Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitgliedschaft. Die Mitgliedschaft nach § 311 S. 1 Nr. 2 RVO (jetzt 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V) ist gegenüber der Versicherung eines landwirtschaftlichen Unternehmens nach § 2 Abs. 1 KVLG vorrangig.

 

Beteiligte

Klägerin und Revisionsklägerin

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I

Die klagende Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) begehrt von der beklagten Landwirtschaftlichen Krankenkasse (LKK) die Erstattung derjenigen Leistungen, die sie dem Kühlhausarbeiter und Landwirt A… R… (R) in der Zeit vom 3. April bis 13. September 1976 erbracht hat.

R war seit dem 17. November 1975 versicherungspflichtig beschäftigt und am 30. Januar 1976 arbeitsunfähig erkrankt. Nach Ablauf der Lohnfortzahlung des Arbeitgebers erhielt er von der Klägerin ab 12. März 1976 Krankengeld. Diese führte ihn seit seinem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis am 2. April 1976 als Mitglied nach § 311 Abs. 1 Nr. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Vom 12. August bis zum 9. September 1976 wurde R auf Kosten der Klägerin stationär behandelt; sein Krankengeldbezug endete gemäß § 183 Abs. 2 RVO am 13. September 1976, seine Arbeitsunfähigkeit dauerte noch bis zum 30. September 1976 an.

Nachdem sich die Beklagte geweigert hatte, ab 3. April 1976 die Versicherung des R durchzuführen und der Klägerin die erbrachten Leistungen zu erstatten, rief die Klägerin das Sozialgericht (SG) in Nürnberg an. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 25. Mai 1977 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, R sei in der streitigen Zeit Mitglied der Klägerin und somit nicht Mitglied der Beklagten gewesen. Dem stehe das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25. Mai 1976 (BSGE 42, 64) nicht entgegen. Darin habe das BSG zwar den Grundsatz aufgestellt, daß der für den nicht mehr berufstätigen Bezieher einer Sozialleistung nach § 311 RVO kostenlose Versicherungsschutz seiner Natur nach gegenüber der mit einer Beitragspflicht verbundenen Versicherungspflicht aus aktiver Berufstätigkeit oder wegen der Unternehmereigenschaft subsidiär sei. Diesen Grundsatz habe es jedoch auf den Fall beschränkt, daß die Krankenversicherung der Rentner nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO durch den vorläufigen Versicherungsschutz des § 311 RVO verdrängt werde.

Mit der zugelassenen Sprungrevision, der die Beklagte zugestimmt hat, rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 311, 312 RVO und der §§ 2. Abs. 1 Nr. 1 und 3 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG). Sie bezieht sich auf BSGE 42, 64 und folgert daraus, daß die Mitgliedschaft bei der Beklagten nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG derjenigen bei der Klägerin aus § 311 RVO vorgehe. Mithin sei R ab 3. April 1976 Mitglied der Beklagten gewesen, so daß ihr diese die Leistungen an R zu erstatten habe (§ 212 RVO, § 39 KVLG). Im übrigen habe R am 2. August 1976 Rente aus der Arbeiterrentenversicherung beantragt, so daß jedenfalls von diesem Zeitpunkt an das Urteil BSGE 42, 64 einschlägig sei.

Die Klägerin beantragt,

1.

das Urteil des SG Nürnberg vom 25. Mai 1977 aufzuheben,

2.

festzustellen, daß R ab 3. April 1976 Mitglied der Beklagten geworden ist und

3.

die Beklagte zur Erstattung der Aufwendungen der Klägerin für R ab 3. April 1976 einschließlich des Krankengeldes zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des A für zutreffend und weist darauf hin, daß die Auffassung der Klägerin zu einem unhaltbaren Ergebnis führen würde: Die AOK könne dann nämlich Personen, die ihr zunächst während ihrer versicherungspflichtigen Beschäftigung nur Beiträge erbracht und keine Aufwendungen verursacht hätten, im Falle der Erkrankung und Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses an die LKK abschieben, welche nunmehr die Leistungen erbringen und zugleich Beiträge von den erkrankten Personen erheben müsse, die nach Genesung und Aufnahme abhängiger Arbeit wieder Mitglieder der AOK würden. Dies sei eine rechtlich und wirtschaftlich unzumutbare Risikoabwälzung.

II

Die Revision ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.

Soweit die Klägerin begehrt festzustellen, daß R am 3. April 1976 Mitglied der Beklagten, geworden ist, ist die Revision wegen dieses im Klageverfahren nicht erhobenen Anspruchs ungeachtet der Frage des hierfür nach § 55 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erforderlichen berechtigten Interesses jedenfalls gemäß § 168 SGG als Klageänderung im Revisionsverfahren unzulässig.

Der Erstattungsanspruch ist unbegründet.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten, ihr die Aufwendungen für die Leistungen an R zu erstatten. Gemäß § 43 Abs. 3 des am 1. Januar 1976 in Kraft getretenen und mithin für die hier streitige Zeit geltenden Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuchs (SGB I) richtet sich der Erstattungsanspruch des vorleistenden Leistungsträgers gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger nach den für den vorleistenden Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften. Der hier geltend gemachte Anspruch scheitert jedoch daran, daß die Beklagte nicht der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger ist. Leistungspflichtig für die Zeit nach dem Ende der Lohnfortzahlung wäre die Beklagte R gegenüber nur dann gewesen, wenn dieser nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG als Unternehmer der Landwirtschaft bei ihr versichert gewesen wäre. Das war indes nach § 3 Satz 1 KVLG nicht der Fall. R war nämlich in dieser Zeit nach anderen gesetzlichen Vorschriften für den Fall der Krankheit versicherungspflichtig.

