55 Fassung: 1974-12-21; SVSaarAnglG § 28

 

Verfahrensgang

LSG für das Saarland (Entscheidung vom 10.03.1981; Aktenzeichen L 2 Kn 19/78)

SG für das Saarland (Entscheidung vom 06.10.1978; Aktenzeichen S 7 Kn 154/76)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Beklagte die Vergleichsrente des Klägers nach § 28 Sozialversicherungs-Angleichungsgesetz Saar (SVAG-Saar) vom 15. Juni 1963 (BGBl I 402) iVm § 60 Abs 1 Satz 1 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) für die Zeit ab 1. Juli 1975 um den Kinderzuschuß zu erhöhen hat.

Der im Saarland wohnende Kläger legte im Bergbau von 1947 bis 1949 deutsche und von 1949 bis 1967 französische Versicherungszeiten zurück. Er bezieht vom französischen Versicherungsträger Union Regionale in Metz Unfallrente sowie eine Silikose-Rente; eine Kinderzulage oder eine vergleichbare Leistung ist in den Renten nicht enthalten. Die zu diesen Renten zunächst gewährte Fürsorgeleistung nach dem Gesetz Nr 345 (G 345) vom 20. Juni 1952 idF des Gesetzes Nr 397 (G 397) vom 10. Juli 1953 (Amtsblatt des Saarlandes 1952, 698; 1953, 522) wurde ihm wegen Erhöhung der Silikose-Rente ab März 1963 entzogen.

Der Kläger erhält seit 1. Juli 1967 Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit im Rahmen einer Leistung nach § 28 SVAG-Saar (Vergleichsrente), auf die sowohl die französische als auch die innerstaatliche Rente angerechnet wird und die zunächst auch einen Kinderzuschuß enthielt. Mit Bescheid vom 24. Juni 1976 stellte die Beklagte die Vergleichsrente mit Wirkung vom 1. Juli 1975 infolge fiktiver Anrechnung der Unfall-Vergleichsrente ohne Kinderzuschuß neu fest. Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 18. November 1976, Urteil des Sozialgerichts -SG- für das Saarland vom 6. Oktober 1978). Das Landessozialgericht (LSG) für das Saarland hat die Beklagte auf die Berufung des Klägers am 10. März 1981 in Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, die der Berechnung der Leistung nach dem SVAG-Saar zugrunde liegende Vergleichsrente um den Kinderzuschuß zu erhöhen. Es hat ausgeführt, durch Anrechnung der fiktiven Unfallrente werde der Kläger praktisch vom Familienlastenausgleich ausgeschlossen. Er erhalte nämlich weder Kinderzulage noch Kinderzuschuß noch Kindergeld. Der Kinderzuschuß fließe ihm zwar mit der innerstaatlichen Rente rechnerisch zu, werde ihm aber bei der Leistung nach dem SVAG-Saar wieder abgezogen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte als Verletzung materiellen Rechts, die Erhöhung der Vergleichsrente um den Kinderzuschuß bedeute eine vom Gesetz nicht gewollte Besserstellung des Klägers. Er sei nach dem G 345 so zu stellen, wie ein nur im Saarland Versicherter. Als solcher würde er eine Unfallrente mit Kinderzulage und eine Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit ohne Kinderzuschuß erhalten. Denn die Unfallrente sei ab 1. Juli 1975, dem Inkrafttreten des Einführungsgesetzes zum Einkommensteuerreformgesetz (EG-EStRG) vom 21. Dezember 1974 (BGBl I 3656), ohne Kinderzulage in die Ruhensberechnung einzubringen; dies ermäßige den Ruhensbetrag und gleiche den Wegfall des Kinderzuschusses aus der Rentenversicherung aus.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des LSG für das Saarland vom 10. März 1981 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG für das Saarland vom 6. Oktober 1978 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet und daher zurückzuweisen. Die Vergleichsrente des Klägers ist gemäß § 28 SVAG-Saar iVm § 60 Abs 1 RKG um den Kinderzuschuß zu erhöhen.

