Entscheidungsstichwort (Thema)

Wertung eins Verkehrsunfalls als Arbeitsunfall. Verunglückt ein Versicherter auf dem Weg von seiner Wohnung zu seiner auswärtigen Arbeitsstelle, wo er zu Montagearbeiten eingesetzt war, so steht der Verstoß gegen die Anordnung der auswärtigen Übernachtung dem Versicherungsschutz nach § 550 RVO nicht entgegen

 

Beteiligte

24. Januar 1991 … Kläger und Revisionsbeklagter

Bundesrepublik Deutschland

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I

Die Beteiligten streiten, ob der Verkehrsunfall des Klägers am 13. August 1987 als Arbeitsunfall gilt.

Der Kläger war als Fernmeldehandwerker bei der Deutschen Bundespost, Fernmeldeamt K.    , beschäftigt. Vom 10. August 1987 an wurde er in der Ortsvermittlungsstelle Fr.        , die ungefähr 55 Kilometer von seinem Wohnort entfernt ist, für Montagearbeiten eingesetzt. Unter Bezugnahme auf die Regelung des Tarifvertrages für Arbeiter (TV Arb) der Deutschen Bundespost über die Entschädigung bei auswärtiger Beschäftigung (§ 18) ordnete die Dienststelle des Klägers für ihn gemäß § 18 Abschnitt C TV Arb vom 10. August 1987 bis auf weiteres auswärtige Übernachtung an und bewilligte ihm das im Zusammenhang damit vorgeschriebene Ausbleibegeld.

Am 12. August 1987 fuhr der Kläger nach Arbeitsende nach Fu.        und übernachtete dort in seiner eigenen Wohnung. Als er am nächsten Morgen mit dem Pkw nach Fr.         zu seiner Arbeitsstelle zurückfuhr, um dort seine Arbeit aufzunehmen, stieß er mit einem anderen Pkw zusammen. Dadurch zog er sich Prellungen am linken Oberarm und rechten Unterschenkel sowie eine Quetschung am linken Schultergelenk zu. Bis zum 20. August 1987 war er deswegen arbeitsunfähig.

Die Beklagte lehnte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil der Unfall des Klägers kein Arbeitsunfall gewesen sei (Bescheid vom 25. November 1987). Dagegen hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Kassel und dem Hessischen Landessozialgericht (LSG) im wesentlichen Erfolg gehabt (Urteile vom 14. Februar 1989 und 14. Februar 1990). Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger durch den Wegeunfall vom 13. August 1987 eine Quetschung am linken Schultergelenk sowie Prellungen des rechten Unterschenkels und linken Oberarms erlitten hat. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen des § 550 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) seien erfüllt. Dem stehe die Anordnung der auswärtigen Übernachtung nicht entgegen. Sie begründe keine arbeitsvertragliche Pflicht des Klägers zur Übernachtung an einem bestimmten Ort, bestimme nicht die Art und Weise der Arbeitsausführung und mache ihre Erfüllung - der Anordnung - auch nicht zum Interesse des Arbeitgebers.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 550 Abs 1 und Abs 3 RVO sowie des § 1 Abs 1 Tarifvertragsgesetz iVm § 18 Abschnitt C Abs 1 TV Arb. Sie meint, der unfallbringende Weg habe nicht unter dem Schutz des § 550 RVO gestanden, weil der Kläger sich über die arbeitsrechtlich wirksame Übernachtungsanordnung seines Arbeitgebers hinweggesetzt und damit den Interessen des Arbeitgebers zuwider gehandelt habe. Dieser Weg mit seinen Unfallrisiken sei deshalb allein in den Verantwortungsbereich des Klägers gefallen, so daß der innere Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit als Voraussetzung eines Arbeitsunfalls fehle.

Die Beklagte beantragt,die angefochtenen Urteile in vollem Umfang aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.

II

Die Revision ist unbegründet.

Der Unfall des Klägers am 13. August 1987 gilt gemäß § 550 Abs 1 RVO als Arbeitsunfall; er hat die geltend gemachten Gesundheitsstörungen zur Folge gehabt. Das hat das LSG - insoweit in Übereinstimmung mit dem SG - zutreffend erkannt.

Der Senat vermag dem beklagten Träger der Versicherung nicht darin zu folgen, daß hier arbeitsrechtliche Fragen des unstreitig nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO versicherten Klägers vorgreifend seien.

