Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 17.04.1989)

SG Schleswig (Urteil vom 22.04.1988)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 17. April 1989 geändert. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 22. April 1988 wird zurückgewiesen.

Kosten sind für sämtliche Rechtszüge nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger hat als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Spina bifida und Hydrocephalus e.V. (ASbH), Bereichsgruppe Schleswig-Holstein (Nord) den Behinderten M. R. in einem Verwaltungsverfahren nach dem Schwerbehindertengesetz mit Erfolg vertreten. Der Beklagte hat die Zuziehung des Bevollmächtigten als notwendig anerkannt und die Erstattung der notwendigen Vorverfahrenskosten dem Grunde nach zugebilligt. Dieser Anspruch ist dem Kläger abgetreten worden. Der Beklagte hat die Erstattung der für Fotokopien, Porto, Telefon- und Schreibgebühren sowie Fahrkosten entstandenen Auslagen abgelehnt mit der Begründung, die Rechtsvertretung habe ihre Grundlage im beiderseitigen Mitgliedschaftsverhältnis von Vertreter und Vertretenem in der ASbH. Solange nach der Satzung vom Mitglied selbst kein Unkostenbeitrag verlangt werden könne, komme auch eine Erstattung nach § 63 des Sozialgesetzbuchs – Verwaltungsverfahren – (SGB X) nicht in Betracht (Bescheid vom 15. Dezember 1986, bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 18. August 1987).

Die Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 22. April 1988). Auf die – vom SG zugelassene – Berufung des Klägers ist der Beklagte zur antragsgemäßen Erstattung verurteilt worden. Zwar ergebe sich aus Vereinsrecht keine Verpflichtung der Mitglieder zum Auslagenersatz.

Der Kläger sei jedoch aufgrund eines Dienstvertrages tätig geworden und könne aus diesem Grund nach § 670 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) Auslagenersatz verlangen. Gegen das Rechtsberatungsgesetz (RBerG) habe er nicht verstoßen, weil er sich im Rahmen des durch die Vereinssatzung vorgegebenen Vereinszweckes gehalten habe (Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 17. April 1989).

Hiergegen hat der Beklagte die – vom LSG zugelassene – Revision eingelegt und zur Begründung ausgeführt: Er habe Kosten nur zu erstatten, wenn auch der Auftraggeber im Verhältnis zum Bevollmächtigten die Auslagen zu tragen habe. Das richte sich, wenn die Rechtsberatung nur nach Art 1 § 7 RBerG zulässig sei, allein nach dem maßgeblichen Vereinsrecht. Neben dem mitgliedschaftlichen Verhältnis, das die Wahrnehmung der Rechtsinteressen erlaube, könnten sich die Rechtsbeziehungen nicht zusätzlich nach Auftragsrecht richten. Habe der Kläger allerdings als Privatperson die Vertretung im Vorverfahren übernommen, müsse dies als unerlaubte Rechtsberatung angesehen werden.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 22. April 1988 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist darauf, daß kleine Vereinigungen die Rechtsvertretung einzelner Mitglieder nicht sicherstellen könnten, so daß hierauf auch kein Anspruch bestehe. Sie könnten es sich bei einer im übrigen kostenlosen Vertretung auch finanziell nicht leisten, auf die Erstattung von Auslagen zu verzichten.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Beklagten ist begründet.

Dem Behinderten M. R., den der Kläger im Widerspruchsverfahren vertreten hat, sind keine Aufwendungen entstanden, zu deren Erstattung der Beklagte verpflichtet wäre. Zu Recht hat daher der Beklagte den dem Kläger abgetretenen Anspruch nach § 63 Abs 3 SGB X (vom 18. August 1980 BGBl I S 1469, berichtigt 2218) auf 0,00 DM festgesetzt.

Nach § 63 Abs 2 SGB X sind die Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren erstattungsfähig, wenn die Zuziehung des Bevollmächtigten notwendig war. Diese Notwendigkeit hat der Beklagte mit bindendem Bescheid anerkannt. Erstattungsfähig sind jedoch nur solche Auslagen, deren Ersatz der Mandant dem Bevollmächtigten schuldet. Dies ist bei den Auslagen von Rechtsanwälten und Rechtsbeiständen selbstverständlich, nicht jedoch bei den Auslagen der sog Verbandsvertreter, deren Berechtigung zur Wahrnehmung der Geschäfte sich aus § 13 Abs 5 SGB X für das Verwaltungsverfahren (für das sozialgerichtliche Verfahren aus § 73 Abs 6 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz -SGG) auf der Grundlage von Art 1 § 7 des RBerG (Gesetz vom 13. Dezember 1935 – RGBl I 1478 – idF durch das Gesetz vom 18. August 1980 – BGBl I 1503) ergibt. Bei ihnen ist jeweils zu prüfen, ob dem Mandanten überhaupt Kosten entstanden sind, weil die Rechtsbeziehung zwischen Mandant und Bevollmächtigtem dadurch gekennzeichnet wird, daß sie gemeinsam einer der in Art 1 § 7 RBerG genannten Vereinigungen angehören.