Als R am 30. Januar 1976 arbeitsunfähig wurde, war er gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 RVO jedenfalls - seit dem 17. November 1975 - versicherungspflichtiges Mitglied der Klägerin (§ 306 Abs. 1 RVO). Die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger bleibt aber nach § 311 Abs. 1 Nr. 2 RVO erhalten, solange Anspruch auf Krankengeld besteht. Der Anspruch des R auf Krankengeld hat für den gesamten vom Erstattungsanspruch der Klägerin berührten Zeitraum - 3. April bis 13. September 1976 - bestanden. Daß die Pflichtmitgliedschaft nach § 311 RVO wegen der Worte "bleibt erhalten" nur in der Art fortbestehen kann, in der sie begründet wurde, hat das BSG im Urteil vom 9. März 1965 (BSGE 22, 295, 297) bereits entschieden. Blieb aber die Mitgliedschaft des R kraft Versicherungspflicht erhalten, so erfüllte er die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 KVLG, wonach nach diesem Gesetz nicht versichert ist, wer nach anderen gesetzlichen Vorschriften für den Fall der Krankheit versicherungspflichtig ist. Dabei bedeutet "versicherungspflichtig" gemäß § 2 Abs. 1 SGB IV die Sozialversicherung kraft Gesetzes. Da R nach § 311 RVO in der Zeit vom 3. April bis zum 13. September 1976 Mitglied der Klägerin kraft Versicherungspflicht geblieben ist, konnte er nicht Mitglied der Beklagten werden. Das schließt nicht aus, daß § 311 RVO bei besonderen Fallgestaltungen (vgl. hierzu das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des Senats vom 28. Juni 1979 - 8b/3 RK 80/77, mit weiteren Hinweisen) nicht diese Wirkung hat.

Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf das Urteil des BSG vom 25. Mai 1976 (BSGE 42, 64). Es betrifft einen Landwirt, der beim Inkrafttreten des KVLG (1. Oktober 1972) bereits Rentner war. Die Klägerin, die sich selbst dafür entschieden hat, unter Verzicht auf die zweite Tatsacheninstanz unmittelbar die Entscheidung des Revisionsgerichts herbeizuführen, übersieht, daß hier das SG nichts dazu festgestellt hat, ob und gegebenenfalls ab wann R Mitglied der Rentnerkrankenversicherung geworden ist. Sie muß sich deshalb entgegenhalten lassen, daß das BSG gemäß § 163 SGG an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden ist und somit nicht davon ausgehen kann, daß R während des vom Ersatzanspruch berührten Zeitraumes Leistungen der Arbeiterrentenversicherung beantragt hat und deshalb Mitglied der Krankenversicherung der Rentner geworden ist.

Die vom 5. Senat des BSG in BSGE 42, 64 bejahte Frage, ob ein selbständiger Landwirt, der die Voraussetzungen der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Landwirte nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG erfüllt, in entsprechender Anwendung des § 3 Nr. 2 KVLG auch dann in der Krankenversicherung der Landwirte versicherungspflichtig geworden ist, wenn er zu dieser Zeit nur deshalb nicht Mitglied der Krankenversicherung der Rentner war, weil er nach § 311 Satz 1 RVO wegen des Krankengeldbezuges Mitglied einer AOK war, ist für die Entscheidung des erkennenden Senats nicht erheblich. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob dieser Entscheidung zuzustimmen ist. Hier ist allein maßgeblich, ob die nach § 311 RVO fortbestehende Pflichtmitgliedschaft gemäß § 3 Satz 1 KVLG die Versicherung in der Krankenversicherung der Landwirte ausschließt. Diese Frage ist aus den bereits dargelegten Gründen und in Übereinstimmung mit dem Urteil des 11. Senats des BSG vom 16. März 1978 - 11 RK 9/77 - (BSGE 46, 81, 83) zu bejahen (vgl. hierzu nunmehr auch BT-Drucks. 8/2844 S. 11 Nr. 2 und S. 23 zu 2 zu Buchst. a). Darüber hinaus ist auch noch folgendes zu beachten: Die durch die Mitgliedschaft als Versicherungspflichtiger erworbene Rechtsstellung, zu der auch der nachgehende Versicherungsschutz des § 311 RVO gehört, könnte zwar durch eine entsprechende gesetzliche Regelung in näher zu bestimmenden Fällen eingeschränkt oder beseitigt werden. Eine solche Regelung fehlt aber, weshalb dem Pflichtmitglied der Krankenversicherung (§ 306 Abs. 1 RVO) der nachgehende Versicherungsschutz des § 311 RVO nicht genommen werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.8b/3 RK 72/77

Bundessozialgericht

Verkündet am 22. November 1979

 

Fundstellen

BSGE, 151

Breith. 1980, 736

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