Nach den den Senat bindenden (§ 163 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) tatsächlichen Feststellungen des LSG befand sich der Kläger kurz vor Ablauf seiner privaten, vollkommen arbeitsfreien Zeit auf dem Weg von seiner eigenen Wohnung zu der Arbeitsstelle in Fr.    -    , um dort seine ihm zugewiesene Arbeit aufzunehmen. Dabei verunglückte er. Damit sind alle Voraussetzungen des § 550 Abs 1 iVm § 548 Abs 1 Satz 1 RVO erfüllt; insbesondere auch das Erfor dernis des inneren Zusammenhangs mit der versicherten Tätigkeit. Auf dem Weg von der eigenen Wohnung zur Arbeitsstätte wird nach § 550 RVO grundsätzlich ein innerer Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit angenommen, weil der Versicherte diesen Weg wegen seiner Tätigkeit im Unternehmen zurücklegen muß (vgl zB BSG Urteil vom 27. Juli 1989 - 2 RU 10/89 - in BAGUV RdSchr 94/89), oder mit anderen Worten: der innere Zusammenhang ist gegeben, wenn der Weg, den der Versicherte zurückgelegt hat, wesentlich dazu diente, die versicherte Tätigkeit aufzunehmen (vgl zB BSG SozR 2200 § 539 Nr 21, Urteil des Senats vom 12. Juni 1990 - 2 RU 58/89 - mwN in HV-Info 1990, 2064). Damit dient der Weg bereits wesentlich den Interessen desjenigen Betriebes, für den die versicherte Tätigkeit verrichtet wird (auch iS des früher ebenfalls für die gesetzliche Unfallversicherung zuständig gewesenen 8. Senats des Bundessozialgerichts -BSG- in SozR 2200 § 539 Nr 21 = Breithaupt 1977, 224, wo gerade nicht von wesentlichen Interessen des Betriebes die Rede ist, wie die Beklagte irrtümlich meint).

Sind in dem maßgebenden Versicherungsverhältnis zwischen dem Versicherten und dem Versicherungsträger die anspruchsbegründenden Tatsachen unter den oben angegebenen Umständen verwirklicht, ist es unfallversicherungsrechtlich unerheblich, ob der Versicherte bei der Ausübung der unfallbringenden versicherten Tätigkeit, hier also auf dem Weg von der eigenen Wohnung zur pünktlichen Aufnahme der Arbeit in der auswärtigen Arbeitsstelle, zugleich Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag verletzt hat (s BSG SozR 2200 § 550 Nr 81).

Die arbeitsrechtliche Bedeutung der Anordnung für den Kläger, während seiner arbeitsfreien Zeit ohne Ruf- oder Dienstbereitschaft auswärts zu übernachten, kann deshalb dahingestellt bleiben, wobei allerdings - entgegen der Meinung der Revision - insbesondere der Standort dieser Regelung und ihr gesamter Inhalt sowie der daraus erkennbare Sinn und Zweck der Anordnung für die vom Berufungsgericht dargelegte Auffassung sprechen. Selbst wenn man aber davon ausgeht, daß der Kläger bei seiner Heimfahrt verbotswidrig handelte, schließt dies nach § 548 Abs 3 RVO den Versicherungsschutz auf dem Weg nach dem Ort der Tätigkeit nicht aus (s BSGE 42, 42, 46; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 485 d, 486 f). Dies gilt selbst dann, wenn - worauf die Beklagte hinweist - bei einem nicht verbotswidrigen Handeln der Arbeitsunfall nicht eingetreten wäre (BSG SozR 2200 § 548 Nr 22; BSG, Urteil vom 12. Oktober 1973 - 2 RU 190/72; Brackmann aaO). Aufgrund dieser gesetzlichen Regelung ist es auch nicht zulässig, allein aus dem Verstoß gegen das - hier weiterhin zugunsten der Beklagten unterstellte - Gebot, am Arbeitsort zu übernachten, den inneren Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem der Arbeitsaufnahme nach einer privaten, vollkommen arbeitsfreien Zeit dienenden Weg zu verneinen. Der Senat hat ua den Versicherungsschutz auf einem Weg von dem Ort der Tätigkeit auch bejaht, obgleich der Versicherte sich auf der Betriebsstätte zuvor stundenweise vor der Arbeitsleistung drückte und damit seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nicht nachkam (BSG SozR 2200 § 550 Nr 81).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

Dokument-Index HI517899

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