Es bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung dazu, ob der Kläger Vorstand einer Vereinigung iS von § 13 SGB X oder § 73 SGG ist. Denn seine Befugnis zur – auch geschäftsmäßigen – Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten haben die Vorinstanzen zu Recht aus Art 1 § 7 RBerG abgeleitet. Nach dieser Vorschrift können die auf berufsständischer oder ähnlicher Grundlage gebildeten Vereinigungen oder Stellen im Rahmen ihres Aufgabenbereichs ihren Mitgliedern Rat und Hilfe in Rechtsangelegenheiten gewähren, ohne einer Erlaubnis nach Art 1 § 1 RBerG zu bedürfen. Um eine derartige Vereinigung handelt es sich bei der ASbH, der als Mitglieder solche Personen angehören, die selbst oder deren Familienangehörige an bestimmten Gebrechen und Krankheiten leiden und deshalb durch ideelle, soziale und wirtschaftliche Interessen miteinander verbunden sind. Es wird ein Gesamtinteresse verfolgt, wobei die Rechtsberatung, auch die Interessenvertretung gegenüber Behörden, nur als Teilaufgabe zur Erreichung des Gesamtzwecks nach der Satzung vorgesehen ist (vgl hierzu OLG Karlsruhe und OLG Köln in NJW RR 1990, 683 und 685 mwN). Nach der vom LSG rechtsfehlerfrei gewürdigten Satzung ist im vorliegenden Fall nicht an der entsprechenden Funktion des Vereins zu zweifeln.

Soweit Vereinigungen iS des Art 1 § 7 RBerG zur Gewährung von Rat und Hilfe in Rechtsangelegenheiten gegenüber ihren Mitgliedern berechtigt sind, braucht diese Rechtsberatung nicht kostenlos zu erfolgen; insbesondere kann die Vereinigung diejenigen Auslagen und Aufwendungen ersetzt verlangen, die in Verfolgung der rechtlichen Betreuung der Mitglieder entstehen. Diese Unkosten können entweder auf alle Mitglieder durch den Mitgliedsbeitrag umgelegt oder als besondere Zahlung von den Mitgliedern erhoben werden. Welchen Weg die Vereinigung wählt, ist ihr freigestellt (so BGHZ 15, 315; BGH NJW 1955, 422 und dem folgend Rennen Caliebe, Rechtsberatungsgesetz, Anhang 1 RdNr 6; Altenhoff/Busch/Kampmann/ Chemnitz, Rechtsberatungsgesetz 8. Aufl, Art 1 § 7 RdNr 522ff; vgl zur Abgrenzung von Mitgliedsbeitrag und Entgelt auch BGH BB 1989, 2067). Zweifelhaft ist lediglich, ob auch die Kosten der Dienstleistung selbst erhoben und umgelegt werden können. Um solche geht es hier nach den Feststellungen des LSG nicht. Es ist rechtlich unbedenklich, wenn ein Verein die Erstattung seiner baren Auslagen vom einzelnen Mitglied verlangt; eine derartige Verlagerung der Unkosten verstößt weder gegen das Vereinsrecht des BGB noch gegen das RBerG. Die Unkosten müssen weder über die Mitgliedsbeiträge noch über Sonderbeiträge, deren Erstattungsfähigkeit zweifelhaft erscheint, erhoben werden. Sie können gemäß Satzungsrecht demjenigen aufgegeben werden, der als Mitglied die entsprechenden Dienste des Vereins in Anspruch nimmt, also die Auslagen verursacht. Die Rechtsgrundlage für jede Form von Kostenerhebung muß sich jedoch im Vereinsrecht finden (vgl BVerwG Buchholz 238.3a § 44 Bundespersonalvertretungsgesetz Nr 2; zweifelnd, aber wohl bejahend OVG NW – Beschluß vom 3. September 1984 – in OVGE MüLü 37, 168, 170), also in der Satzung oder sonstigen auf der Satzung beruhenden Vereinsordnungen (vgl dazu BGHZ 47, 172, 178ff; 88, 314, 316 und Lukes, NJW 1972, 124). Eine solche Rechtsgrundlage fehlt nach den – von der Revision nicht angegriffenen und somit für den Senat bindenden (§ 163 SGG) -Feststellungen des LSG. Die ASbH verlangt nach der Satzung von den Mitgliedern lediglich den Mitgliedsbeitrag. Sonstige Zahlungen sind im Zusammenhang mit der Vereinstätigkeit nicht vorgesehen.

