Verfahrensgang

LSG Hamburg (Urteil vom 22.03.1990)

SG Hamburg (Urteil vom 29.03.1988)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 22. März 1990 aufgehoben, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, an die Klägerin 4% Zinsen aus 27.123,29 DM seit 28. April 1986 zu zahlen. In diesem Umfang wird die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 29. März 1988 zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin begehrt von der Beklagten (noch) Prozeßzinsen ab Rechtshängigkeit.

Sie war von der Beklagten gemäß § 128a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) auf Erstattung des an den Beigeladenen gezahlten Arbeitslosengeldes (Alg) einschließlich der darauf entfallenden Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung in Anspruch genommen worden. Für die Zeit vom 1. April bis 25. Juli 1985 machte der Gesamterstattungsbetrag, der vor Klageerhebung (28. April 1986) bei der Beklagten einging, 12.903,05 DM aus (Bescheid vom 14. August 1985; Widerspruchsbescheid vom 24. März 1986). Für die Zeit vom 26. Juli bis 30. November 1985 belief sich der Gesamterstattungsbetrag, der nach Klageerhebung (1. Juli 1986) bei der Beklagten eintraf, auf 14.220,24 DM (Bescheid vom 8. April 1986; Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 1986). Die Klägerin hat jeweils Klage erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zur Zahlung von 12.903,05 DM und 14.220,24 DM zuzüglich 4% Zinsen ab Rechtshängigkeit zu veruteilen. Das Sozialgericht (SG) hat die beiden Streitsachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und die Klagen abgewiesen (Urteil vom 29. März 1988). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 27.123,29 DM zuzüglich 4% Zinsen seit 28. April 1986 zu zahlen (Urteil vom 22. März 1990).

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen getroffene Wettbewerbsvereinbarung habe den Beigeladenen nicht bei seiner Arbeitsuche behindert. Sie sei vielmehr ins “Leere” gegangen mit der Folge, daß die Beklagte zur Rückgewähr der erstatteten 27.123,29 DM verpflichtet sei. Diese Forderung sei ab Rechtshängigkeit (28. April 1986) entsprechend § 291 Satz 1 Halbs 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu verzinsen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) seien grundsätzlich auch öffentlich-rechtliche Geldschulden entsprechend § 291 BGB zu verzinsen, falls nicht Abweichendes geregelt sei oder Besonderheiten eines Sachgebietes einer Analogie entgegenstünden (BSGE 64, 225, 230 mwN = SozR 7610 § 291 Nr 2). Letzteres treffe auf den hier geltend gemachten Rückerstattungsanspruch nicht zu. Es gehe bei ihm weder um Erbringung einer Sozialleistung noch um Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge, so daß weder § 44 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) noch § 27 Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) zum Tragen kämen. Mangele es aber sowohl an einer Anordnung der Verzinsung als auch an deren Ausschluß, sei § 291 BGB entsprechend anzuwenden.

Die Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung von § 291 BGB iVm allgemeinen Grundsätzen des Sozialrechts sowie von § 54 Abs 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Zur Begründung trägt sie vor, das Bundessozialgericht (BSG) habe in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß im sozialgerichtlichen Verfahren zumindest dann kein Anspruch auf Prozeßzinsen bestehe, wenn der Hauptanspruch nicht nach besonderen Vorschriften (§ 44 SGB I; § 27 Abs 1 SGB IV) zu verzinsen sei (BSGE 49, 227, 229 = SozR 1200 § 44 Nr 2; BSGE 56, 116, 121 = SozR 1200 § 44 Nr 10 jeweils mwN). Dem Gesetzgeber sei bekannt gewesen, daß im Sozialrecht neben den in § 44 SGB I und § 27 Abs 1 SGBBG IV erwähnten Ansprüchen noch andere Geldforderungen eine Rolle spielten. Doch habe er für solche Forderungen bewußt von einer Zinsregelung abgesehen (BT-Drucks 7/868 S 30 zu § 44). Der 8. Senat des BSG habe deshalb sogar im Rahmen des § 61 Satz 2 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) die entsprechende Anwendung der §§ 286, 288 und 291 BGB verneint.

