Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslagen. Bevollmächtigter. Erstattung. Gebühren. Geührenordnung. Kosten. notwendige Aufwendungen. Rechtsberatung. verbandsvertreter. Widerspruchsverfahren.

 

Leitsatz (amtlich)

Zeit- und Arbeitsaufwand eines Bevollmächtiger, der nicht nach einer gesetzlichen Gebührenordnung Widerspruchsverfahren nicht als „notwendige Aufwendung” erstattungsfähig.

 

Normenkette

SGB X § 63; ZPO § 91; RBerG § 3

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 27.04.1995; Aktenzeichen L 10 J 364/94)

SG Braunschweig (Entscheidung vom 01.11.1994; Aktenzeichen S 5 J 388/93)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 27. April 1995 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Kosten, die ihrem während des Rechtsstreits verstorbenen Ehemann in einem von ihm erfolgreich durchgeführten Widerspruchsverfahren dadurch entstanden, daß seine berufsständische Vereinigung ihm für die Vertretung in dem Verfahren Arbeitszeitaufwand berechnete.

Die Beklagte erkannte dem Ehemann der Klägerin Regelaltersrente ab August 1992 zu. Im Widerspruchsverfahren ließ sich der Ehemann der Klägerin durch einen Bevollmächtigten des „Niedersächsischen Landvolk, Kreisverband Gifhorn eV” (NLeV) vertreten. Die Beklagte gewährte ihm darauf Rente schon ab Oktober 1991 und übernahm die Kosten des Klägers im Widerspruchsverfahren dem Grunde nach (Bescheid der Beklagten vom 30. September 1992). Der NLeV stellte dem Ehemann der Klägerin daraufhin 132,24 DM in Rechnung. Dieser Betrag setzte sich (nach Spezifizierung im Klageverfahren) zusammen aus 105,00 DM für Arbeitsaufwand und 11,00 DM für Auslagen (zB Porto, Telefon, Fotokopien), jeweils zuzüglich Mehrwertsteuer. Der NLeV war dazu gegenüber dem Ehemann der Klägerin aufgrund seiner Satzung in Verbindung mit der aufgrund der Satzung vom Gesamtverband beschlossenen Auslagenersatzordnung berechtigt. Der Ehemann der Klägerin zahlte den geforderten Betrag an den NLeV.

Die Beklagte lehnte die Erstattung ab (Bescheid vom 21. Juli 1993, Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 1993). Pauschalierte Kosten könnten nur dann erstattet werden, wenn sie in zulässiger Weise nach der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGebO) errechnet worden seien oder zwischen einem Verband und der Beklagten eine generelle Vereinbarung über die Kostenerstattung getroffen sei. Beides sei nicht der Fall.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Erstattung des geltend gemachten Betrages verurteilt (Gerichtsbescheid vom 1. November 1994). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten den Gerichtsbescheid des SG und den Bescheid der Beklagten vom 21. Juli 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 1993 geändert und die Beklagte zur Zahlung der 11,00 DM Auslagen zuzüglich Mehrwertsteuer verurteilt; im übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 27. April 1995). Die vom NLeV dem Ehemann der Klägerin in Rechnung gestellten 11,00 DM seien notwendige Aufwendungen. Sie seien von der Beklagten einschließlich Mehrwertsteuer zu erstatten. Der Betrag von 105,00 DM sei indessen nicht erstattungsfähig. Entgelt für die von einem Verband für seine Mitglieder aufgewendete Arbeitszeit könne grundsätzlich nicht erstattet werden.

Der Ehemann der Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Die Klägerin führt den Rechtsstreit fort, nachdem ihr Ehemann am 5. November 1995 verstorben ist. Sie rügt eine Verletzung materiellen Rechts und ist der Auffassung, daß ihr die 132,24 DM voll erstattet werden müssen.

Sie beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 27. April 1995 zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Braunschweig vom 1. November 1994 auch hinsichtlich des für Arbeitsaufwand geltend gemachten Betrages zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht den Gerichtsbescheid des SG insoweit abgeändert, als die Beklagte zur Zahlung über den Betrag der Auslagen zuzüglich Mehrwertsteuer hinaus verurteilt worden ist.

Die Klägerin ist als alleinige Erbin ihres während des Revisionsverfahrens verstorbenen Ehemannes befugt, dessen Rechtsstreit fortzusetzen. Sie hat indessen gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die ihr Ehemann seiner berufsständischen Vereinigung für die Dienstleistung im Rahmen der Vertretung im Widerspruchsverfahren gezahlt hat. Wie das LSG zutreffend erkannt hat, kann ein derartiger Betrag deshalb nicht erstattet werden, weil Entgelt für die von einem Verband für seine Mitglieder aufgewendete Arbeitszeit im Verhältnis zwischen dem Mitglied des Verbandes und seinem Verfahrensgegner nicht erstattungsfähig ist.