Da die geschäftsmäßige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten über Art 1 § 7 RBerG nur insoweit erlaubt ist, als den Mitgliedern der dort genannten Vereinigungen diese Leistung in Form eines mitgliedschaftlichen Rechts zuwächst, wird gerade nicht einzelnen Mitgliedern oder dem Vorstand des Vereins die Möglichkeit eröffnet, geschäftsmäßig die Rechtsangelegenheiten Dritter zu besorgen. Das entscheidende Anknüpfungsmerkmal ist die Mitgliedschaft des Vertretenen und des Bevollmächtigten im selben Verein. Die gemeinsame Mitgliedschaft vermittelt die Zulässigkeit der Vertretung im Verfahren nach außen und begründet nach innen satzungsmäßig den Umfang der Hilfe in Rechtsangelegenheiten (vgl hierzu BGH WM 1990, 1836, 1838) sowie die etwaige Verpflichtung zur Vergütung oder zum Auslagenersatz. Jede Entscheidung darüber ist eine innere Angelegenheit des Vereins, die er nach seinem Gutdünken regeln kann (BGH NJW 1955, 422, 423). Sofern es – wie hier – an einer derartigen Regelung fehlt, können Ansprüche nicht aus sonstigem Recht hergeleitet werden. Insbesondere ist es ausgeschlossen, diese Verpflichtung aus Geschäftsbesorgung oder Auftragsrecht abzuleiten. Denn die Vereinigung gewährt ihren Mitgliedern die Hilfe in Rechtsangelegenheiten auf der Grundlage des Vereinsrechts, wobei diese Hilfe dem Satzungszweck entsprechen muß. Die Gewährung der Hilfe wird zwar durch einen Vorgang abgerufen, der nach seinem äußeren Erscheinungsbild einem Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen den einzelnen Mitgliedern nahekommt; es handelt sich indessen rechtlich um das Geltendmachen einer Berechtigung im Rahmen des Vereins. So hat der Kläger im Rahmen des eingetragenen Vereins dem behinderten M.R. Hilfe in Rechtsangelegenheiten gewährt. Diese Hilfe hat er dem anderen Vereinsmitglied nach § 38 BGB angedeihen lassen als Ausfluß von dessen mitgliedschaftlichen Rechten, wie sie in der Satzung niedergelegt sind. Zwar mag der Umfang der Hilfe in Rechtsangelegenheiten nur nach Maßgabe der im Verein vorhandenen Kapazitäten geleistet werden können, so daß im engeren Sinne kein Anspruch auf Vertretung vor Behörden im Widerspruchsverfahren besteht. Soweit derartige Hilfe aber tatsächlich geleistet wird, beruht sie auf dem geltend gemachten Mitgliedschaftsrecht des ratsuchenden Mitglieds und nicht auf einer Geschäftsbesorgung.

Wären die Geschäftsbeziehungen lediglich im Rahmen des Vereins angebahnt und wäre dem Kläger sodann ein Auftrag erteilt worden, würde diese Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten gegen den Erlaubnisvorbehalt des Art 1 § 1 RBerG verstoßen. Denn der Kläger hat geschäftsmäßig gehandelt, weil er seine Kenntnisse mehrfach Vereinsmitgliedern zur Verfügung gestellt hat; geschäftsmäßig handelt auch der, der weder entgeltlich noch hauptamtlich, jedoch bei sich bietender Gelegenheit wiederholt Rechtsrat erteilt. Bei einer solchen rechtlichen Einordnung des Geschehens würde der Kläger nicht nur ordnungswidrig iS des Art 1 § 8 RBerG handeln; zugleich verstieße er gegen ein Verbot iS des § 134 BGB mit der Folge, daß der auf einem solchen Verstoß beruhende Vertrag zwischen dem Ratsuchenden und dem Berater nichtig wäre (BGH NJW 1962, 2010; NJW 74, 1201; NJW 77, 431; NJW 1978, 323; VGH Kassel Anwaltsblatt 1982, 535).

Ob und in welchem Ausmaß die Folgen eines derartigen nichtigen Vertragsverhältnisses abzuwickeln wären (vgl BGH NJW 1962, 2010 und NJW 1978, 323) bedarf hier keiner Entscheidung. Denn die Beteiligten wollten kein Auftragsverhältnis unter Verstoß gegen Art 1 § 7 RBerG begründen. Der Kläger hat mit seinen Leistungen nicht die ihm durch das Gesetz auferlegten Schranken überschreiten wollen, sondern seinen Rat und seine Hilfe im Rahmen des Vereins einem Mitglied zuteil werden lassen. Die Heranziehung von Auftragsrecht neben der mitgliedschaftlichen Ausgestaltung ist erst durch das Berufungsgericht für möglich gehalten und im Revisionsverfahren lediglich insoweit weiterverfolgt worden, als dies eine Anspruchsgrundlage im Rahmen gesetzmäßigen Handelns hätte sein können. Der Kläger begehrt den Auslagenersatz nicht um den Preis eines gesetzwidrigen Handelns. Auch diesen Rechtsstreit führt er nicht im eigenen privaten Interesse, sondern als Vorstandsmitglied im wirtschaftlichen Interesse der ASbH. Dies folgt vor allem daraus, daß alle Auslagen, um deren Erstattung gestritten wird, nicht vom Kläger persönlich, sondern vom Verein getragen werden. Der Kläger hat sie vorgelegt; sie waren ihm selbst auf der Grundlage von § 27 Abs 3 BGB zu erstatten, weil ihm als Geschäftsführer ein Auslagenersatzanspruch gegen den Verein zusteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175071

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