Dem Hinweis des BVerwG, wonach es dem Grundsatz von Treu und Glauben entspreche, daß der Schuldner billigerweise dem Gläubiger für die Nutzungen Ersatz zu leisten habe, die er ihm während der Dauer des Prozesses vorenthalte (BVerwGE 7, 95, 97), sei der 12. Senat des BSG mit Hinweis auf die Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens, die Gerichtskostenfreiheit für den Leistungsberechtigten (§§ 183, 184 SGG) und den Ausschluß der Erstattung außergerichtlicher Kosten für den Leistungsträger (§ 193 Abs 4 SGG) ausdrücklich entgegengetreten (BSGE 22, 150, 155 f = SozR Nr 1 zu § 288 BGB = SozR Nr 1 zu § 291 BGB). Der 6. Senat des BSG habe hierauf Bezug genommen (BSGE 56, 116, 121 = SozR 1200 § 44 Nr 10).

Selbst der 9. Senat des BSG, der eine Pflicht zur Zahlung von Prozeßzinsen für den Anspruch auf Ausgleich aus § 85 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) bejaht habe, habe keinen “allgemeinen Verzinsungsanspruch für alle rückständigen Ansprüche des Bürgers gegen den Staat” anerkannt (BSGE 64, 225, 229 = SozR 7610 § 291 Nr 2). Überdies lasse sich die Entscheidung des 9. Senats, die eine Spezialmaterie betreffe, nicht auf den vorliegenden Fall übertragen.

Unabhängig davon habe es für die von der Klägerin erhobene Leistungsklage am Rechtsschutzbedürfnis gefehlt. Die Beklagte zahle erhaltene Erstattungsbeträge in Fällen der vorliegenden Art umgehend wieder aus. Ein Anspruch auf Verzinsung sei nicht vorgesehen. Schuldner, die nicht zur Zahlung der entsprechenden Erstattungsbeträge bereit seien, hätten zudem, da Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung aufwiesen (§§ 86 Abs 2, 97 Abs 1 SGG), die Möglichkeit eines Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes.

Schließlich könne der Anspruch auf Rückerstattung nicht in vollem Umfang im Zeitpunkt der vom LSG angenommenen Rechtshängigkeit (28. April 1986) fällig geworden sein. Abgesehen davon, daß der überwiegende Betrag (14.220,24 DM) erst am 31. Juli 1986 bei der Beklagten eingegangen sei, komme als frühester Zeitpunkt der Fälligkeit der Zeitpunkt der Rechtskraft des zweitinstanzlichen Urteils in Betracht. Billige man indes der Klägerin Anspruch auf Zinsen schon ab Rechtshängigkeit zu, habe dies auch für entsprechende Erstattungsforderungen der Beklagten (§§ 128a, 145 AFG; § 50 SGB X) zu gelten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben, soweit die Beklagte verurteilt wurde, an die Klägerin 4% Zinsen auf den Betrag in Höhe von 27.123,29 DM seit 28. April 1986 zu zahlen, und insoweit die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie erwidert, der Anspruch auf Prozeßzinsen habe seine Grundlage im materiellen Recht. Soweit dieses eine entsprechende Regelung nicht bereithalte, stelle sich die Frage, ob die Lücke durch Umkehrschluß oder Analogie zu schließen sei. Vorliegend sei eine analoge Anwendung des § 291 BGB angezeigt. Die Bestimmungen der §§ 44 SGB I und 27 Abs 1 SGB IV hätten mit der verzinsungsfeindlichen Tradition im Sozialrecht gebrochen. Der Entscheidung des 9. Senats in BSGE 64, 225 (= SozR 7610 § 291 Nr 2) sei allgemeine Bedeutung beizumessen. Auch Sinn und Zweck des § 291 BGB, wonach der Schuldner die Zinsen als Risikozuschlag zu tragen habe, seien hier verwirklicht.