Im geltenden deutschen Recht gibt es keine Vorschrift, welche die geltend gemachte Erstattung zuläßt. Die allein in Betracht zu ziehende Bestimmung des § 63 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) enthält hierfür keine Rechtsgrundlage. Im bindend gewordenen Bescheid vom 30. September 1992 hat sich zwar die Beklagte zu Recht bereit erklärt, dem Ehemann der Klägerin die ihm im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen dem Grunde nach zu erstatten, weil sie im Widerspruchsverfahren unterlegen war (§ 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Diese Kostenerstattungspflicht umfaßt aber keine Entgelte für die Arbeitskraft und Arbeitszeit von Personen, die anstelle des Widerspruchsführers oder für ihn Arbeitszeit und Arbeitskraft aufgewandt haben. Auf den unterlegenen Gegner können die Aufwendungen für den Einsatz fremder Arbeitskraft und Arbeitszeit nur abgewälzt werden, soweit der von dem Verfahrensbeteiligten eingesetzte Bevollmächtigte berechtigt ist, seine Mühewaltung aufgrund gesetzlicher Gebühren entlohnen zu lassen.

Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind die „notwendigen Aufwendungen” zu erstatten. Zur Auslegung des hiermit maßgeblichen Begriffs der Aufwendungen kann auf § 91 der Zivilprozeßordnung (ZPO) zurückgegriffen werden, dem die Erstattungsregelung des § 63 SGB X inhaltlich nachgebildet ist. Unter „Kosten des Rechtsstreits” iS von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO sind grundsätzlich Gerichtskosten und außergerichtliche Kosten zu verstehen (Belz in Münchener Komm-ZPO, 1992, § 91 RdNr. 20). Die erste Kostengruppe ist im vorliegenden Fall unerheblich. Die allein in Betracht kommenden außergerichtlichen Kosten umfassen „Parteikosten” und „Kosten einer zulässigen Vertretung” (Belz, a.a.O., RdNrn 22 ff). Parteikosten sind Aufwendungen, die der Partei in eigener Person entstanden sind. Um solche Kosten geht es im Streitfall nicht Gegenstand der Auseinandersetzung sind vielmehr nur die Kosten, die dem verstorbenen Ehemann der Klägerin dadurch erstanden sind, daß er sich zur Wahrnehmung seiner Rechte im Verwaltungsverfahren eines Vertreters des NLeV bedient hat. Derartige Vertretungskosten waren jedoch nur erstattungsfähig, wenn sie auf einer gesetzlichen Ordnung des Kostenrahmes – einer „Gebührenordnung” – beruhten. Dies folgt aus der Gleichartigkeit der Erstattungsregelung des § 63 Abs 1 und Abs 2 SGB X mit der vorschrift des § 91 Abs 1 und Abs 2 ZPO.

Nach § 63 Abs 2 SGB X sind „die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigter im Vorverfahren” erstattungsfähig, wenn die Zuziehung des Bevollmächtigten notwendig war. Die Beklagte hat zwar die Vertretung des verstorbenen Ehemannes bei Klägerin durch einen Bevollmächtigten des Nichts zumindest stiftschweigend als notwendig anerkannt(vgl Bescheid vom 21 April 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26 Oktober 1993 und des insoweit rechtskräftige Urteil des LSGl. Gleichwohl kann die Klägerin aber den Arbeitsaufwand dieses Bevollmächtgten weder als dessen „Gebühren” noch als dessen „Auslagen” erstattet verlangen. Der vom Ehemann der Klägerin vertretene Arbeitsaufwand seines Bevollmächtigten stellt bei desem keine „Auslagen” dar. Darsteller ist begreiflich nur die Aufopferung von Vermögenswerten, nicht jedoch der Einsatz der eigenen Arbeitskraft der dadurch vielleicht engangener anderweitige Verdienst und die normale Abnutzung von achen des Bevollmächtigten (allgemeine Geschäftsunkosten zu verstehen. Hierfür sind vielmehr allenfalls „Gebühren” zu entrichten.

Im vorliegenden Falle kann die Klägerin indessen auch unter dem Gesichtspunkt einer "Gebühr" keine Erstattung verlangen. Insoweit ist auf die Regelung in § 91 Abs 2 ZPO zurückzugreifen. Dort ist bestimmt, daß von der unterlegenen Partei die "gesetzlichen" Gebühren des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei zu erstatten sind. Daraus folgt, daß im zivilgerichtlichen Verfahren weder vereinbarte Honorare eines Rechtsanwalts noch die Vergütung für einen Bevollmächtigten, der kein Rechtsanwalt ist, als erstattungsfähig angesehen werden, weil derartige Vergütungen nicht auf einem Gesetz beruhen (vgl Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 54. Aufl, 1996, § 91 RdNrn 40 f; Bork in Stein-Jonas, ZPO-Komm, 21. Aufl, 1994, § 91 RdNr 92; Steiner in Wieczorek/Schütze, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 3. Aufl, 1994, § 91 RdNr 76). Erstattungsfähig sind somit nur Gebühren, die in einer gesetzlichen Gebührenordnung erfaßt sind. Nach der Auffassung des Senats ist im Rahmen von § 63 Abs. 2 SGB X in derselben Weise vorzugehen.