§ 28 Abs 1 Satz 1 SVAG-Saar bestimmt, daß der zuständige deutsche Versicherungsträger bei Versicherungsfällen nach Verkündung dieses Gesetzes im Juni 1963 eine Leistung zu gewähren hat, soweit nach dem G 345 ausländische Versicherungszeiten zu berücksichtigen gewesen wären, auf welche die §§ 18 und 19 SVAG-Saar (und damit das Fremdrenten und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz -FANG-) keine Anwendung finden und die vor Verkündung dieses Gesetzes zurückgelegt worden sind. Ausländische Zeiten sind nach § 3 Abs 2 des G 345 zu berücksichtigen und saarländischen gleichzusetzen, falls aus den entsprechenden Versicherungen des anderen Landes keine oder geringere Leistungen bezogen werden, als nach den saarländischen Bestimmungen gezahlt würden, wenn der Berechtigte im Saarland gewesen wäre und nach saarländischem Recht einen Anspruch auf Leistungen hätte.

Nach § 60 Abs 1 Satz 1 RKG erhöht sich die Knappschaftsrente für jedes Kind um den Kinderzuschuß. Das gilt nach § 60 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RKG nicht, wenn für dasselbe Kind eine Kinderzulage aus der gesetzlichen Unfallversicherung gewährt wird. Diese durch Art 31 des EG-EStRG mit Wirkung vom 1. Juli 1975 eingeführte Regelung findet auch auf Versicherungsfälle Anwendung, die vor diesem Zeitpunkt eingetreten sind (Art 2 § 12 Abs 2 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Knappschaftlichen Rentenversicherung -KnVNG- vom 21. Mai 1957 - BGBl I, 533). Sie erfaßt auch die in § 28 SVAG-Saar getroffene Besitzstandregelung, die als Leistung den Betrag vorsieht, der nach dem bei Verkündung des SVAG im Saarland geltenden Recht zu gewähren wäre. Das RKG war nämlich bei Verkündung des SVAG-Saar im Saarland geltendes Recht. Denn es war dort zusammen mit dem KnVNG bereits durch das Gesetz Nr 635 vom 18. Juni 1958 (Amtsblatt des Saarlandes 1958, 1099) eingeführt worden.

Die Erhöhung der Knappschaftsrente um den Kinderzuschuß kann dem Kläger nicht versagt werden, weil die Voraussetzungen des in § 60 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RKG genannten Ausnahmetatbestandes nicht erfüllt sind. Dem Kläger wird nämlich nicht "für dasselbe Kind Kinderzulage aus der gesetzlichen Unfallversicherung gewährt". Unstreitig enthält die dem Kläger vom französischen Versicherungsträger gezahlte Unfallrente keine Kinderzulage oder eine entsprechende Leistung. Auch der deutsche Unfallversicherungsträger "gewährt" dem Kläger im Zusammenhang mit einer Leistung nach dem SVAG-Saar keine Kinderzulage, da der Anspruch auf eine Fürsorgeleistung nach dem G 345 ab März 1963 infolge Erhöhung der französischen Silikose-Rente untergegangen war und später nicht wiederaufleben konnte (vgl BSG in SozR Nr 1 zu § 27 SVAG-Saar).

Entgegen der Auffassung der Beklagten kann der Kläger auch nicht so gestellt werden, als ob ihm tatsächlich eine Leistung nach § 27 SVAG-Saar gewährt würde. Das verbietet schon der Wortlaut des § 60 Abs 1 RKG. Es wäre aber auch mit dem der gesamten Kindergeldgesetzgebung angepaßten Sinn und Zweck dieser Norm nicht vereinbar.

§ 60 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RKG ist Teil der Gesamtregelung, die den sogenannten Familienlastenausgleich für jedes Kind sichern, Doppelleistungen für dasselbe Kind aber ausschließen will. Sie reicht bis zum Kindergeldgesetz (KGG) vom 13. November 1954 (BGBl I, 333) zurück. Schon nach § 3 Abs 2 KGG hatte das Kindergeld nämlich nur subsidiären Charakter und entfiel, wenn eine vergleichbare Kinderbeihilfe aus öffentlichen Mitteln gezahlt wurde. Dazu gehörten die Kinderzulagen und Kinderzuschüsse aus der gesetzlichen Unfall- und Rentenversicherung. § 8 Abs 1 Nr 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) in der ab 1. Januar 1975 geltenden Fassung vom 31. Januar 1975 (BGBl I, 412, 413) legt dies wiederum ausdrücklich fest. Für den Bereich der Unfall und Rentenversicherung wurden im EG-EStRG Doppelleistungen ua dadurch ausgeschlossen, daß es beim Zusammentreffen unfallversicherungsrechtlicher Kinderzulage mit rentenversicherungsrechtlichem Kinderzuschuß allein beim Anspruch auf die Kinderzulage verblieb (vgl § 1262 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO-, § 39 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG- und § 60 Abs 1 RKG, sämtliche idF des EG-EStRG). Diese Subsidiarität des Kinderzuschusses gegenüber der Kinderzulage hält sich im Rahmen der Verfassung (vgl BSGE 26, 160, 163; 45, 89, 92 = SozR Nr 1 zu § 7 BKGG; SozR 5870 § 8 Nr 2). Beide Leistungen gehören nicht zu den beitragsorientierten Versicherungsleistungen. Sie haben sozialen und fürsorgerischen Charakter, dienen allein der Minderung der durch Kinder erhöhten finanziellen Belastungen und hängen nur von der Zahl der Kinder sowie in der Unfallversicherung auch von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 vH ab (§ 583 Abs 1 RVO).