Die von der Beklagten angezogene Rechtsprechung führe zu keinem anderen Ergebnis. Der Klägerin stehe nämlich ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu, auf den die §§ 812 ff BGB, mithin auch § 818 Abs 4 iVm § 291 BGB, anzuwenden seien. Soweit der 1. Senat des BSG entschieden habe, daß weder aus § 44 Abs 1 SGB I noch aus § 27 Abs 1 SGB IV für den Bereich des Sozialrechts eine allgemeine Verpflichtung zur Verzinsung rückständiger Geldleistungen oder speziell von Beitragserstattungen herzuleiten sei (BSGE 55, 40, 45 = SozR 2100 § 27 Nr 2), dürfe dies jedenfalls nicht auf zu Unrecht eingeforderte Geldbeträge ausgedehnt werden. Anderenfalls werde der Grundsatz von Treu und Glauben iVm der Pflicht zur Erstattung unrechtmäßig gezogener Nutzungen (BVerwGE 14, 1, 4) verletzt. Die Gegenäußerung der Bundesregierung, mit der sie dem Vorschlag des Bundesrats zur Streichung des § 27 Abs 1 SGB IV entgegengetreten sei (BT-Drucks 7/4122 S 50 zu 8), erhärte dies.

Entgegen der Ansicht der Beklagten sei der Rückerstattungsanspruch der Klägerin im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit fällig gewesen. Die Erstattungsbescheide seien durch das zweitinstanzliche Urteil mit Wirkung ex tunc aufgehoben worden. Der Erlaß rechtswidriger Bescheide dürfe der Klägerin nicht zum Nachteil gereichen.

Schließlich seien die weiteren Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 291 BGB gegeben. Die Klägerin habe neben der Anfechtungsklage in zulässiger Weise die Leistungsklage erhoben. Über die Zulässigkeit dieser Leistungsklage sei rechtskräftig entschieden worden. Im Fall der Verbindung von Anfechtungs- und Leistungsklage seien die Voraussetzungen des § 291 BGB erfüllt, woran der 9. Senat keinen Zweifel gelassen habe (BSGE 64, 225, 231 = SozR 7610 § 291 Nr 2).

Der Beigeladene hat sich nicht geäußert.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das ursprüngliche Klagebegehren nur noch insoweit, als die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 4 vH Zinsen aus der Hauptforderung ab Rechtshängigkeit (28. April bzw 1. Juli 1986) begehrt. Im übrigen, dh soweit das LSG auf die Berufung der Klägerin das Urteil des SG und die Erstattungsbescheide der Beklagten (vom 14. August 1985 und 8. April 1986 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 24. März 1986 und 5. Juni 1986) aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung von 27.123,29 DM an die Klägerin verurteilt hat, ist das zweitinstanzliche Urteil, da die Beklagte insoweit Revision nicht eingelegt hat, rechtskräftig geworden (§ 141 Abs 1 SGG).

Die im Revisionsverfahren von Amts wegen zur prüfende Frage, ob die Berufung zulässig war (BSGE 2, 225, 227; 2, 245, 246 – SozR Nr 11 zu § 150 SGG), ist vom LSG im Ergebnis zu Recht bejaht worden. Der schon vor dem SG geltend gemachte Anspruch auf Prozeßzinsen (§ 291 BGB) war Annex zur Leistungsklage, bei der es der Klägerin um die Beseitigung der Folgen der von ihr für rechtswidrig gehaltenen Verwaltungsakte ging (§ 131 Abs 1 Satz 1 SGG; vgl auch § 113 Abs 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung ≪VwGO≫). Die Leistungsklage war von der Anfechtungsklage abhängig, mit der die Klägerin sich gegen die Erstattungsbescheide wandte. Der grundsätzlich statthaften Berufung gegen die Anfechtungsklage (§ 143 SGG) standen nicht die Ausschließungsgründe des § 144 Abs 1 SGG entgegen; denn unter “Leistungen” iS dieser Bestimmung sind nur die von öffentlich-rechtlichen Leistungsträgern zu gewährenden Sozialleistungen zu verstehen, nicht jedoch die von solchen Trägern gegen einzelne Bürger bzw Arbeitgeber erhobenen Zahlungsansprüche (BSG SozR 1500 § 144 Nr 21; SozR 3-4100 § 128a Nr 3; Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 4. Aufl 1991, § 144 Rz 5).