Wenn auch in § 63 Abs. 2 SGB X das Wort „gesetzliche” im Unterschied zu § 91 Abs. 2 ZPO fehlt, ist der Ausgleich von Kostenbelastungen durch Inanspruchnahme eines Bevollmächtigten bei der Beurteilung der Kostenerstattungspflicht im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren nicht anders als im Zivilprozeß vorzunehmen. Hierfür spricht nicht nur die im übrigen gleichartige Formulierung beider Vorschriften, sondern auch die Gleichartigkeit der Situationen in verfahrensmäßiger Hinsicht, die sich für den Erstattungspflichtigen billigerweise dahin auswirken muß, daß er bei der Vertretung seines Gegners durch einen Bevollmächtigten in finanzieller Beziehung grundsätzlich in der einen Verfahrensart nicht schlechter gestellt wird als in der anderen. Dem unterlegenen Verfahrensbeteiligten kann nicht zugemutet werden, all das zu erstatten, was sich als Entgelt für die Mühewaltung aus dem Vertrag eines siegreichen Gegners mit dem von ihm Beauftragten ergibt. Dem kann dadurch sachgerecht entsprochen werden, daß § 63 Abs. 2 SGB X inhaltlich übereinstimmend mit § 91 Abs. 2 ZPO interpretiert wird, dh die Erstattung nach § 63 Abs. 2 SGB X nur gesetzliche Gebühren betrifft. Eine gesetzliche Gebührenordnung, die den in § 63 Abs. 2 SGB X auch vorgesehenen Fall der Vertretung durch einen „sonstigen Bevollmächtigten” erfaßte, ist im deutschen Recht in einer für jede Art der Bevollmächtigung geltenden Formulierung nicht gegeben. Die Bevorzugung, die der Rechtsanwalt dadurch genießt, daß für ihn eine gesetzliche Gebührenordnung (BRAGebO) vorhanden ist und seine danach berechneten Gebühren erstattungsfähig sind, ergibt sich aus seiner Stellung in der Rechtspflege. Er ist ein unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung ≪BRAO≫) und der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten (§ 3 Abs. 1 BRAO). Die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts erscheint aber nur dann gewährleistet, wenn seine wirtschaftliche Lage gesichert ist (VGH München, NJW 1965, 650). Entsprechendes gilt auch für Rechtsbeistände (Art. 1 § 1 des Rechtsberatungsgesetzes ≪RBerG≫ iVm Art IX des Kostenänderungsgesetzes vom 26. Juli 1957 ≪BGBl I S 861 ≫ idF vom 28. August 1980 ≪BGBl I S 1503≫), Patentanwälte (§ 3 der Patentanwaltsordnung iVm § 143 Abs. 5 des Patentgesetzes, § 27 Abs. 5 des Gebrauchsmustergesetzes, § 15 Abs. 5 des Geschmacksmustergesetzes, § 38 Abs. 4 des Sortenschutzgesetzes und § 140 Abs. 5 des Markengesetzes) sowie Verbandsvertreter (§§ 11 und 12a Abs. 2 des Arbeitsgerichtsgesetzes). Andere Personen, die nicht berufene Vertreter in Rechtsangelegenheiten und nicht berechtigt sind, nach einer gesetzlichen Gebührenordnung abzurechnen, werden allein dadurch, daß sie eine nach dem RBerG erlaubte Tätigkeit ausüben, noch nicht den Rechtsanwälten gleichgestellt. Folglich löst eine bloß satzungsmäßige Gebührenpflicht keine Erstattungspflicht aus. Dem steht entgegen der Ansicht der Klägerin das Urteil des 9. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. Januar 1992 (9a/9 RVs 10/89 – SozR 3-1300 § 63 Nr. 2) nicht entgegen. Dort ist nur entschieden worden, daß Verbandsmitglieder die bei Rechtsberatung durch Verbandsvertreter entstandenen Auslagen (Unkosten wie zB Porto) erstattet verlangen können, wenn die Erstattung in der Verbandssatzung vorgesehen ist. Derartige Auslagen hat die Beklagte erstattet. Im vorgenannten Urteil ist ausdrücklich vermerkt, daß nicht über die Erstattung von Kosten der Dienstleistung zu entscheiden war. Diese Aufwendungen sind indessen, wie angeführt, auch bei einer Satzungsregelung nach der Auffassung des erkennenden Senats nicht erstattungspflichtig.

Ob insoweit für Verbandsvertreter die Zeitversäumnis bei Reisen und der Wahrnehmung von Terminen im Rahmen von § 63 SGB X geltend gemacht werden kann (vgl § 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO), braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden, da ein solcher Kostenbetrag nicht geltend gemacht wurde.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 159

MDR 1997, 200

SozSi 1997, 399

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