Den Ausschluß von Mehrfachleistungen des Familienlastenausgleichs bewirkte der Gesetzgeber somit, indem er das Kindergeld als subsidiär zum Kinderzuschuß oder zur Kinderzulage und den Kinderzuschuß wiederum als subsidiär zur Kinderzulage ausgestaltete. Die Motive für diese Subsidiaritätsfolge haben für die Entscheidung des Senats keine Bedeutung. Wesentlich ist allein der in dieser Reihenfolge zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers, jedem Berechtigten wenigstens eine Leistung des Familienlastenausgleichs und zwar mindestens in Höhe des gesetzlichen Kindergeldes zu gewähren (vgl hierzu auch § 583 Abs 2 RVO). Dabei kommt es für den Begriff "gewähren" entscheidend auf das tatsächliche Zufließen der Leistung in der einen oder anderen Form an, weil nur auf diese Weise die gleiche Behandlung im wesentlichen gleicher Sachverhalte erreichbar ist.

Dem Kläger fließt aber tatsächlich keine Leistung des Familienlastenausgleichs zu. Zur fiktiven Unfallrente wird zwar eine Kinderzulage gerechnet; sie fließt ihm aber nicht zu. Denn eine Unfallrente gewährt ihm allein der französische Versicherungsträger, und zwar unstreitig ohne Kinderzulage. Die innerstaatliche Rente, die der Kläger nach dem pro-rata-temporis-Prinzip aufgrund seiner saarländischen Versicherungsmonate erhält, erhöht sich allerdings um den Kinderzuschuß. Abgesehen davon, daß ein Kinderzuschuß aus der gesetzlichen Rentenversicherung keine Kinderzulage aus der gesetzlichen Unfallversicherung iS von § 60 Abs 1 Nr 1 RKG ist, handelt es sich bei dieser Rente nur um eine auf die Vergleichsrente nach § 28 SVAG-Saar anrechenbare Leistung. Der rechnerisch in der innerstaatlichen - angerechneten - Rente enthaltene Kinderzuschuß fließt dem Kläger mithin wirtschaftlich nicht zu; er bewirkt nur seinen Ausschluß vom Kindergeld nach § 8 Abs 1 Nr 1 BKGG. Deshalb muß die Benachteiligung des Klägers gegenüber vergleichbaren Versicherten ohne Kinder durch Erhöhung der Vergleichsrente um den Kinderzuschuß nach § 60 Abs 1 Satz 1 RKG ausgeglichen werden.

Zweck der Übergangsvorschrift des § 28 SVAG-Saar ist es, den Versicherten mindestens die Leistung zu sichern, die sie für ihre Versicherungszeiten nach innerstaatlichem Recht erhalten würden. In diesem Fall wäre zwar bei der Rentenberechnung nach § 75 Abs 1 RKG die dann zustehende deutsche Unfallrente ohne Kinderzulage und die Versichertenrente ohne Kinderzuschuß zu berücksichtigen. Die Beklagte übersieht bei dieser Argumentation indes, daß dem Versicherten dann aber auch - anders als dem Kläger - eine deutsche Unfallrente mit Kinderzulage zustehen würde. Mangels eines derartigen Ausgleichs ist deshalb im Falle des Klägers die vom Gesetzgeber in § 28 SVAG-Saar beabsichtigte Gleichstellung bei der Gewährung der Vergleichsrente ohne Kinderzuschuß nicht zu erreichen, solange ihm nicht tatsächlich eine Leistung des Familienlastenausgleichs zufließt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1660401

BSGE, 276

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