Entgegen der Ansicht der Beklagten kann der Klägerin nicht das Rechtschutzinteresse an der Klage auf Verzinsung mit dem Hinweis abgesprochen werden, die Klage auf Zahlung der 27.123,29 DM sei unzulässig gewesen. Zum einen ist die Beklagte nach wie vor nicht bereit, den geltend gemachten Zinsanspruch ohne gerichtliche Entscheidung zu befriedigen. Zum anderen ist über den der Leistungsklage zugrunde liegenden allgemeinen öffentlichen-rechtlichen Erstattungsanspruch deswegen nicht mehr zu befinden, weil das Urteil des LSG insoweit rechtskräftig geworden ist.

In der Sache steht der Klägerin gegen die Beklagte entgegen der Auffassung des LSG kein Anspruch auf Verzinsung der 12.903,05 DM ab 28. April 1986 und der 14.220,24 DM ab 1. Juli 1986 zu. Es fehlt an einer entsprechenden Rechtsgrundlage. Das ergibt sich aus der rechtsgeschichtlichen Entwicklung der einschlägigen Zinsvorschriften.

Das Bürgerliche Recht hat die gesetzliche Zinspflicht von Anfang an auf zwei Anwendungsfälle begrenzt, nämlich die Verzugszinsen (§ 288 BGB) und die Prozeßzinsen (§ 291 BGB). Der Zinssatz beträgt einheitlich 4 vH. Obwohl diese Regelungen zu entsprechender Anwendung auf anderen Rechtsgebieten anregen mußten, haben das Reichsversicherungsamt (RVA) und das Reichsversorgungsgericht eine Verpflichtung der Leistungsträger zur Zahlung von Verzugsoder Prozeßzinsen stets abgelehnt; umgekehrt wurde eine Zinspflicht bei Ansprüchen der Versicherungsträger gegen Versicherte und Arbeitgeber verneint (RVA AN 1910, 448; 1914, 819; 1929, IV 266; 1939, IV 445; RVGE 3, 82; 12, 99, 103; Burdenski/v. Maydell/Schellhorn, SGB I, 2. Aufl 1981, § 44 Rz 2; Maier, DAngVers 1978, 129 jeweils mwN).

Während das BVerwG einen anderen Weg einschlug und – im Anschluß an die Rechtsprechung des BGH (BGHZ 10, 125, 128 f; BGH LM Nr 6 zu § 291 BGB) – die bürgerlich-rechtlichen Grundsätze über Prozeßzinsen (§ 291 BGB) auf – im Wege der Zahlungs- oder Verpflichtungsklage geltend gemachte -Geldforderungen entsprechend anwendet, falls nicht etwas Abweichendes geregelt ist oder Besonderheiten eines Sachgebietes einer Analogie entgegenstehen (vgl etwa BVerwGE 7, 95, 97; 11, 314, 318; 14, 1, 3; 15, 78, 84; 15, 106, 107; 25, 72, 82; 37, 239, 242; 38, 49, 50 f; 48, 133, 136; 51, 287, 288; 58, 316, 326; 71, 48, 53, 55; BVerwG NVwZ 1988, 440; Eyermann/Fröhler, VwGO, 9. Aufl 1988, § 113 Rz 58a; Redeker/v. Oertzen, VwGO, 9. Aufl 1988, § 42 Rz 157; Wolff/Bachof, VerwR I, 9. Aufl 1974, § 44 IIIb 6; Czybulka, NVwZ 1983, 125 ff; Zimmerling/Jung, DÖV 1987, 94 ff), hat das BSG die durch RVA und Reichsversorgungsgericht vorgezeichnete Rechtsentwicklung fortgeführt und in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß, soweit das Gesetz nicht ausdrücklich eine Zinszahlung anordne (vgl etwa §§ 397a Abs 2, 751, 823 Abs 2, 1400 Abs 1, 1436 Abs 2 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫ aF), kein Raum für Verzugsoder Prozeßzinsen verbleibe. Zur Begründung hat es ua auf die Solidarhaftung aller Versicherten, die einseitig zu Lasten der Leistungsträger getroffene Regelung hinsichtlich der Gerichtsgebühren (§§ 183, 184 SGG) sowie den Ausschluß der Erstattung außergerichtlicher Kosten an den Leistungsträger selbst im Fall seines Obsiegens (§ 193 Abs 4 SGG) hingewiesen (BSGE 6, 19 ≪insoweit nicht abgedruckt; vgl jedoch Breithaupt 1958, 725, 730≫; BSGE 22, 150 = SozR Nr 1 zu § 288 BGB = SozR Nr 1 zu § 291 BGB; BSG vom 25. Mai 1965 – 2 RU 122/64 – ≪unveröffentlicht≫; BSGE 24, 16, 18 = SozR Nr 16 zu § 1531 RVO; BSGE 24, 118 = SozR Nr 3 zu § 291 BGB; BSGE 28, 218, 222 = SozR Nr 1 zu § 5 EKV-Ärzte vom 15.12.1950; BSGE 29, 44, 54 = SozR Nr 3 zu § 28 BVG; BSGE 35, 195, 203 = SozR Nr 4 zu § 1403 RVO; BSG vom 15. Dezember 1976 – 3 RK 3/75 – ≪unveröffentlicht≫; vgl auch etwa Schwankhart, NJW 1967, 377 ff; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl 1988, S 742b).

Die Bestimmungen des § 44 SGB I und des § 27 Abs 1 SGB IV haben, wie die Klägerin zu Recht betont, mit der “verzinsungsfeindlichen” Tradition auf dem Gebiet des Sozialrechts gebrochen. Mit der Vorschrift des § 44 SGB I, die am 1. Januar 1978 in Kraft trat (Art II § 23 Abs 2 Satz 1 SGB I), hat der Gesetzgeber die Konsequenz daraus gezogen, daß soziale Geldleistungen in der Regel die Lebensgrundlage des Leistungsberechtigten bilden und daher, wenn sie verspätet gezahlt werden, nicht selten Kreditaufnahmen, die Auflösung von Ersparnissen oder die Einschränkung der Lebensführung notwendig machen; solche Nachteile sollten durch die Verzinsung ausgeglichen werden (BT-Drucks 7/868 S 30 zu § 44). Dieselben Überlegungen lagen der Schaffung der Vorschrift des § 27 Abs 1 SGB IV zugrunde (BT-Drucks 7/4122 S 34 zu §§ 22 bis 29 iVm BT-Drucks 7/868 S 30 zu § 44), die für nach dem 1. Juli 1977 fällig gewordene Ansprüche auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge eingreift (Art II § 14 SGB IV).

Im vorliegenden Rechtsstreit sind weder die Voraussetzungen des § 27 Abs 1 SGB IV noch die des § 44 SGB I erfüllt.

Gemäß § 27 Abs 1 Satz 1 SGB IV ist der Erstattungsanspruch nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen Erstattungsantrags, beim Fehlen eines Antrags nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Erstattung bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit 4 vH zu verzinsen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind hier nicht verwirklicht. Da § 27 Abs 1 an § 26 SGB IV anknüpft, erstreckt er den Grundsatz des Nachteilausgleichs verspäteter Zahlung lediglich auf den Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge. Für die Verzinsung eines Anspruchs auf Rückerstattung von zu Unrecht gemäß § 128a AFG erstattetem Alg bietet er keine Rechtsgrundlage.

Nach § 44 Abs 1 SGB I sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit 4 vH zu verzinsen. Mit dieser Vorschrift, die hinsichtlich der Höhe des Zinssatzes von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist (BVerfG SozR 1200 § 44 Nr 20), hat der Gesetzgeber nicht zum Ausdruck bringen wollen, daß im Sozialrecht allgemein rückständige Geldleistungen zu verzinsen sind (BSGE 49, 227, 228 = SozR 1200 § 44 Nr 2). Erfaßt werden sollten vielmehr nur diejenigen Leistungen, die dem Einzelnen als Sozialleistungen iS von § 11 SGB I zustehen. Diese umfassen alle Vorteile, die dem Einzelnen nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs zur Verwirklichung seiner sozialen Rechte zugute kommen sollen (BSGE 49, 227, 228 = SozR 1200 § 44 Nr 2; BSGE 55, 40, 44 = SozR 2100 § 27 Nr 2; BSGE 56, 116, 117 = SozR 1200 § 44 Nr 10; BSG SozR 1300 § 63 Nr 9; SozR 1200 § 44 Nr 13; BSG vom 24. Juli 1986 – 7 RAr 86/84 – ≪unveröffentlicht≫; BSG SozR 1300 § 61 Nr 1; BSGE 64, 225, 227 = SozR 7610 § 291 Nr 2; vgl auch Gitter in Bochumer Komm, SGB I, 1979, § 44 Rz 3; Hauck/Haines/Freischmidt, SGB I, Stand Januar 1992, § 44 Rz 3; Kocher in Jahn, SGB I, Stand Dezember 1991, § 44 Rz 4; aA BSGE 56, 1, 2 = SozR 1200 § 44 Nr 9; Lilge/v. Einem in Bley/Gitter/Gurgel ua, SGB-SozVersGesKomm, Stand Oktober 1991, § 44 Anm 2).

Ansprüche auf Geldleistungen in diesem Sinne sind etwa der Anspruch auf vorgezogenes Übergangsgeld gemäß § 1241d Abs 1 Satz 2 RVO aF (BSG SozR 1200 § 44 Nr 21), der nachträglich zuerkannte Anspruch auf Zuschuß, der gemäß § 18 Abs 5 Bundesversorgungsgesetz an Stelle einer notwendigen Krankenhausbehandlung gewährt wird (BSG SozR 1200 § 44 Nr 13) sowie der Anspruch auf Erstattung rechtmäßig entrichteter Beiträge nach § 1303 RVO aF als Regelleistung der gesetzlichen Rentenversicherung (BSGE 55, 40, 44 = SozR 2100 § 27 Nr 2). Ansprüche auf Geldleistungen in diesem Sinne sind ua nicht der Anspruch auf Ausgleich aus § 85 SVG (BSGE 64, 225, 226 = SozR 7610 § 291 Nr 2), der Erstattungsanspruch eines Leistungsträgers gegen den Bürger (Gitter, aaO, § 44 Rz 3) sowie Erstattungs- und Ersatzansprüche der Leistungsträger untereinander (BT-Drucks 7/868 S 30 zu § 44; BSGE 49, 227, 228 = SozR 1200 § 44 Nr 2; BSG SozR 4100 § 56 Nr 21).

Der Anspruch des Arbeitgebers auf Rückerstattung des zu Unrecht gemäß § 128a AFG erstatteten Alg hat keine Leistung zum Gegenstand, die dem Einzelnen als Sozialleistung iS des § 11 SGB I zusteht. Er dient nicht der Realisierung eines sozialen Rechts (vgl § 19 Abs 1 SGB I); er zielt vielmehr auf die Beseitigung der Folgen eines unrechtmäßig bestehenden Zustandes. Er ist die Kehrseite des Erstattungsanspruchs der Beklagten aus § 128a AFG. Daß er nicht der Verzinsungspflicht des § 44 SGB I unterliegt, erscheint nicht unbillig; denn auch der Beklagten können für einen Erstattungsanspruch aus § 128a AFG nicht Zinsen gemäß § 44 SGB I zugesprochen werden.

Eine analoge Anwendung von § 44 SGB I und § 27 Abs 1 SGB IV auf den vorliegenden Fall verbietet sich; insbesondere liegt insoweit keine ausfüllungsbedürftige Gesetzeslücke vor (anders zu § 405 RVO aF: BSG SozR 2200 § 405 Nr 12). Dem Gesetzgeber war bekannt, daß im Sozialrecht neben den in § 44 SGB I und § 27 Abs 1 SGB IV genannten Ansprüchen weitere Ansprüche auf Geldleistungen – darunter der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch – eine Rolle spielen. Dennoch hat er für Forderungen dieser oder ähnlicher Art bewußt von einer Zinsregelung abgesehen (BSGE 49, 227, 228 = SozR 1200 § 44 Nr 2) und eine entsprechende Anwendung von § 44 SGB I und § 27 Abs 1 SGB IV, wie insbesondere den amtlichen Begründungen (BT-Drucks 7/868 S 30 zu § 44 und 7/4122 S 34 zu §§ 22 bis 29) zu entnehmen ist, erkennbar nicht gewünscht (BSG SozR 1300 § 61 Nr 1).

Der Klägerin kann auch kein Anspruch auf Verzugs- (§ 288 BGB) oder Prozeßzinsen (§ 291 BGB) zugebilligt werden. Insoweit hat sich durch das Inkrafttreten des SGB I und des SGB IV an der früheren Rechtslage grundsätzlich nichts geändert. Demgemäß hat der 2. Senat herausgestellt, Ersatzansprüche zwischen öffentlich-rechtlichen Leistungsträgern begründeten keinen Anspruch auf Verzugs- oder Prozeßzinsen, sofern dies nicht ausdrücklich geregelt sei, und zur Begründung ua hervorgehoben, daß der Gesetzgeber die frühere Verzinslichkeit von rückständigen Beiträgen nach den §§ 397a Abs 2 und 751 RVO aF beseitigt und statt dessen einheitlich für alle Sozialversicherungsbeitragsrückstände Säumniszuschläge (§ 24 SGB IV) eingeführt habe (BSGE 49, 227, 229 = SozR 2100 § 44 Nr 2). Dieser Rechtsprechung haben sich der 1. Senat für die Frage der Verzinsung eines Anspruchs auf Erstattung rechtmäßig entrichteter Beiträge (BSGE 55, 40, 44 f = SozR 2100 § 27 Nr 2) und der 12. Senat für die Frage der Verzinsung eines Anspruchs auf Erstattung unrechtmäßig angeforderter Beiträge (BSG SozR 2100 § 27 Nr 3) angeschlossen; beide Senate haben eine ergänzende Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über Verzugsund Prozeßzinsen abgelehnt. Der 8. Senat hat die Zinsvorschriften der §§ 288, 291 BGB selbst bei Forderungen aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag (§§ 53 ff SGB X), in dessen Rahmen die Vorschriften des BGB ergänzend heranzuziehen sind (§ 61 Satz 2 SGB X), für nicht entsprechend anwendbar erklärt (BSG SozR 1300 § 61 Nr 1).

Auf der anderen Seite haben der 2. Senat (BSGE 49, 227, 229 = SozR 1200 § 44 Nr 2) und der 6. Senat (BSGE 56, 116, 120 f = SozR 1200 § 44 Nr 10) offengelassen, ob Prozeßzinsen (§ 291 BGB) zumindest in den Fällen zu entrichten sind, in denen der Hauptanspruch nach § 44 SGB I oder § 27 Abs 1 SGB IV zu verzinsen ist. Beide Senate brauchten die Frage nicht zu beantworten, weil in ihren Fällen der Hauptanspruch nicht nach § 44 SGB I oder § 27 Abs 1 SGB IV zu verzinsen war. Auch der erkennende Senat ist der Notwendigkeit einer Beantwortung der Frage enthoben. Denn der Anspruch auf Rückerstattung des zu Unrecht gemäß § 128a AFG erstatteten Alg unterfällt, wie dargestellt, nicht der Verzinsungspflicht nach § 44 SGB I oder § 27 Abs 1 SGB IV.

Ein der Klägerin günstigeres Ergebnis läßt sich nicht aus dem Urteil des 9. Senats vom 14. Dezember 1988 – 9/4b RV 39/87 – herleiten. Richtig ist, daß in dieser Entscheidung dem seinerzeitigen Kläger für dessen Anspruch auf Ausgleich aus § 85 SVG entsprechend § 291 Satz 1 Halbs 1 BGB Prozeßzinsen zuerkannt wurden. Doch hat der 9. Senat – ausgehend von der ständigen Rechtsprechung des BGH und des BVerwG, wonach öffentlich-rechtliche Geldschulden entsprechend § 291 BGB zu verzinsen sind, falls nicht etwas Abweichendes geregelt ist oder Besonderheiten eines Sachgebietes einer Analogie entgegenstehen (vgl oben) – ausdrücklich auf die Besonderheiten des soldatenrechtlichen Ausgleichsanspruchs abgehoben, nämlich auf seinen dienstrechtlichen Charakter, auf die speziell für diesen Anspruch nicht abschließend geregelte Frage der Verzinsung und auf die an sich gegebene Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte, über Ansprüche auf Ausgleich aus § 85 SVG zu entscheiden (BSGE 64, 225, 230 ff = SozR 7610 § 291 Nr 2). Schon die Besonderheiten dieser Fallkonstellation lassen es nicht zu, die Entscheidung des 9. Senats auf Ansprüche eines anderen Sachgebietes zu übertragen, für das eine Verzinsung – wie vorliegend – erkennbar nicht gewollt ist.

Nicht zu übersehen ist zudem, daß der Anspruch auf Prozeßzinsen in anderen Bereichen des öffentlichen Rechts einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedurfte. So heißt es etwa in § 236 Abs 1 Satz 1 Abgabenordnung: Wird durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder auf Grund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt oder eine Steuervergütung gewährt, so ist der zu erstattende oder zu vergütende Betrag (vorbehaltlich des Absatzes 3) vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen. Diese Regelung erhärtet die Auffassung des Senats, daß auf dem Gebiet des Sozialrechts eine entsprechende Anwendung von § 291 BGB – ohne gesetzgeberische Entscheidung – prinzipiell nicht zum Tragen kommen sollte. Nicht zuletzt im Hinblick auf die vorhandene Rechtsprechung des BSG hätte jedenfalls die Aufnahme einer Prozeßzinsen-Bestimmung in das Sozialgesetzbuch erwartet werden müssen, falls der Gesetzgeber auch hier den Grundsatz des § 291 BGB hätte verwirklicht sehen wollen.

Offenbleiben kann, ob ein Zinsanspruch auf einen Schadensersatzanspruch gemäß § 839 BGB iVm Art 34 Grundgesetz (GG) gestützt werden kann, wenn die verspätete Zahlung auf eine Amtspflichtverletzung zurückzuführen ist (vgl dazu etwa Hauck/Haines/Freischmidt, aaO, § 44 Rz 4; Peters, SGB I, Stand August 1986, § 44 Anm 2 aE). Unabhängig davon, daß die Rückerstattung der 27.123,29 DM vorliegend alsbald nach Erlaß des zweitinstanzlichen Urteils erfolgt zu sein scheint, bleibt zu beachten, daß für einen Anspruch wegen Amtspflichtverletzung der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht eröffnet ist (Art 34 Satz 3 GG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 72

NZA 1993, 719

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